Meinung

Russland geht in die Offensive - Was aber will der Westen?

Russland hat sehr klare Forderungen für die Sicherung seiner Interessen gestellt. Darin lässt es sich vom Diplomatengewusel und der Meinungsinflation des Westens nicht beirren. Was aber will der Westen? Worum geht es ihm? Was ist sein Ziel?
Russland geht in die Offensive - Was aber will der Westen?Quelle: AFP © Olivier Hoslet

Ein Kommentar von Rüdiger Rauls

Russland lässt keine Zweifel gegenüber dem Westen aufkommen, dass es seine Sicherheit garantiert sehen will. Es stellt sich aber die Frage, ob die russische Führung tatsächlich daran glaubt, dass die NATO sich zurückziehen wird aus den Staaten des ehemaligen Warschauer Pakts. Ist Putin so naiv oder pokert er nur, wohlwissend, dass er viel fordern muss, um viel zu bekommen? Oder aber werden wir gerade Zeuge des Beginns einer neuen Zeitrechnung?

Noch ist nicht klar, wie Russland reagieren wird auf die nichtssagenden und abgedroschenen Angebote des Westens, die sich seit Jahr und Tag wiederholen und in Moskau nur gelangweiltes Gähnen hervorrufen. Aber die russische Führung hat schon deutlich zum Ausdruck gebracht, dass man sich bezüglich seiner Sicherheitsinteressen vom Westen nicht ernstgenommen fühlt. Dennoch prüft man das Angebot noch und wird dann reagieren.

Das hört sich besonnen und selbstbewusst an, aber auch entschlossen. Man weiß, was man will und scheint auch zu wissen, wie man es durchzusetzen beabsichtigt. Aber eines ist klar, und wurde von Moskau bisher immer wieder betont: Man will keinen Krieg und arbeitet auch nicht darauf hin. Anscheinend hat Russland andere Mittel, mit denen im Westen niemand rechnet und die außerhalb westlicher Vorstellungskraft liegen.

Aber die Russen scheinen nicht zu bluffen, sonst würden sie nicht immer wieder betonen, keinen Krieg zu wollen. Denn mit ihrer Absage an Kriegsabsichten nehmen sie sich gerade ein starkes Druckmittel gegenüber dem Westen und der Ukraine. Es ist der Westen, der ständig die Kriegsgefahr beschwört und zunehmend die Lage verschärft mit zusätzlichen militärischen Aufgeboten und Drohungen.

Will man damit einer Gefahr begegnen, von der man selbst nicht so hundertprozentig überzeugt ist, wie immer wieder den offiziellen Verlautbarungen westlicher Politiker zu entnehmen ist? Einer eingebildeten Gefahr, die zudem von der Gegenseite immer wieder in Abrede gestellt wird? Was also will der Westen erreichen mit seiner seit Wochen heruntergebeteten Litanei: "Putin will Krieg"?

Dass man damit den Erkenntnissen und Darstellungen der Ukraine widerspricht, für deren Sicherheit man vorgibt, all diese Mühen, Gefahren und Konflikte mit Russland auf sich zu nehmen, interessiert den NATO-Westen anscheinend nicht. Der ukrainische Verteidigungsminister Resnikow kann keine wesentliche Veränderung russischer Militärpräsenz innerhalb des letzten Jahres in einem Streifen von 200 Kilometern entlang der gemeinsamen Grenze erkennen. Wie auch immer geartete Vorbereitungen für eine russische Invasion, von denen die NATO-Vertreter ständig schwadronieren, kann der ukrainische Vertreidigungsminister nicht bestätigen (siehe dazu: "Alarm schlagen und beruhigen" in Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 27.1.22).

Ob sie der Ukraine mit ihrem Kriegsgeschrei nützen, interessiert die Herren (und auchDamen
) in Brüssel, Washington und den NATO Hauptstädten anscheinend nicht. Stattdessen destabilisieren sie das Land noch mehr, weil das Krieggeschrei nur dazu führt, dass Investorenzusammen
mit ihrem Geld der Ukraine den Rücken kehren. Warum sollten sie bleiben, wenn das US-Botschaftspersonal schon die Koffer packt?

All das hält die treibenden Kräfte in der NATO zwar nicht davon ab, die militärische Konfrontation zu steigern, offenbart aber auch Widersprüche und Bruchstellen in der westlichen Aufmarsch-Politik. Oder ist das westliche Kriegsgeschrei nichts weiter als die Mund-zu-Mund-Beatmung für die im Koma liegende NATO, deren Hirntod vor längerer Zeit bereits Frankreichs Macron festgestellt hatte? Unübersehbar ist das Bemühen der NATO, Einigkeit zu demonstrieren, jedenfalls wenn man den Worten derer glauben will, die das Bündnis am Leben halten und als eine Garantie für den Weltfrieden darstellen wollen.

