Meinung

Vom "Impfstoff-Murks" zur "Wunderwaffe aus Russland" – Sputnik V in den deutschen Medien

Im Sommer 2020 wurde in den deutschen Medien eine Propagandaschlacht gegen Sputnik V geschlagen. Im Februar 2021 avanciert der russische Impfstoff nun zur "Hoffnung": "Können die Russen Europas Impfkampagne retten?" Eine Zeitreise durch den deutschen Blätterwald.
Vom "Impfstoff-Murks" zur "Wunderwaffe aus Russland" – Sputnik V in den deutschen Medien

von Mark Hadyniak

Einer der bekanntesten Songs von Bob Dylan heißt "The times they are a-changin" – "Die Zeiten ändern sich". So trivial diese Feststellung ist, so treffend ist sie. Ein aktuelles Beispiel dafür ist die Rezeption von dem russischen Corona-Impfstoff Sputnik V in den deutschen Medien: Im August 2020 als "Impfstoff-Murks" (FAZ), "üble Impfstoff-Propaganda" (Süddeutsche Zeitung) oder "Putins Corona-Prestigeobjekt" (Deutsche Welle) diffamiert, wird der Impfstoff des Gamaleja-Instituts für Epidemiologie und Mikrobiologie in Moskau nun zu einer "Hoffnung" (ZDF/Süddeutsche Zeitung), einer "Wunderwaffe aus Russland" (MDR), die man unbedingt haben muss – "Her mit dem Russen-Impfstoff" (RTL).

Als der russische Präsident Wladimir Putin am 11. August 2020 bekannt gab, dass der russische Impfstoff Sputnik V registriert wurde, war das mediale Echo in Deutschland immens und größtenteils eintönig: "Putin betreibt üble Impfstoff-Propaganda" titelte etwa die Süddeutsche Zeitung und begründet: "Der Präsident spielt mit der Gesundheit seiner Bürger." "Ohne Rücksicht auf Sicherheit und Gesundheit der eigenen Bevölkerung" lasse Putin ein Vakzin zu. "Die Hoffnung auf einen wirksamen Impfstoff" würde "für politische Zwecke missbraucht".

"Der Impfstoff-Murks aus Moskau"

So lautete die Schlagzeile der FAZ am 11. August 2020. Putin habe "seinen Sputnik-Moment, doch Sektkorken knallen keine", denn "das rücksichtslose politische Manöver" schade "der Impfstoffentwicklung weltweit". Die Anwendung von Sputnik V sei "nichts mehr als ein gigantisches Menschenexperiment". Putin kenne "keine demokratische Pflicht", und der weltweite Wettlauf um die Impfstoffe sei "zu einem vermurksten Wettstreit der Machthaber degeneriert".

Die Auswahl der Überschriften lässt sich beliebig erweitern: Das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) fragte: "Wie sicher ist der russische Corona-Impfstoff?", der Tagesspiegel sprach unter dem Titel "So viel Mut wie nötig, so wenig Leichtsinn wie möglich" von einem "PR-Coup", durchgeführt mit "Putins Kaltblütigkeit". Die Bild sprach eine "Scharfe Warnung vor Putin-Impfstoff" aus, denn "der Corona-Impfstoff aus Russland könnte das Virus mutieren lassen".

Auch die öffentlich-rechtlichen Medien schwammen mit. So berichtete das ZDF von einem "Propaganda-Coup von Putin" und ließ "Zweifel an Russlands Corona-Impfstoff" vermelden. Im Bayerischen Rundfunk wurden daraus sogar "Große Zweifel an Sputnik V" gemacht. Bei der Deutschen Welle, dem Auslandsrundfunk der Bundesrepublik, wurde Sputnik V als "Putins Corona-Prestigeobjekt" bezeichnet, das "in finanzieller Hinsicht für Russland" wirksam werden solle.

