Australiens Bundesstaat Victoria – die Kontroversen in der Pandemie wie unter einem Brennglas
Ein Kommentar von Graham Hryce
Die Pandemie hat in den letzten zwei Jahren in vielen westlichen liberalen Demokratien zu einer Reihe politischer Krisen geführt. Staatslenker, die es versäumt haben, effektiv damit umzugehen, wurden von den Wählern brutal abgestraft. Dies war wohl einer der Hauptgründe, warum Donald Trump sein Amt verlor, und in Australien droht Premierminister Scott Morrison bei den bevorstehenden Wahlen eine Niederlage – wegen seines Pfusches bei der Einführung der Impfstoffe.
Selbst diejenigen Politiker, denen es gelang, die Pandemie gut zu bewältigen, mussten mit einer schweren Gegenreaktion von Wählern fertig werden, die sich zutiefst über die ihnen auferlegten Lockdowns und andere Beschränkungen ärgern. Selbst jetzt, da in den meisten Ländern die Lockdowns aufgehoben und die Beschränkungen gelockert werden, haben sich politische Spaltungen und Streitigkeiten darüber ergeben, ob Impfungen zwingend sein sollten oder nicht.
Massenproteste gegen die Pandemiemaßnahmen – die oft gewalttätig werden – sind im Westen noch immer an der Tagesordnung. Politikern aller Lager ist es überaus schwergefallen, den heiklen Spagat zwischen dem Schutz der Bürgerinnen und Bürger zu meistern und gleichzeitig die damit verbundenen Grundrechtsverletzungen zu begrenzen. In Australien haben sich die erbitterten politischen Kontroversen, die durch COVID-19 ausgelöst wurden, am dramatischsten und heftigsten im Bundesstaat Victoria ausgetragen – einst vom derzeitigen Labour-Premier Dan Andrews als "der fortschrittlichste Staat Australiens" beschrieben.
Diese Kontroversen gipfelten in den dramatischen Protesten, die vergangene Woche gegen ein neues Pandemiegesetz stattfanden, das kürzlich vom "Vorsitzenden Dan" ins Parlament des Bundesstaates Victoria eingebracht wurde. Es ist etwas ironisch – aber vielleicht nicht überraschend –, dass der unwiederbringlich 'woke' Andrews von empörten Bürgern belagert wird, die behaupten, ihre Grundrechte seien wieder einmal mit Füßen getreten worden.
Der Umgang der Regierung von Victoria mit der COVID-19-Pandemie war von Anfang an durch grobe Inkompetenz und eine brutale Missachtung der Rechte der Bürger gekennzeichnet. Es war das kriminell mangelhafte Quarantänesystem der Regierung von Andrews, das Ende letzten Jahres die zweite Welle von COVID-19 in diesem Bundesstaat verursachte, die zu rund 800 Todesfällen und Tausenden von Infektionen führte. Der "Vorsitzende Dan" reagierte auf diese vermeidbare Katastrophe mit einer handzahmen parlamentarischen Untersuchung, die zum Schluss kam, dass niemand – am wenigsten Andrews selbst – für dieses Debakel verantwortlich ist.
Es folgten Monate drakonischer Lockdowns und Beschränkungen für die Bewohner von Victoria – die Hauptstadt Melbourne wurde zur am umfassendsten geschlossenen Stadt der Welt –, und das unbarmherzige Verhalten der Polizei von Victoria wurde weltweit verurteilt.
Der "Vorsitzende Dan" hat das Parlament von Victoria praktisch suspendiert, und es hat in den letzten 12 Monaten nur periodisch getagt. Während dieser gesamten Zeit kam es regelmäßig zu gewalttätigen Protesten. Als im vergangenen Monat die Rate der doppelt Geimpften in Victoria die 80-Prozent-Marke erreichte, begann der "Vorsitzende Dan" damit, die Lockdowns aufzuheben und die Beschränkungen zu lockern. Dies fiel mit Plänen zusammen, die Staatsgrenzen in Australien noch vor Weihnachten zu öffnen und ausländischen Reisenden die Einreise in das Land zu ermöglichen.
Man könnte meinen, dass unter solchen Umständen das Letzte, was ein verantwortungsbewusster Politiker in Erwägung zieht, die Einführung einer weitreichenden repressiven Gesetzgebung zur Pandemie wäre.
Damit würde man jedoch den unkontrollierbaren Drang des "Vorsitzenden Dan" ignorieren, die Bürger von Victoria auf totalitäre Weise zu kontrollieren. Der Politiker, der COVID-19 benutzt hat, um die Rechte der Menschen auf ein beispielloses Niveau einzuschränken, hat erneut zugeschlagen. Letzten Monat hat die Regierung von Andrews dem Parlament von Victoria einen Plan mit dem orwellschen Titel "Zusatzartikel zum Gesetz der öffentlichen Gesundheit und des Wohlbefindens (Pandemie Management) 2021" vorgelegt. Der Gesetzentwurf wurde umgehend von der Labour-Mehrheit im Unterhaus genehmigt.
Der Gesetzentwurf ersetzt bestehende Notstandsgesetze, die im Dezember auslaufen sollen, und ermächtigt den Ministerpräsidenten und den Gesundheitsminister – und nicht wie derzeit den Obersten Gesundheitsbeamten des Staates –, Pandemien zu erklären und weitreichende Gesundheitsanweisungen zu erlassen.