Dabei ist das Geplärre der unterschiedlichen nationalen und wirtschaftlichen Interessen hinter den Hochglanz-Fassaden der westlichen Medien-, Regierungs- und Wirtschaftsstellen kaum zu überhören. Militärs wie der ehemalige Generalinspekteur Kujat oder auch der geschasste Schönbach halten die Gerüchte über russische Kriegsvorbereitungen für Nonsens.

Biden spricht von unterschiedlichen Vorgehensweisen, je nach dem, wie Russland sich verhält – was dann postwendend wieder dementiert wird. Nein! Nein! Man ist sich einig! Einig wie nie, tönt es von allen Seiten, bis die nächste Bruchstelle aufreißt. Die Kroaten wollen ihre Soldaten sofort aus dem Osten abziehen, wenn es knallt. Gleich darauf ein Dementi eines anderen kroatischen Politikers. Nein! Nein! Man ist sich einig, einig wie nie!

Was aber will der Westen? Worum geht es ihm? Die Vorschläge Russlands zur beiderseitigen Abrüstung, die die Kriegsgefahr besonders in Europa mindern könnte, werden nicht ernst, geschweige denn angenommen. Wenn es doch um die Sicherheit der Staaten im Vorfeld Russlands ginge, was wäre vernünftiger als die russischen Angebote anzunehmen?

Stattdessen besteht die NATO darauf, ihr Einflussgebiet bis an die russischen Grenzen auszudehnen. Wie würden wohl die USA reagieren, kämen russische Truppen und Militäreinrichtungen ihnen auf dem amerikanischen Kontinent immer näher? Man stelle sich vor, das bisher neutrale Mexiko würde Militärbündnisse mit Russland oder China eingehen. Das Geschrei im Westen wäre ohrenbeäubend. Es sei nur an die Kubakrise von 1962 erinnert.

Mit der erklärten Absicht der NATO, sich weiterhin nach Osten ausdehnen zu wollen, begibt man sich doch gerade erst in die Gefahr einer Konfrontation mit Russland – die man angeblich vermeiden will. Damit steht man gerade diesen Truppen direkt gegenüber, die sich hinter der Grenze befinden. Schützt man sich vor dem Bären, indem man ihm auf die Pelle rückt?

Hätte man diesen direkten Kontakt verhindern wollen, wäre ein Band neutraler Staaten der beste Schutz gewesen. Den aber hat gerade die NATO durch die Aufnahme der bis 1999 neutralen Staaten
Polen, Tschechien und Ungarn und später der baltischen Staaten zerstört. Erwartet sie nun, dass Russland die eigenen Truppen von den eigenen Grenzen des eigenen Territoriums abzieht, um die Gefahr eines Konfliktes zu mindern, der erst dadurch entstanden ist, dass sich die NATO diesen Grenzen immer mehr nähert? Sie fordert von Russland, wozu sie selbst nicht bereit ist, das Zurückweichen von der Kontaktlinie.

Das aber ist das Denken und die Vorstellungswelt des Westens, die sich seit dem Zusammenbruch des sozialistischen Lagers als erfolgreich bestätigt zu haben schienen. Sie kennen nur die Sprache der Gewalt, die sich äußert in wirtschaftlichem Druck, in militärischen Drohungen und militärischer Machtausübung. Das sind die Mittel, mit denen der Westen seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs seine Interessen durchzusetzen versucht.

Dieses eigene Denken vermuten sie auch bei ihren Gegnern China und Russland. Deshalb können sie sich auch nicht vorstellen, dass Russland, China und andere Staaten nach anderen Ansichten, Grundsätzen und Erkenntnissen handeln. Das vorherrschende Prinzip des Westens ist die Konkurrenz, jeder gegen jeden. Dagegen hebt China immer wieder das Prinzip der Zusammenarbeit hervor, Russland das des Respekts vor den unterschiedlichen Interessen. Das ist dem Westen fremd, und deshalb kann er hinter solchen Denkweisen nur Täuschung und Betrug vermuten. Denn er selbst handelt so gegenüber jenen, die er versucht, mit seinen Werten und Idealen einzulullen.

Aber was will der Westen erreichen mit seinen Kriegstänzen vor der russischen Grenze und den chinesischen Küsten? Was ist das Ziel seiner gewachsenen Aggressivität seit seinen Niederlagen im Krieg gegen den Terror in Afghanistan und den Staaten der islamischen Welt? Will er wirklich Krieg? Glaubt er tatsächlich, es nach diesen schmählichen Misserfolgen gegen die Armeen und Kämpfer unterentwickelter Staaten mit solchen Schwergewichten wie Russland und China aufnehmen zu können?

