Agiert Brandenburg wie eine Halbkolonie? – Der Bau der Tesla-Gigafactory in Grünheide

Das Tesla-Werk in Brandenburg soll im Juli 2021 fertiggestellt werden. Gegen Einsprüche von Anwohnern und Organisationen haben Bundes- und Landesregierung den Bau durchgepeitscht und über Fördergelder finanziert – zum Wohl der Bevölkerung oder des Milliardärs Elon Musk?

Von Mark Hadyniak

Im November 2019 kündigte der US-Konzern Tesla an, in Grünheide im brandenburgischen Landkreis Oder-Spree seine neue Gigafactory bauen zu wollen. Als Ziel nannte der Tesla-Gründer und Geschäftsführer Elon Musk, das Werk solle bis Ende 2021 fertiggestellt sein. Führende Politiker aus Berlin und Brandenburg bejubelten die Entscheidung von Musk. Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) fühlte sich "glücklich" und sprach "von einer hervorragende Nachricht für unser Land". Berlins Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Bündnis 90/Die Grünen) twitterte: "Wer Visionen hat, kommt nach Berlin! Willkommen in der Metropolregion, Tesla!"

Obwohl das Land Brandenburg noch keine Baugenehmigung erteilt hatte und der Landkauf noch nicht gesichert war, startete Tesla im Februar 2020 mit der Rodung des Waldes. 90 Hektar wurden binnen kürzester Zeit abgeholzt – trotz der Proteste von Umweltschutzorganisationen wie auch von Anwohnern, die beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg einen Rodungsstopp für wenige Tage erwirken konnten. Die politische Entscheidung war aber bereits gefallen: Tesla soll bauen. Entsprechend hob das Gericht den Rodungsstopp zügig wieder auf, und zwar in einem nicht mehr anfechtbaren Beschluss. Schließlich wolle Tesla ja bis zu 7.000 Arbeitsplätze schaffen. Bedenken um Umweltfolgen, Wasserverbrauch, infrastrukturelle Überbelastung der Region, soziale Auswirkungen einer Ansiedlung von Tausenden neuer Mitarbeiter wurden einfach weggewischt.

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier machte im Gespräch mit RT DE deutlich:

"Unser Ehrgeiz besteht darin, dass solche großen, wichtigen Projekte in ähnlich kurzer Zeit realisiert werden können wie in anderen europäischen Ländern und weltweit. Und deshalb arbeiten wir sehr eng zusammen mit der Landesregierung in Brandenburg. Unser Ziel ist es, dass dieses Werk im nächsten Jahr in Betrieb gehen kann. Und wir sind optimistisch, dass wir auch vor Gericht mit unseren Argumenten Recht bekommen."

Auch Baumbesetzungen und die Corona-Pandemie hielten den Bau der Tesla Gigafactory nicht auf. Und Tesla arbeitet mit allen Tricks: Als sich im März 2020 an die 370 Beschwerden – vor allem aus der Umgebung von Grünheide – angesammelt hatten, änderte Tesla einfach einige Formulierungen im Antrag und durfte weiterbauen. Doch die Wasserrechnungen wurden nicht pünktlich bezahlt. Als daraufhin im Oktober 2020 der Wasserhahn zugedreht wurde, feuerte Tesla als Bauernopfer Evan Horetsky, den Bauleiter der Fabrik in Brandenburg. Dieser habe versäumt, die Wasserrechnungen zu bezahlen. Ups, kann ja mal passieren.

Im September 2020 meldete Tesla dann, man müsse ungefähr noch weitere 100 Hektar Wald roden. Obwohl die endgültige Baugenehmigung noch immer ausstand, erteilte das Land Brandenburg die Genehmigung auch für die weiteren Rodungen. Im Dezember 2020 starteten diese Rodungsarbeiten, und es wiederholte sich das Spiel vom Februar: Beginn der Rodung, einstweiliger Rodungsstopp vom Verwaltungsgericht, Aufhebung des Rodungsstopps. Plus Verlängerung: Wiederaufnahme der Rodung, einstweiliger Rodungsstopp vom Oberverwaltungsgericht, Aufhebung des Rodungsstopps.

Alles nur Verzögerungen für Tesla. Die Anwohner und Umweltorganisationen konnten nicht gewinnen gegen den konzertierten Willen der Milliardenmacht eines US-Konzerns und seiner willigen Helfer in der bundesdeutschen Politik. Der Naturschutzbund konstatierte enttäuscht: "Tesla wird Tiere in größerer Zahl töten."

Aber es geht um mehr als nur um die Zauneidechse oder die Schlingnatter, zwei geschützte Tierarten, deren Lebensraum durch Rodungsarbeiten für Tesla zerstört wird. Es geht vor all dem auch um den Lebensraum der Menschen in und um Grünheide, um ihre Lebensart und um ihre Souveränität, selbst zu entscheiden, wie sie leben wollen.

Der Kolonialherr und seine Halbkolonie

Das Land Brandenburg agiert wie eine Halbkolonie und unterwirft sich dem Willen Teslas. Elon Musk kommt daher wie ein Kolonialherr: Land wird in Beschlag genommen und nach seinem Willen umgestaltet, Natur und Umwelt des Landes werden mutwillig verändert und zerstört, die Bevölkerung wird nicht nach ihrem Willen gefragt.