Das ursprüngliche Gesetz erlaubt es, Bürger ohne Gerichtsurteil auf unbestimmte Zeit inhaftieren zu lassen. Geldstrafen von bis zu 90.500 US-Dollar können gegen diejenigen verhängt werden, die sich nicht an die Gesundheitsvorschriften halten, und der Gesetzentwurf sieht keine angemessene parlamentarische oder gerichtliche Aufsicht vor.
Der Gesetzentwurf wurde von Anwaltsverbänden, Menschenrechtsaktivisten und den politischen Oppositionsparteien in Victoria als Angriff auf die Demokratie und Rechtsstaatlichkeit verurteilt. Noch wichtiger aber ist, dass das Gesetz anhaltende heftige Proteste außerhalb des Parlaments und Morddrohungen gegen den Premierminister und andere Politiker provoziert hat. Die Protestierenden brachten die Nachbildung eines Galgens und eine Schlinge mit zu den Protesten, zusammen mit Sprechchören, die zum "Töten" und "Aufhängen" von Andrews aufriefen.
Der "Vorsitzende Dan" hat in seiner typischen Weise mit den Worten "Ich lasse mich nicht beirren" reagiert und die Demonstranten als "kleinen, hässlichen Mob tollwütiger Rechtsextremisten" charakterisiert.
Der Gesetzentwurf sollte diese Woche im Oberhaus des Bundesstaates Victoria debattiert werden – wo die Regierung von Andrews die Unterstützung einer Reihe von Unabhängigen brauchte, um den Gesetzentwurf in Kraft zu setzen. Am Mittwoch kündigte ein ehemaliger Labour-Abgeordneter des Oberhauses an, der wegen korrupten Verhaltens aus der Partei ausgeschlossen worden war und nun als Unabhängiger im Oberhaus sitzt, gegen das Gesetz zu stimmen. Unter den gegebenen Umständen schien es, als würde das Gesetz nicht durchgehen, und die Debatte wurde vertagt. Der Gesetzentwurf liegt derzeit in der Schwebe.
Wie ist Victoria in diese traurige und prekäre Situation geraten, die der unumkehrbaren Spaltung und dem Chaos ähnelt, das heute die Politik in den Vereinigten Staaten kennzeichnet? Vielleicht liegt die Antwort in der sogenannten "progressiven" Natur der Andrews-Regierung.
Sie ist überhaupt keine Labour-Regierung im herkömmlichen Sinne – sie ignoriert die Interessen ihrer ehemaligen Arbeiterbasis schon seit Langem. Sie ist auch nicht wirklich "fortschrittlich" im traditionellen politischen Sinne. Sie ist eine Regierung, die ausschließlich die Interessen der globalen Eliten fördert, die in den meisten westlichen Demokratien regieren, und sie setzt sich fanatisch dafür ein, die verschiedenen 'woken' Ideologien dieser Eliten umzusetzen.
In dieser Hinsicht ähnelt Labour stark der Demokratischen Partei der USA – und genauso wie die globalen Eliten in Amerika und die Demokraten die Politik der Spaltung in diesem Land geschaffen haben, ist auch die Regierung von Andrews in Victoria denselben Weg gegangen. Anders als in den USA steckt dieser Prozess in Victoria noch in den Kinderschuhen – aber die verräterischen Anzeichen sind da. Victoria ist ein tief gespaltener Staat – wirtschaftlich, politisch und ideologisch. In Victoria werden zum Beispiel die sogenannten "Kulturkriege" mit besonderer Heftigkeit geführt.
Die konservativen politischen Oppositionsparteien sind völlig zahnlos – was es dem Andrews-Regime in den letzten Jahren ermöglicht hat, die Politik zu dominieren und seine Agenda umfassender als in anderen Bundesstaaten umzusetzen. All die vielen Bürger Victorias, die sich der politisch korrekten Agenda des "Vorsitzenden Dan" widersetzen, wurden gezwungen, sich der Protestpolitik anzuschließen (eine Komponente davon ist gewalttätig, extremistisch und irrational) – aufgrund der absoluten Weigerung des Andrews-Regimes, die Legitimität ihrer Ansichten anzuerkennen oder Kompromisse mit ihnen einzugehen.
Noch ist kein politischer Anführer vom Kaliber eines Trump aufgetaucht, um denen, die Andrews ablehnen, eine politische Stimme zu geben. Das Entstehen einer solchen Figur würde eine grundlegende politische Neuausrichtung erfordern, wie sie bei der Übernahme der Republikanischen Partei durch Trump stattgefunden hat – und eine solche Perspektive steht derzeit auch in Victoria nicht am politischen Horizont.
Unter diesen Umständen kann sich die aktuelle politische Krise, die durch den Versuch des "Vorsitzenden Dan" ausgelöst wurde, sein totalitäres Pandemie-Gesetz zu verabschieden – ob es nun Gesetz wird oder nicht –, nur noch verschärft werden. Leider müssen sich die Bürger Victorias auf absehbare Zeit auf weitere Proteste und anhaltende politische Dysfunktion einstellen.
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Übersetzt aus dem Englischen.
Graham Hryce ist ein australischer Journalist und ehemaliger Medienanwalt, dessen Beiträge in "The Australian", "Sydney Morning Herald", "The Age", "Sunday Mail", "Spectator" und "Quadrant" erschienen sind.
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