Russland

Neues russisches Medikament – Hoffnung für Ungeimpfte bei einer COVID-19-bedingten Pneumonie

Das neue russische Medikament Leutragin stillt hormonfrei bereits laufende Zytokinstürme bei einer COVID-19-bedingten Pneumonie. Gute Nachricht nicht zuletzt für jene, die sich aus gesundheitlichen Gründen nicht impfen lassen können. Der Leiter des entwickelnden Instituts gab RT ein Interview.
Neues russisches Medikament – Hoffnung für Ungeimpfte bei einer COVID-19-bedingten Pneumonie

Das neue russische Medikament Leutragin wurde zur Bekämpfung des durch COVID-19 verursachten Zytokinsturms entwickelt. Das Präparat, ein stabilisiertes Analogon des körpereigenen Hexapeptids Dynorphin 1-6, gilt als absolut sicher (nicht zuletzt, weil hormonfrei) und ist für verschiedene Altersgruppen geeignet.

Schon im vorigen Jahr kam mit Levilimab ein ebenfalls russisches Medikament heraus, das auch ohne Hormone gegen den Zytokinsturm wirkt. Es muss dem Erkrankten jedoch vorbeugend verabreicht werden, bevor der Sturm richtig einsetzt. Leutragin hingegen bekämpft den Zytokinsturm auch dann, wenn dieser bereits im Gange ist. Auch in der Wirksamkeit zeigt sich das Medikament sehr effektiv: Bei klinischen Versuchen mit Patienten in einem mäßig schweren Zustand musste nicht ein einziger Patient auf die Intensivstation – und ihre Genesung erfolgte im Schnitt nach acht Tagen statt der bei der Standardtherapie gewöhnlichen durchschnittlichen 14 Tage. Wladislaw Karkischtschenko, Direktor des Wissenschaftlichen Zentrums für Biomedizinische Technologien der Föderalen Medizinischen und Biomedizinischen Agentur Russlands, an dem Leutragin entwickelt wurde, breitete Einzelheiten zur Wirkungsweise und Entstehungsgeschichte der Arznei in einem Interview mit RT aus. Eines vorab: Im Rahmen der Entwicklung waren beteiligte Wissenschaftler gezwungen, experimentell nach neuer Information zur Entstehung der Zytokinstürme zu suchen – und wurden auch fündig.

- Im Mai 2021 wurde in Russland das Medikament Leutragin registriert, das von der Russischen Föderalen Agentur für Medizin und Biologie entwickelt wurde. Was ist sein Wirkmechanismus und worin liegt seine Einzigartigkeit?

- Leutragin ist das erste Medikament einer neuen Klasse entzündungshemmender Arzneistoffe. Die Einzigartigkeit des Präparates besteht darin, dass es den Zytokinsturm beruhigt – und dabei absolut sicher ist. Im Prinzip haben ja auch Hormone die gleiche Wirkung – auch wenn sie über andere Rezeptorsysteme ihre Wirkung entfalten. Doch Medikamente mit Hormongehalt sind für die Patienten äußerst unsicher.

- Wann und wie wurde das Medikament entwickelt?

- Im Januar 2020, als bereits ersichtlich wurde, dass eine Pandemie und nicht bloß eine lokale Epidemie ansteht, begannen wir auf Anweisung der Leiterin der Russischen Föderalen Medizinischen und Biologischen Agentur, Veronika Skworzowa, mit aktiver Arbeit. Das Wichtigste – und für uns unumgänglich – war, ein Modell dieser Infektion zu erstellen. An der Erstellung eines solchen Modells arbeiteten wir zwei Monate lang. Danach begannen wir mit dem aktiven [pharmazeutischen] Screening (Recherche – Anm. d. Red.) von Substanzen und Medikamenten. Gleich zu Beginn wurde ein Hexapeptid verwendet – und wir konnten erstaunliche Ergebnisse erzielen: Wir haben die Überlebensrate von Labormäusen um das Vierfache erhöht. Wir untersuchten die Wirkmechanismen von Leutragin und COVID-19 und wollten herausfinden, wie der Zytokinsturm angehalten werden kann.

- Am 27. September wurde Ihre Studie über Leutragin und das neue Zytokin im International Journal of Immunological Research veröffentlicht ...

- Wir haben sehr lange auf diese Veröffentlichung gewartet. Die westlichen Wissenschaftler (und auch die asiatischen Wissenschaftler) nehmen Opioide [und Rezeptoren für sie] ausschließlich als ein System wahr, das auf Schmerzen wirkt. Wir hingegen haben immer gesehen, dass es sich um ein weitaus vielseitigeres System handelt. Im Rahmen dieser Arbeit konnten wir experimentell nachweisen, dass Opioid-Rezeptoren Vorgänge auslösen, die eine starke entzündungshemmende Wirkung haben – ohne dem Menschen irgendwelchen Schaden zuzufügen.

