Gestiegene Lebenserwartung und Stabilität: Weltbank-Ökonom würdigt Russlands übersehene Erfolge
Nach fünf Jahren im Amt verlässt Apurva Sanghi, der Chefökonom der Weltbank für Russland, seinen Posten. In seiner Abschiedskolumne reflektiert der Physiker und Wirtschaftswissenschaftler im Kommersant die Entwicklung Russlands und verweist auf eine Reihe unzureichend gewürdigter Fortschritte. Denn wenn es auch Potenzial und Luft nach oben gebe, würden die Errungenschaften des Landes meist übersehen.
So habe Russland allein in den letzten sechs Jahren eine "beeindruckende makroökonomische Stabilität" erreicht. Die Inflation, die zuvor zweistellige Werte hatte, ist nunmehr unter Kontrolle. Das Land ist zudem weniger abhängig von Öl und Gas als noch vor fünf Jahren:
"Dies ist keine kleine Leistung", so der Wirtschaftsexperte.
Auf der anderen Seite habe er auch geschrieben, dass die Vorwärtsbewegung durch ein schleppendes Potenzialwachstum gebremst wird. Doch scheint es zunächst angebracht, drei weniger bekannte russische Entwicklungsleistungen hervorheben, da diese oft übersehen werden.
"Die erste ist der Anstieg der Lebenserwartung in Russland von 65,3 Jahren im Jahr 2000 auf 72,7 Jahre im Jahr 2018."
Dies ist vor allem auf einen Rückgang der Sterblichkeit durch nicht übertragbare Krankheiten wie Herzinfarkte und Schlaganfälle sowie externe Ursachen wie Verkehrsunfälle und Tötungsdelikte zurückzuführen.
Darüber hinaus, schreibt der Chefökonom weiter, ist seit dem ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts ein Rückgang der Sterblichkeitsrate bei Erwachsenen und insbesondere bei Kindern zu verzeichnen. So sei die Säuglingssterblichkeit zwischen 2011 und 2017 um 36 Prozent und die Müttersterblichkeit im selben Zeitraum sogar um 49 Prozent zurückgegangen.
"Während wir jetzt alle mit der Pandemie beschäftigt sind, sollte eine längerfristige Perspektive genutzt werden, um die tatsächlichen Erfolge Russlands bei der Erhöhung der durchschnittlichen Lebenserwartung zu bewerten", so Sanghi.
Im Hinblick auf Finanzkrisen erklärt der Experte, dass weltweit ein oft übersehener Fakt sei, dass nicht nur die Regierungen diese vermeiden müssen, sondern dass auch die Bürger bei ihren finanziellen Entscheidungen besser informiert sein müssen.
"Russland war eines der ersten Länder, das die Vorteile der finanziellen Bildung erkannt hat und sehr erfolgreich bei der Verbesserung der finanziellen Bildung sowohl bei Erwachsenen als auch bei Schulkindern war", so der Ökonom im Hinblick auf mögliche Finanzkrisen.
Russland habe nicht nur bei den Child & Youth Finance International Global Inclusion Awards im Jahr 2016 den ersten Platz von 132 Ländern erreicht, sondern ist laut Singh auch unter den Top Ten der G20-Länder bei der finanziellen Bildung.
Den dritten Punkt, den Singh erläutert, sind die Erfolge Russlands bei der Verbesserung der Qualität der Steuerverwaltung. Gestützt auf jahrhundertealte Lehren und Erfahrung, sei Russland heute "einer der Weltmarktführer in der Nutzung von Echtzeittechnologie und Primärdaten" und habe es geschafft, eine Kultur der Steuerhinterziehung zugunsten der Steuerehrlichkeit abzuschaffen. Der Erfolg Russlands bei der Modernisierung seiner Steuerverwaltung sei nicht so bekannt, wie er es verdiene, doch wachse das weltweite Interesse daran, schreibt Sanghi.
Auch wenn es weiterhin große Unterschiede zwischen der Lebenserwartung von Männern und Frauen gibt – Letztere leben beinahe zehn Jahre länger – oder die Verbreitung neuer Kryptowährungen weitere finanzielle Bildung und entsprechenden Verbraucherschutz verlange, verdienen laut Sanghi die sowohl in Russland selbst als auch im Ausland nicht gewürdigten Erfolge eine größere Anerkennung.
Der Reichtum Russlands liege vor allem im Einfallsreichtum und der Kreativität seiner Menschen – dies habe eine unkonventionelle Analyse der Weltbank ergeben und dies sei auch durch Sanghis eigene Beobachtungen im Land bestätigt worden:
"In der Tat stammt fast die Hälfte des russischen Reichtums aus seinem Humankapital – der gesammelten Erfahrung, dem Wissen und den Fähigkeiten seiner Menschen."
Erst dann seien das Sachkapital und das Naturkapital zu nennen, die etwa ein Drittel bzw. ein Fünftel des russischen Reichtums ausmachen.
"Im Gespräch mit Studenten von verschiedenen Universitäten und Hochschulen habe ich ihr reges Interesse, ihre scharfen und gezielten Fragen, ihren Sinn für Humor und vor allem ihren Wunsch erlebt, ihr Land besser zu machen."
Russland als eine gleiche Einheit zu analysieren, sei gleichbedeutend damit, sie als leere Matrjoschka-Puppe zu betrachten, so der Analyst, der auch einer der Hauptautoren des Sonderberichts des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) ist, nach seinen fünf Jahren Fokus auf das Land.
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