Lawrow attestierte dem NATO-Chef Stoltenberg Realitätsverlust, als er dessen Antwort zu den russischen Vorschlägen und Forderungen erhielt. Vielleicht sind sie im Westen wirklich blind vor Wut und Verzweiflung angesichts der eigenen Erfolglosigkeit und Niederlagen. Sie haben ihre Kräfte vergeudet in nutz- und erfolglosen Kriegen in der islamischen Welt, und nichts erreicht, außer der Schwächung des eigenen und einem Zuwachs an russischem und iranischem Einfluss in dieser
Region.

Und Russland: Es ist zwar wirtschaftlich nicht so erfolgreich wie China, was am Mangel an Kapital und den ständigen westlichen Sanktionen liegt. Aber Russland ist militärisch und politisch in die Offensive gegangen. Seine Raketentechnik und Raketenabwehr ist der amerikanischen mittlerweile überlegen. Selbst das NATO-Mitglied Türkei hat das Abwehrsystem S 400 von Russland gekauft.

In der Zwischenzeit ist China zur zweitgrößten Wirtschaftsmacht aufgestiegen und einem Innovationstreiber, der dem Westen auf vielen Gebieten enteilt, die er lange Zeit für das eigene Hoheitgebiet gehalten hat. Er war sich sicher, dass ihm auf dem Gebiet von Forschung und Technologie so schnell keiner das Wasser reichen kann. Aber ohne China läuft inzwischen in der Welt und auch im Westen nichts mehr.

Mithilfe von Russland ist der Nahe Osten neu geordnet worden. In den Konflikten der Region tritt es als Vermittler der unterschiedlichen Interessen auf. Es versteht sich mit Israel und mit Syrien, mit den Saudis und mit dem Iran. In diesen Konflikten steht der Westen immer nur auf einer Seite und oftmals auf verlorenem Posten, weil auf der Seite der Verlierer. Ohne Russland wird sich auch die Lage in Libyen nicht beruhigen lassen.

Nach der Niederlage des Westens in Afghanistan droht ihm nun in Mali ein afrikanisches Debakel. Das Land hat zur Lösung seiner inneren Konflikten, die die gesamte Sahel-Zone durchziehen, die Pferde gewechselt. Russische Militärberater ersetzen die westlichen. Überflugrechte werden westlichen Militärtransportern verweigert und dänische Spezialkräfte mussten nach Aufforderung der neuen malischen Führung das Land verlassen (FAZ vom 29.1.22: Dänemark zieht Kräfte ab).

Vermutlich sieht der Westen, was sich überall in der Welt zusammenbraut. Teilweise ist er machtlos, was die Vorgänge in der Sahel-Zone deutlich machen. Denn es dürfte unwahrscheinlich sein, dass man ein westliches Strafbatallion nach Mali schicken wird.

Es ist nicht klar, ob der Westen hinter all seinen Misserfolgen Russland und China als Verantwortliche ausgemacht hat. Aber man glaubt, diesen etwas entgegensetzen zu müssen. Jedoch werden Sanktionen immer stumpfer, immer häufiger meutern die Vertreter der eigenen Wirtschaft. Zudem hat Russland sich nach den Krim-Sanktionen auf westliche Finanzsanktionen vorbereitet und seine Verbindungen zum Dollar eingeschränkt.

Vielleicht ist der militärische Druck als das einzige brauchbare Mittel übrig geblieben, das der Westen in seinem Werkzeugkasten noch findet. Doch ob er sich den großen Krieg zutraut, über den nun viele phantasieren, dürfte angesichts der Misserfolge und der Kriegsmüdigkeit der eigenen Bevölkerung sehr zweifelhaft sein.

Aber wer weiß, wie weit der Realitätsverlust fortgeschritten ist. Russland will keinen Krieg. Das ist klar. Aber es ist auch noch nicht zu erkennen, was es stattdessen dem Westen entgegensetzen will. Jedenfalls machen seine Führer den Eindruck, dass sie Pläne haben statt leerer Phrasen für die Zeit nach dem Scheitern der Verhandlungen. Diese Souveräntät unterscheidet sie von der ziellosen Umtriebigkeit im Westen.

Die Zeit arbeitet für Russland und China. Aber eigentlich ist es nicht die Zeit, die für die beiden arbeitet, sondern die Bedürfnisse der meisten Menschen in der Welt nach wirtschaftlichem Wohlergehen, Frieden und einer freundlichen Zukunft für ihre Kinder.

RT DE bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.

Mehr zum Thema - Ukrainischer Botschafter über Vizeadmiral Schönbach: "Rücktritt allein reicht nicht"

Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.