- Sie haben ein bis dahin unbekanntes Zytokin entdeckt, das viel länger "lebt" als alle bisher bekannten und in einem geschlossenen Kreislauf die Produktion anderer Zytokine auslöst. Was ist das für ein Zytokin, was ist es überhaupt und wie hängt es mit dem Coronavirus zusammen?

- Wir fanden heraus, dass es das wichtigste Zytokin im Krankheitsverlauf von COVID-19 ist. Wir nannten es das Boxprotein (wahrscheinlich gehört es auch zur größeren Gruppe der Box-Proteine, aber seine herausragende Wichtigkeit im Krankheitsverlauf bewog die Wissenschaftler anscheinend zu einer solchen Namensgebung. Anm. d. Red.) oder Spätphasen-Zytokin. Zytokine sind kleine Proteine, die von Zellen des Immunsystems produziert werden, um Immunprozesse in Gang zu setzen. Und ein Zytokinsturm ist ein unkontrollierter Prozess der Zytokinfreisetzung. In diesem Fall tritt er unter dem Einfluss des Virus SARS-CoV-2 auf.

Nun gehen alle Studien, die speziell zum Zytokinsturm bei COVID-19 durchgeführt werden, von Interleukin 6 als dem wichtigsten Zytokin aus – und es ist ja auch tatsächlich das wichtigste unter den klassischen Zytokinen. Es gibt aber auch ein sogenanntes Box-Protein, das in fast jeder Zelle (im Zytoplasma) vorkommt und im Falle eines Virusangriffs einfach in das Blutplasma austritt und die ganze abschließende Reaktionskaskade in Gang setzt. Das bedeutet, dass im Körper an Box-Protein mehrere tausend Mal mehr vorhanden ist als an anderen Zytokinen, und gerade seine Wirkung führt zum tödlichen Entzündungsfaktor, also zum Tod. Unserer Erkenntnis nach ist dieses Spätphasen-Zytokin der wichtigste Entzündungsfaktor bei SARS-CoV-2.

- Welche Klassen von Arzneimitteln gibt es, die auf Zytokine wirken, und zu welcher Klasse gehört Leutragin?

- Es gibt drei Klassen von entzündungshemmenden Medikamenten. Die erste Klasse sind nicht-steroidale entzündungshemmende Medikamente. Sie wirken in dieser Situation gar nicht. Die zweite Klasse sind hormonelle Medikamente. Sie haben sich bei der Behandlung von Patienten im schweren Zustand nicht übel gezeigt: Sie unterdrücken den Zytokinsturm, sie beruhigen das Immunsystem. Jedoch hat ihre Verwendung schwerwiegende Folgen, denn sie sind unsicher und sogar sehr schädlich für die Patienten. Es gibt eine dritte Klasse von Medikamenten, die monoklonalen Antikörper. Diese sollen einzelne Zytokine abschalten.

Und als wir also diesen Mechanismus beim Erarbeiten unseres Modells untersuchten, haben wir das Zytokin Interleukin 6 ausgeschaltet – mit Tocilizumab. Ja, der Zytokinsturm erlosch dann für eine Zeit lang – aber dann tauchte er wieder auf. Das brachte uns auf den Gedanken, dass etwas hier nicht stimmt und in dieser Lage jemand anderes das Sagen hat, und so begannen wir zu recherchieren. Leutragin wirkt wie Hormone. Doch im Gegensatz zu Hormonen folgt es einem anderen Rezeptorweg.

- Wie wurden die klinischen Studien mit dem Medikament durchgeführt und wie viele Personen waren daran beteiligt?

- Die klinischen Versuche wurden in den Zentren der russischen Föderalen Agentur für Medizin und Biologie durchgeführt. Dies waren die ersten Versuche, die noch in den "roten Zonen" durchgeführt werden mussten: Zu diesem Zeitpunkt gab es noch nicht einmal Empfehlungen für die Behandlung von COVID-19.

Die FMBA-Zentren in Russland nahmen 320 Patienten auf. Und in der Gruppe, in der die Patienten mit Leutragin behandelt wurden, betrug die Genesungszeit acht Tage, verglichen mit 14 Tagen bei der Standardtherapie. Außerdem landeten die mit Leutragin behandelten Patienten nicht auf der Intensivstation oder gar in der Reanimation – alle genasen wohlbehalten. Die Behandlung kann zu Hause mit einem handelsüblichen Nebelinhalator durchgeführt werden.

- Wird es möglich sein, Leutragin in Apotheken zu kaufen? Oder wird es nur in medizinischen Einrichtungen verfügbar sein?

- Die Verteilung und Einführung des Medikaments wird in naher Zukunft erfolgen. In der Gebrauchsanweisung wird es als verschreibungspflichtiges Präparat geführt und wird unmittelbar in medizinischen Einrichtungen verwendet.

