Deutschland

Erfolglose Digitalisierung spaltet zunehmend Schulwesen und Gesellschaft

Zwei Jahre "Digitalpakt Schule" und immer noch fehlen Computer und digitale Infrastruktur an vielen Schulen. Ungleiche Lernbedingungen verschärfen die soziale Spaltung der Gesellschaft, warnt die Bildungsgewerkschaft GEW.
Erfolglose Digitalisierung spaltet zunehmend Schulwesen und GesellschaftQuelle: www.globallookpress.com © Antonio Pisacreta/Ropi

Eine Analyse von Bernd Müller

Deutschland kommt bei der Digitalisierung nicht voran. Im europäischen Vergleich liegt die Bundesrepublik auf dem vorletzten Platz – vor Albanien. Kurz vor der Wahl zum Bundestag haben die Christdemokraten verkündet, nun durchstarten zu wollen – nachdem sie in den letzten 16 Jahren die Entwicklung verschlafen hatten.

Besonders deutlich zeigt sich das an den Schulen, wie eine aktuelle Studie belegt, die am Mittwoch von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) vorgestellt wurde. Dabei war von einer "digitalen Spaltung" die Rede. "Die Möglichkeiten der Lehrkräfte, einen zeitgemäßen Unterricht mit digitalen Medien und Techniken umzusetzen, sind extrem ungleich verteilt", sagte GEW-Vorstandsmitglied Anja Bensinger-Stolze. Das wirke sich negativ auf die Bildungschancen der Schüler aus. "Die Folge: Die soziale Spaltung in der Gesellschaft vertieft sich", betonte sie.

Laut Studie gehörten Anfang 2021 ein Drittel der Schulen in Deutschland zu den "Digitalen Nachzügler-Schulen", 29 Prozent galten als digitaler Durchschnitt, 26 Prozent als "digital orientierte Schulen" – und nur zwölf Prozent der Schulen zählen zu den digitalen Vorreitern.

In der Praxis fällt der Unterschied dramatisch aus. Unter den Nachzüglern verfügt nur knapp jede dritte Schule (37 Prozent) über eine digitale Strategie, an den "Vorreiter-Schulen" sind es dagegen 90 Prozent. Bei ersteren verfügen nur 39 Prozent der Lehrer und 22 Prozent der Schüler über WLAN, bei den Vorreitern sind es dagegen 96 und 87 Prozent. Studienleiter Frank Mußmann verwies darauf, dass Schüler an den "Vorreiter-Schulen" deutlich intensiver lernten, digitale Inhalte zu erstellen und Informationen im Netz zu prüfen.

Es wird immer wieder behauptet, mit der Corona-Pandemie setzte ein Schub bei der Digitalisierung der Schulen ein. Dabei wird aber oft ausgeblendet, dass es in dieser Zeit vor allem nur um die Möglichkeit des Fernunterrichts ging – und das gelang mehr schlecht als recht, wie zahlreiche Studien in den letzten Monaten zeigten. Der vielgepriesene Digitalisierungsschub kam in den Schulen kaum an. Laut Studie hat sich der Anteil der digital zurückliegenden Schulen nur von 66 Prozent auf 62 Prozent verringert.

Ein Grund für die "digitale Spaltung" könnte darin liegen, dass die Fördermittel aus dem "Digitalpakt Schule" auch zwei Jahre nach dessen Start kaum den Weg zu den Schulen gefunden haben. Die Bundesregierung hatte insgesamt 6,5 Milliarden Euro bereitgestellt. Anfang September wurde allerdings bekannt, dass nur ein kleiner Teil davon bislang abgerufen wurde.

Aus dem halbjährlichen Bericht des Bundesbildungsministeriums ging hervor, dass zum Stichtag 30. Juni nur 852 Millionen Euro abgerufen wurden. Beantragt und bewilligt, aber noch nicht ausgezahlt waren weitere 1,4 Milliarden Euro. Zwei Drittel des Fördertopfes liegen demnach noch brach.