Besonders geschmacklos war ein Satire-Artikel der Welt, in dem die Nachricht aufgegriffen wurde, Putins Tochter habe sich mit dem neuen Impfstoff impfen lassen. Kurzerhand wurde ein Bild von der Comicfigur Hulk genommen und mit dem Untertitel versehen: "Putins Tochter klagte nach der Injektion im Labor lediglich über leichtes Fieber". "Außer ein paar Wutanfällen sei sie ganz normal, heißt es aus dem zerstörten Labor".

Im September 2020 startete eine zweite Welle der Sputnik-V-Skepsis in den deutschen Medien. Die Süddeutsche Zeitung meldete, es gebe "Neue Zweifel an russischem Corona-Impfstoff". Für den Deutschlandfunk Kultur war die Entwicklung des russischen Corona-Impfstoffs "ein zweifelhafter Durchbruch". Der Spiegel erhob den "Verdacht auf Manipulation bei Russlands Impfstoff Sputnik V" und stellte die Echtheit der russischen Forschungsergebnisse in Frage. Selbst nach der Verteidigung ihrer Forschungsergebnisse urteilte der Spiegel: "Russische Forscher können Vorwurf der Fälschung nicht ausräumen". Das Handelsblatt formulierte deutlich:

"Photoshop oder würfeln? – Westliche Forscher vermuten Betrug bei Corona-Impfstoff"

Im November 2020 glaubte die Zeit zu wissen: "Russlands Impfstoff gerät ins Hintertreffen". Russland werde seinen Vorsprung verlieren – durch die Forschungen von BioNTech und Pfizer. Obwohl selbst das Magazin Focus anerkennen musste, Sputnik V habe "eine Wirksamkeit von 92 Prozent". Die Welt  bewertete die gesamte Produktion von Sputnik V als "begünstigt von Elitefilz". Das Magazin Cicero erachtete Russland im Dezember 2020 als "Verlierer im 'Space-Race' um den besten Impfstoff".

Die TAZ scheute sich nicht, in einem Satire-Artikel mit dem Titel "Die Wahrheit" vermeintliche Nebenwirkungen von Sputnik V zum Besten zu geben:

"Der Beipackzettel verspricht nicht nur Wirksamkeit gegen das Virus, 'Sputnik V' heilt auch Homosexualität sowie Fall- und Nesselsucht. Die Nebenwirkungen sind mit denen eines Terpentin-Vollrauschs vergleichbar. Noch Wochen nach der Einnahme von 'Sputnik V' fühlten wir uns wie ins All geschossen, dafür wuchsen uns hübsche Pelzmützen."

Der Umschwung im Jahr 2021

Ende Januar 2021 titelte die Welt beinahe resigniert: "Jetzt ist sogar Sputnik V in Europas engerer Auswahl". Mit dem Verweis auf die Lieferschwierigkeiten von BioNTech und Pfizer sowie AstraZeneca wird Sputnik V ins Gespräch gebracht – aber mit der hartnäckigen Warnung, dass "die Wirksamkeit des Impfstoffs nach internationalen Standards noch nicht erwiesen ist".

Spätestens am 2. Februar 2021 folgt dann der Umschwung. Die Tagesschau titelt: "Studie bescheinigt Sputnik V hohe Wirksamkeit". Unter Berufung auf die Veröffentlichung der russischen Forschungsergebnisse in der Fachzeitschrift The Lancet könne man melden, das russische Vakzin habe "eine Wirksamkeit von 91,6 Prozent". Und auf einmal scheint sich ein Knoten in den deutschen Medien gelöst zu haben.

Die Süddeutsche Zeitung titelt am 3. Februar:

"Hohe Wirksamkeit, einfache Lagerung: Sputnik V macht Hoffnung"

"Hoffnung" ist der Begriff, der plötzlich zusammen mit Sputnik V genannt wird. Das ZDF  schreibt von der "Hoffnung auf Sputnik V". Über eine schnelle Zulassung in der EU wird spekuliert. Sogar die Bild  fragt: "Hat der Putin-Impfstoff eine Chance?" Es steht wohl viel auf dem Spiel, wenn das Handelsblatt nachdrücklich fragt:

"Können die Russen Europas Impfkampagne retten?"

