Öffentliche Millionen für Impfstoffe – Patentrechte und Milliardenerlöse für Pharmakonzerne
von Maria Müller
In vielen Ländern der Nordatlantikregion hat die Impfkampagne gegen das Coronavirus bereits begonnen. Doch in Lateinamerika rechnet man erst für das Jahr 2022 mit einer flächendeckenden Vakzin-Versorgung. In der Region leben 630 Millionen Menschen, die eigentlich geimpft werden müssten – würden für dort die gleichen Standards wie auf der nördlichen Halbkugel gelten.
Obgleich mehrere Staaten im Süden des Kontinents einige Pharmakonzerne mit umfangreichen Risiko-Testreihen in ihrer Bevölkerung unterstützten (Brasilien, Chile, Peru), erhalten sie nur schwer Zugang zu den dort erprobten Medikamenten. Gleichzeitig müssen sie dafür ihre meist hohe Auslandsverschuldung mit Millionenkrediten erweitern. Generationen werden für die Medikamente zahlen müssen. Die großen Pharmakonzerne können den globalen Bedarf jedoch nicht erfüllen. Denn sie besitzen – trotz massiver öffentlicher Finanzierung – die Patente und verhindern lokale Produktionsmöglichkeiten in den armen Ländern.
Russland macht dabei eine Ausnahme. Die Russische Föderation ermöglichte in Nicaragua vor zwei Jahren den Bau eines großen Labors für das Herstellen von Medikamenten, das nun den russischen Impfstoff Sputnik V produzieren und regional verteilen soll. Auch Brasilien und Argentinien werde mit eigenen Labors diese Möglichkeiten nutzen können, konkrete Verhandlungen sind im Gange. Indien, China und Korea erhielten ebenfalls dieses Angebot.
Nordatlantikstaaten horten 51 Prozent der Impfstoffe
Laut der New York Times sicherten sich die wohlhabenden Industriestaaten des Nordens, das heißt 13 Prozent der Weltbevölkerung, über die Hälfte der voraussichtlich im Jahr 2021 für den Weltmarkt produzierten Vakzine. Das ist genug, um ihre gesamte Bevölkerung damit mehrfach zu impfen. Die Europäische Union könnte eine zweimalige Impfung durchführen, Großbritannien die Stoffe dreimal verabreichen, Kanada viermal und die USA 1,4-mal. Im Gegensatz dazu werden sie nur für knapp 20 Prozent der Menschen in den armen Ländern ausreichen.
"Ich sehe Länder, die mehr Impfeinheiten kaufen als die mehrfache Anzahl ihrer Einwohner, oder sie machten Angebote in diesem Sinne", erklärte der UN-Generalsekretär António Guterres auf einer Pressekonferenz zusammen mit Außenminister Heiko Maas vor gut einer Woche in Berlin.
Guterres forderte die Regierungen dringend auf, ihre überschüssigen Medikamente für die armen Länder zu spenden. "Wenn wir die Krankheit nicht ausrotten, kann das Virus mutieren. Impfstoffe können dann ihre Wirksamkeit verlieren." Angesichts der neuen Virusmutation hat diese Mahnung einen visionären Charakter.
Staatliche Finanzierung – Private Gewinnabschöpfung
Die nordatlantischen Industriestaaten gingen ein millionenfaches Risikogeschäft ein. Sie investierten Milliarden US-Dollar in die größten Pharmakonzerne für die Entwicklungs- und Herstellungsprozesse der Impfstoffe. Damit sicherten sie sich Kaufrechte der Produkte, falls diese erfolgreich zugelassen würden. Mit anderen Worten, die Herstellerfirmen ließen sich ihre Arbeitsschritte überwiegend mit internationalen Steuergeldern finanzieren.
Unter den fünf bekanntesten Konzernen nahmen alle außer Pfizer/BioNTech für die Etappe der wissenschaftlichen Entwicklung je zwischen 500 Millionen und zwei Milliarden US-Dollar an öffentlichen Geldern entgegen. Dennoch sind sie Eigentümer aller Patent- und Nutzungsrechte und verhindern durch ihre Monopolstellung, dass Drittländer die Medikamente selbst herstellen können.
Gemeinsam mit Pfizer/BioNTech (1,9 Milliarden US-Dollar) lassen sie sich auch ihre Herstellungs- und Verteilungskosten aus Staatskassen finanzieren, neben Johnson & Johnson (eine Milliarde) und Moderna (2,3 Milliarden). Die Bundesregierung sponserte im September mit einer Direktinvestition von 375 Millionen Euro (445 Millionen US-Dollar) die schnelle Entwicklung eines Impfstoffes von Pfizer/BioNTech.
Die Sprecher der Firmen verneinen zum Teil die öffentlichen Zuweisungen, da sie sich der Brisanz des Vorgangs bewusst sind. Sie geben meist keine exakten Daten über ihre Finanzierungsquellen an. Institute für wissenschaftliche Datenforschung wie die Londoner Gesellschaft Airfinity sorgen hingegen für deren Bekanntgabe.
Zusätzlich zu den riesigen Subventionen konnten sich die Konzerne außerdem von der Last möglicher Schadensersatzforderungen für kurz- und langfristige Gesundheitsschäden befreien. Auch diese müssen von den Regierungen übernommen werden. Im Grunde ein Eingeständnis, dass die Vakzine trotz aller gegenteiligen Beteuerungen unbekannte medizinische Folgen haben können.