Der "Digitalpakt" ist ein Förderprogramm, mit dem Schulen für das digitale Lernen fitgemacht werden sollten. Anfangs hatte die Bundesregierung fünf Milliarden Euro bereitgestellt für digitale Lernplattformen, den Aufbau von schuleigenem WLAN, die Beschaffung von interaktiven Tafeln und für andere Investitionen. Im Zuge der Corona-Pandemie wurde das Förderprogramm dreimal aufgestockt: 500 Millionen Euro für Laptops für Schüler aus bedürftigen Familien, 500 Millionen Euro für Dienstlaptops für Lehrer und weitere 500 Millionen Euro für sogenannte Schuladministratoren, die sich um die Technik kümmern.

Aber allein der Fördertopf für Schülerlaptops wurde weitgehend ausgeschöpft; 470 Millionen Euro wurden abgerufen. Für die Lehrer wurde deutlich weniger ausgegeben: gerade einmal 192 Millionen Euro. Und aus dem Posten für Schuladministratoren wurden bis zum Stichtag lediglich 8.800 Euro abgerufen; beantragt und bewilligt wurden 6,8 Millionen Euro. Von den fünf Milliarden Euro aus dem Basis-Digitalpakt wurden auch nur 189 Millionen Euro bis zum Stichtag abgerufen.

Dass so wenig Geld abgerufen wurde, liegt laut Verband Bildung und Erziehung (VBE) an zu komplizierten Antragsverfahren. Der VBE-Vorsitzende Udo Beckmann verwies laut der Nachrichtenagentur dpa auf die vielen Aufgaben, die Schulen ohnehin schon zu erledigen hätten. Seiner Meinung nach müsse die Antragstellung einfacher werden.

Bislang müssen Schulen und ihre Träger, die in der Regel die Kommunen sind, sogenannte technisch-pädagogische Einsatzkonzepte erstellen, um an die Mittel aus dem Digitalpakt zu kommen. Es müssen also Fragen beantwortet werden wie: Wie ist die Schule ausgestattet? Was wird gebraucht und warum? Wie sollen Lehrkräfte für die Nutzung der Technik qualifiziert werden? Doch in der Corona-Krise gelang es vielen Schulleitungen nicht, entsprechende Konzepte zu erarbeiten. Und Bildungsministerin Anja Karliczek (CDU) war auch nicht sonderlich bemüht, das Antragsverfahren weniger bürokratisch zu gestalten.

Dass die Mittel für Schuladministratoren kaum abgerufen wurden, hat aber noch einen anderen Grund: Es sind am Arbeitsmarkt kaum IT-Fachleute zu finden. Außerdem zahlt die Wirtschaft besser als die Kommunen. Deshalb schlägt GEW-Vorstand Ralf Becker vor, dass die Kommunen selber IT-Kräfte ausbilden sollen. Eine schnelle Lösung dürfte das allerdings nicht sein.

Becker betonte aber: "Wir dürfen die Digitalisierung an der Schule nicht auf Ausstattungsfragen reduzieren". Drei Balken im WLAN-Symbol bedeute nicht automatisch gute Bildung. "Digitalisierung an Schulen ist aber eben auch eine Qualitäts- und Zeitfrage." Die Technik müsse auch pädagogisch sinnvoll eingesetzt werden können. Dafür brauche es Zeit und Ressourcen für Fort- und Weiterbildung.

Letztlich brauche es auch mehr Lehrer, heißt es in der Studie. Der Spielraum für Neuerungen an Schulen bleibe gering, wenn die Arbeitsbedingungen der Lehrkräfte "durch sehr hohe Stundenverpflichtungen und eine hohe Arbeitsintensität geprägt bleiben". In der Corona-Krise stieg demnach die wöchentliche Arbeitszeit der Lehrkräfte um bis zu 60 Minuten. Dabei arbeiteten Lehrer laut Studie schon vor der Pandemie länger als 40 Stunden in der Woche. Ein Viertel von ihnen soll sogar mehr als 48 Stunden in der Woche gearbeitet haben. "Das ist eine sehr hohe Arbeitsbelastung und gefährdet die Gesundheit." Und das mache den Beruf des Lehrers noch weniger attraktiv.

Eine schnelle Lösung wird es nicht geben – und so wird sich neben der "digitalen Spaltung" der Schulen auch die soziale Spaltung der Gesellschaft weiter vertiefen.

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