Laut dem Handelsblatt erreicht Europa "inmitten des Impfchaos" "ein Angebot aus Russland […], mit seinem Vakzin Sputnik V" zu helfen. Der Fernsehsender RTL lässt einen "begeisterten" Experten fordern:

"Her mit dem Russen-Impfstoff!"

Die Welt  analysiert, was "Sputnik V dem Impfstoff von AstraZeneca voraus" habe: nicht nur die höhere Wirksamkeit insgesamt, sondern auch die nachgewiesene Wirksamkeit bei Menschen über 60 Jahren, die geringe Rate von Nebenwirkungen und vor allem die Verfügbarkeit – ein "Sputnikschock". Im Spiegel meldet sich Karl Lauterbach zu Wort und hält die russischen Forschungsergebnisse für belastbar – die Prüfer des Fachmagazins The Lancet seien "absolute Profis" und "sehr vertrauenswürdig".

Der MDR lässt sich sogar zu der Formulierung hinreißen:

"Corona-Impfstoff Sputnik V – Wunderwaffe aus Russland?"

Eine Kehrtwende machte auch beispielsweise Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Er äußerte sich zum Thema Sputnik V am 12. August 2020 und am 3. Februar 2021, nachzulesen Tagesspiegel. Im August vorigen Jahres äußerte sich Spahn skeptisch über den russischen Impfstoff: "Nach allem was wir wissen, ist das nicht hinreichend erprobt". Anfang Februar diesen Jahres spricht er von "ermutigenden" Daten: "Ich freue mich über jeden Impfstoff, der Wirksamkeit zeigt und sicher ist".

Bei manchen deutschen Medien bleibt aber die eingeimpfte Skepsis sitzen. Die FAZ  fragt noch immer: "Wie vertrauenswürdig ist Sputnik V?" und versucht, die russischen Forschungsdaten in ein zweifelhaftes Licht zu rücken: "Rein theoretisch ist es wie in allen vergleichbaren Studien denkbar, dass die Daten manipuliert worden sein könnten; wenn intelligent gefälscht wird, können die Prüfer dies nicht erkennen."

Der Spiegel sieht vor allem eine Gefahr, "politisch geimpft" zu werden. Denn der Kreml nutze "die Coronakrise politisch aus". Beispiele aus der "Ostukraine" werden bemüht, um zu zeigen, wie Russland über die Impfstofflieferungen Politik mache. Zudem sei Sputnik V "seit Monaten durch Intransparenz, Misstrauen und fragwürdige Studiendaten in Verruf geraten".

Die stärksten Vorbehalte meldet aber das Magazin Focus an, es fragt: "Können wir Sputnik V trauen?"

"Ein Corona-Impfstoff aus Russland? Da springt bei westlich sozialisierten Menschen sofort der Kalte-Krieg-Reflex an: Kann es sein, dass im Osten eine Hightech-Forschung so erfolgreich ist, in einem Land, das bei der Medizinforschung nicht in der ersten Reihe steht? Wo sich Wissenschaftler so ungern in die Karten schauen lassen, als gäbe es den Eisernen Vorhang noch. Und wo ein Impfstoff schnell mal zugelassen wird, wenn er bei einer Handvoll Versuchspersonen keinen größeren Schaden angerichtet hat."

Besonders kritikwürdig scheint der Focus-Online-Autorin Petra Apfel zu sein, dass Russland "seinen kostengünstigen Impfstoff großzügig Putin-freundlichen Staaten angeboten" habe – "gerade den finanzschwachen", so etwa Indien, Brasilien, Usbekistan, Mexiko, Ägypten und Nepal. Damit verschaffe sich der "Putin-Staat" "wertvolle Sympathiepunkte im globalen Streit um Einfluss zwischen dem Westen und China".

Dylans Song schließt mit den drei Zeilen: "The order is rapidly fadin' / And the first one now will later be last / For the times they are a-changin'". Übersetzt ins Deutsche lauten sie etwa: "Die [bisherige] Ordnung löst sich rasch auf / Und der Erste jetzt wird später der Letzte sein / Denn die Zeiten ändern sich".

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