Laut der US-Publikation TIME finanzierten die Vereinigten Staaten fünf der bedeutendsten Impfstofflabore mit 12,4 Milliarden US-Dollar, und sicherte sich dafür vertraglich 100 Millionen Impfdosen von Pfizer (mit der Perspektive von weiteren 500 Millionen Dosen), 200 Millionen Dosen der Firma Moderna (mit 300 Millionen weiteren in Perspektive) sowie insgesamt 810 Millionen von AstraZeneca, Johnson&Johnson, Novavax und Sanofi (Perspektive: 1,5 Milliarden weitere Dosen). Die Finanzierung lief unter der Bezeichnung "Operation Warp Speed".
Die Europäische Union reservierte mit einer Investition von rund 2,3 Milliarden Euros insgesamt 300 Millionen Impfdosen von Pfizer, Moderna, AstraZeneca, Novavax, Sanofi und der deutschen Firma CureVac – mit der Möglichkeit, weitere 660 Millionen Einheiten zu erhalten.
Große Preisunterschiede bei den Impfstoffen
Die Firmen verkaufen die Impfstoffe mit großen Preisunterschieden. Es gibt sehr teure Mittel, die hohe Gewinnspannen versprechen – obwohl sie aus Staatskassen subventioniert wurden. Vor diesem Hintergrund hätte ein genereller Niedrigpreis die Regel sein müssen, um zu verhindern, dass die Bürger doppelt und teuer bezahlen müssen: für die Subventionen und beim Einkauf durch ihre Regierungen. Die hohen Ausgaben werden erwartungsgemäß auf die Gesundheitstarife umgelegt.
Laut BBC veröffentlichte am 15. Dezember eine Schautafel von UNICEF, die verdeutlicht, dass die größten Pharmakonzerne für die gleichen Produkte unterschiedliche Preise fordern, je nach Abnehmerland und Zahlungsbedingungen.
Den teuersten Impfstoff bietet der US-Konzern Moderna an, der zugleich die höchsten öffentlichen Zuschüsse erhielt und erklärtermaßen "etwas Gewinn für die Aktionäre" erzielen will. Moderna verkauft seinen Impfstoff zwischen 25 und 37 US-Dollar pro Dosis.
An zweiter Stelle liegt die die chinesische Firma Sinovac, mit Angeboten zwischen 13,6 und 29,75 US-Dollar. Danach kommt Sanofi/GSK mit Preisen zwischen 10,65 und 21 US-Dollar.
Es folgt Pfizer/BioNTech auf Platz 4 mit 18,34 bis 19 US-Dollar, dahinter kommen die Firmen Novavax (16 US-Dollar), CureVac (knapp 12 US-Dollar) und Johnson & Johnson (10 US-Dollar). Eine Dosis des russischen Impfstoffes Sputnik V kostet 10 US-Dollar. Am günstigsten ist der Impfstoff von Oxford-AstraZeneca zu haben, der zwischen 4 und 8 US-Dollar kostet.
"Impfstoffe sind kein Privatbesitz" – Vertreter der WHO und UN üben Kritik
Dr. Bruce Aylward, leitender Berater des Direktors der WHO, erklärte laut der New York Times, es sei unfair, dass reiche Länder so viele Impfstoffe haben, um alle ihre Bewohner zu schützen, während arme Länder noch nicht einmal ihre Hochrisikogruppen impfen können.
Sprecherin des Gemeinsamen Programms der Vereinten Nationen für HIV/Aids (UNAIDS), Winnie Byanyima, kritisierte gegenüber der Financial Times die derzeitige Praxis:
"Diese Impfstoffe sind kein Privatbesitz, den man profitabel verkaufen kann. Sie sind öffentliches Eigentum, das für das globale Gemeinwohl frei zur Verfügung stehen muss!"
Sie schlägt vor, dass die Medikamente in einem weltweiten Programm gerecht verteilt werden sollen – als Sozialprogramm, nicht als Geschäft. Schätzungen zufolge betragen die Kosten für eine weltweite Versorgung aller Menschen mit Impfstoffen ein Prozent des wirtschaftlichen Schadens, den die Pandemie global hervorruft.
Das WHO-Programm COVAX ("COVID-19 Vaccines Global Access"/"Globaler Zugang zu COVID-19-Impfstoffen") ist eine Art Impfstoffbank für arme Länder der sogenannten Dritten Welt. Die 184 Staaten, die sich an diesem Programm beteiligen, verfügen nur über mittlere oder geringe wirtschaftliche Ressourcen. Sie müssen eine bestimmte Einlagensumme in die gemeinsame Kasse zahlen. Dieses Geld wird an Pharmaunternehmen für Forschungszwecke weitergeleitet, die sich ihrerseits dazu verpflichten, die Impfstoffe an COVAX zu übergeben, sobald sie erfolgreich zugelassen sind.
COVAX will im kommenden Jahr mindestens 1,3 Milliarden Impfdosen an die Mitgliedsländer verteilen. Dafür müssen 6,8 Milliarden US-Dollar aufgebracht werden, von denen bislang zwei Milliarden gesammelt wurden. Die WHO-Einrichtung hat versichert, sie werde über eine Milliarde Impfdosen erhalten. Doch die Menge würde nur ausreichen, um im Jahr 2021 maximal 20 Prozent der Bevölkerung dieser Länder zu impfen.
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