Der Quasi-Kolonialherr lässt sich wie ein Popstar feiern. Elon Musk wurde Anfang Dezember 2020 der Axel-Springer-Award verliehen. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hielt eine Laudation auf den Preisträger. 2019 verlieh die Auto Bild Musk das "Goldene Lenkrad".

Bereitwillig übernimmt die Kompradorenbourgeoisie das Verwalten von Teslas Interessen vor Ort. Rechtsbestimmungen werden zur Farce. Obwohl noch immer die abschließende umweltrechtliche Genehmigung für die Gigafactory durch das Land Brandenburg aussteht, plant Tesla die Fertigstellung weiterhin bis zum Juli 2021. Laut der dpa äußerte Brandenburgs Umweltminister Axel Vogel (Bündnis 90/Die Grünen): "Es werden keine Autos auf den Markt kommen aus einer Fabrik, die noch nicht genehmigt ist".

Was wie ein Zeichen souveräner Stärke wirken soll, ist in Wahrheit die Versicherung für Tesla, bis Juli alle denkbaren juristischen Barrieren aus dem Weg zu räumen. Nicht auszudenken, wenn es zu weiteren Verzögerungen komme. Einzig überraschend daran ist die Langwierigkeit dieses Prozesses. In Deutschland muss der Rahmen in Legitimität erstrahlen, dann kann das Gemälde darin außer Acht gelassen werden.

Politik wird ganz nach dem Willen von Elon Musk und seines Konzerns Tesla betrieben. Muss Wald gefällt werden, wird die Genehmigung erteilt. Muss Infrastruktur her, wird sie geschaffen. Im Februar sprach Brandenburgs Verkehrsminister Guido Beermann (CDU) begeistert, was für ein "Glücksfall" der Bau der Gigafactory doch für Brandenburg sei. Die infrastrukturellen Anforderungen von Tesla – Bau von Straßen und Autobahnen, Verlegung von Bahnstationen – werde man spielend bewältigen. Die Kosten dafür werden "teilweise vom Bund getragen, teilweise vom Land, der kommunalen Ebene und teilweise von Tesla". Auch Bauland zu Ansiedelung der vielen Arbeitskräfte werde man erschließen und Wohnungen bauen lassen – natürlich nicht nur im teuren, hochwertigen Segment. Beermann macht deutlich: "Es arbeiten ja nicht nur Manager bei Tesla. Der überwiegende Anteil der Beschäftigten dürfte in der Produktion tätig sein."

Das gesamte Argument der Arbeitsstellenbeschaffung hinkt. 7.000 Stellen will Tesla schaffen. Mit ihrer Arbeit werden die dort Beschäftigten dem Unternehmen Milliarden an Profit erwirtschaften, während sie selbst für teilweise untertarifliche Löhne ausgebeutet werden. Und finden sich diese Arbeitskräfte nicht in Deutschland, kann Tesla sie aus dem nahe gelegenen Polen herüberpendeln lassen. Das passt in das Bild einer Halbkolonie: Arbeitskräfte werden ausgebeutet, Natur wird zerstört, Infrastruktur umgestaltet, die politische Elite lässt sich willfährig auf die Seite des Kolonialherren ziehen – die Profite aber wandern allesamt ins Ausland, zur Kolonialmacht.

Epilog

Wie würde eine souveräne Umgangsweise mit Tesla aussehen? Ein paar Punkte lassen sich skizzieren: Wenn Tesla die vermutlich vorab geprüften Standortvorteile einer Produktion im deutschen Bundesland Brandenburg nutzen will, sollte das Unternehmen dafür ein Äquivalent liefern. Es bräuchte zumindest eine Gewinnbeteiligung von Belegschaft und Anwohnern – der aus den Arbeitskräften vor Ort gesogene Profit dürfte nicht ins Ausland wandern, sondern müsste dafür eingesetzt werden, den Lebensstandard vor Ort zu heben.

Es bräuchte ein Nachhaltigkeitskonzept zum Vorteil der Region und der hier lebenden Menschen, Tiere und Pflanzen. Wenn so viele Mitarbeiter konzentriert werden sollen, müsste Tesla auch dafür sorgen, allen lebenswerte und attraktive Häuser, Infrastruktur und eine lebenswerte Wohnumgebung zu schaffen – mit Grundversorgung und Naherholung. Für all das müsste das Unternehmen aufkommen – oder der Multimilliardär Musk persönlich.

Die Realität sieht anders aus. Statt das Unternehmen zahlen zu lassen, wurden ihm noch vom Bund und vom Land Brandenburg Fördergelder in Höhe von 2,9 Milliarden Euro zugeschoben – offiziell für den Bau einer Batteriefabrik. Das heißt, unter dem Strich haben Bundes- und Landesregierung Elon Musk das Land und die Fabrik geschenkt. Denn die Landfläche in Grünheide soll 43 Millionen Euro gekostet haben, und die Baukosten für die Gigafactory schätzte Tesla auf rund 1,07 Milliarden Euro.

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