In naher Zukunft planen wir, zusätzliche klinische Studien mit dem Präparat zu beginnen. So ist die Auflage des Gesundheitsministeriums: Wenn ein Arzneimittel zugelassen ist, muss es erforderlichermaßen Bestätigungsstudien durchlaufen, um seine Zulassungsbescheinigung auch in Zukunft zu behalten.

- Warum kommt Leutragin in Form eines Inhalationspräparates daher und nicht als Injektionslösung oder Tablette? Warum wird diese Art der Verabreichung bevorzugt?

- Das Medikament kann bei verschiedenen Pathologien eingesetzt werden, es ist ja ein Mittel zur Entzündungshemmung. In diesem Fall aber ist das wichtigste betroffene Organ, das Zielorgan die Lunge. Wir müssen lokal die maximale Konzentration des synthetischen Peptids im betroffenen entzündeten Organ erzeugen – also muss es in diesem Fall inhaliert werden. Die Verabreichung des Medikaments sollte 40 bis 60 Minuten dauern, je länger, desto besser. In der Gebrauchsanweisung heißt es, dass dies einmal täglich geschehen soll, aber der Schweregrad der Krankheit kann unterschiedlich sein: In leichten bis mäßig schweren Fällen kann eine Inhalation pro Tag durchgeführt werden; bei Patienten mit schwerem Krankheitsverlauf ist es ratsam, Leutragin zweimal täglich im Abstand von 12 Stunden zu verabreichen und sobald sich der Zustand der Patienten stabilisiert hat, auf eine Inhalation täglich umzustellen. Wir konnten auf diese Weise Menschen innerhalb von acht Tagen heilen. Und zu Hause sind 3 bis 4 Inhalationen notwendig – und die Lungenentzündung wird sich nicht weiter entwickeln.

- Man unterscheidet drei Formen des Schweregrads einer COVID-19-Erkrankung: leicht, mittelschwer und schwer. Welche Form wird mit Leutragin behandelt?

- Zugelassen ist es nur für Patienten mit mittelschwerer Erkrankung. Allerdings haben Ärzte das Präparat auch in schweren Fällen eingesetzt – sie haben die Verantwortung für seine Verwendung übernommen. Das Wichtigste ist, dass es nach dem Einsatz des Medikaments keine Todesfälle gab – und keine Patienten, deren Zustand sich verschlechtert hätte.

- Für welche Altersgruppen ist das Medikament gedacht? Gibt es irgendwelche Einschränkungen bei der Verwendung?

- Es ist für alle zugelassen, außer für Kinder und Schwangere, und hat das höchste Sicherheitsprofil. Das Medikament ist für seine eigene Gruppe bestimmt: Männer wie Frauen über 18 Jahre.

- Wird Leutragin gegen neue Coronavirus-Stämme wirksam sein?

- Das Medikament ist stammunabhängig, da es inhaliert wird und generell zur Behandlung viraler Lungenentzündungen eingesetzt wird. Nicht nur SARS-CoV-2 und der Zytokinsturm können eine Pneumonie verursachen. Die Grippe und andere Viren, aber auch eine Belastung durch bestimmte Chemikalien können sie bewirken. Leutragin zielt auf die Unterdrückung von Entzündungsvorgängen bei Mensch und Tier ab.

- Es gibt viele Arzneimittel, bei denen nicht angegeben ist, dass sie für die Einnahme von COVID-19 empfohlen werden. Steht in der Packungsbeilage des Medikaments Leutragin, dass es zur Behandlung des Coronavirus eingesetzt werden kann?

- Das Medikament wird derzeit ausschließlich bei COVID-19 empfohlen. Leutragin ist kein Off-Label-Produkt (also nicht zur Verwendung bei Indikationen, die nicht von den zuständigen Behörden festgelegt wurden, genehmigt. Anm. d. Red.).

[Doch] es handelt sich um ein Medikament, bei dem ein völlig innovativer Ansatz verfolgt wird: Da sind eine neue Form der Anwendung, eine neue Dosierung und neue Indikationen zur Anwendung, und es wird eine neue Substanz verwendet. Wir haben es patentieren lassen und hoffen, dass es seinen rechtmäßigen Platz auf dem Markt für zukünftige entzündungshemmende Medikamente einnehmen wird.

- Haben Sie vor, weitere Artikel über die Wirksamkeit des Medikaments und Ihre Forschung zu veröffentlichen?

- Wir planen eine umfangreichere Untersuchung, die sowohl klinische Daten als auch Daten über das Medikament selbst umfassen wird. Ein solcher Artikel wird in Russland veröffentlicht werden.

Wir arbeiten derzeit weiter und bereiten neue Verabreichungsformen von Leutragin vor, die die Behandlung auch anderer Krankheiten ermöglichen werden. Wir bereiten neue Moleküle vor, die auf dem wissenschaftlichen Markt noch nicht bekannt sind.

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