Impfempfehlung für Kinder: Offenbar mehr politisch als medizinisch motiviert
von Susan Bonath
Vor gut einem Monat saß Thomas Mertens, Chef der Ständigen Impfkommission bei Lanz in der Talkshow. Er würde seine Enkel momentan nicht impfen lassen, sagte er und erklärte warum: Die Datenlage sei zu dünn, das Risiko könnte den Nutzen überwiegen. Er führte als Beispiel Herzmuskelentzündungen an, die vermehrt bei jungen Menschen nach einer Impfung auftreten. Laut der US-Gesundheitsbehörde CDC trat bei Jugendlichen bisher ein solcher Fall pro 15.000 bis 18.000 Impfdosen auf. Fast alle Betroffenen seien im Krankenhaus behandelt worden. Zu 80 Prozent hätten sie sich zum Abschluss der Untersuchungen erholt.
Nachdem am Montag die Schlagzeile durch die Leitmedien gegangen war, wonach die STIKO plötzlich umgeschwenkt sei und die Impfung nun doch für alle Zwölf- bis 17-Jährigen empfehle, auch wenn diese keine bestimmten Vorerkrankungen mit erhöhtem COVID-Risiko haben, legten die Bundesländer umgehend damit los, Impfaktionen für Kinder und Jugendliche zu planen.
Doch wie kam es zu dieser plötzlichen, völlig neuen Risikoeinschätzung? Zu Recht sind Eltern, die ihre Kinder nicht mit den bedingt zugelassenen Vakzinen Pfizer/BioNTech oder Moderna impfen lassen wollen, verunsichert: Müssen sie ab 11. Oktober die vorgeschriebenen Coronatests für ihre Kinder ebenfalls selbst bezahlen, wie es dann auch für ungeimpfte Erwachsene gilt – und das vielleicht sogar täglich? Welche Strafen drohen ihnen, wenn sie sich das nicht leisten und ihre Kinder trotz Schulpflicht nicht zum Unterricht schicken können?
Gab das RKI in Wahrheit gegen den STIKO-Rat dem politischen Druck nach?
Die schriftliche Antwort von Sebastian Gülde, Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums (BMG), vom 17. August an die Autorin war ausweichend, aber dafür umso bedrückender. Gülde geht auf die Frage nach der STIKO-Empfehlung für Zwölf- bis 17-Jährige gar nicht ein. Statt dessen führt er aus:
"Der Beschluss der Ministerpräsidenten-Konferenz (MPK) vom 10. August 2021 sieht aber vor, dass es 'für Personen, die nicht geimpft werden können und für die keine allgemeine Impfempfehlung vorliegt (insbesondere Schwangere, Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren) weiterhin die Möglichkeit zum kostenlosen Antigen-Schnelltest geben' wird."
Das legt zum Einen nahe: Es existiert wohl noch gar keine fertige STIKO-Empfehlung. Warum sonst sollte der BMG-Sprecher am Tag nach der angeblichen Empfehlung erklären, dass diese für Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren noch nicht vorliege. Dann trifft wohl zu, was das Robert-Koch-Institut (RKI), dem die STIKO angehört, im letzten Absatz seiner Pressemitteilung vom Montag verkündete: Es handele sich um einen Beschlussentwurf, der sich noch in seinem sogenannten "Stellungnahmeverfahren mit den Bundesländern und den beteiligten Fachkreisen" befinde, also noch nicht abgesegnet ist.
So explizit ging das aus der Medienberichterstattung nicht hervor. Die Tagesschau stellte die Empfehlung zu Beginn ihres Beitrages wie eine unumstößliche Tatsache dar. Es stellt sich die Frage: Sollten durch die RKI-Mitteilung und die folgende Berichterstattung die öffentliche Meinung entsprechend konditioniert, aber auch gesellschaftliche Reaktionen vorab abgeklopft werden? Eins steht wohl inzwischen fest: Der politische Druck auf die STIKO und das RKI war enorm. Das beklagte man dort sogar selbst. Machte das RKI vielleicht sogar eigenständig und gegen die STIKO-Meinung Nägel mit Köpfen, allein dem politischen Druck folgend?
Impfzwang für Kinder durch die Hintertür durch kostenpflichtige Tests?
Letzteres legt zumindest ein mitgeschnittenes Telefongespräch einer Ärztin mit einer RKI-Mitarbeiterin vom 16. August, also nach der vermeintlichen Empfehlung, nahe. Darin räumt die RKI-Sprecherin nicht nur ein, dass etwaige negative Langzeitfolgen durch die Impfung noch gar nicht bekannt sein können, weder bei Kindern noch bei Erwachsenen. Sie beteuert auch: Es gebe noch gar keine generelle Empfehlung für die Kinder-Impfung, nur eine Notfallzulassung. Wörtlich sagte sie in dem Mitschnitt:
"Was jetzt durch die Presse und überall herum geistert, ist letztendlich, dass sie sagen, 'Okay, der Impfstoff hat die Zulassung.' Dann wird jetzt sozusagen auch irgendwo Druck aufgebaut, weil dann verschiedene Bundesländer letztendlich auch hier sagen: 'Also Schule, da sollte man geimpft sein', und dass sie deswegen das ... durch die Hintertür versuchen. Aber ganz offiziell ist: also er hat die Zulassung, und damit kann es jeder selber entscheiden und muss es auch selber verantworten – und die STIKO hat's empfohlen explizit für Kinder, die eben Vorerkrankungen haben."
Vielleicht ist das alles aber lediglich eine Hinhalte-Taktik, möglicherweise um die Konsequenzen nicht zu diskutieren und die Bevölkerung schließlich vor vollendete Tatsachen zu stellen. Genau dies ist ein Umkehrschluss aus Güldes Aussage (siehe oben), wonach die auch für den Schulbesuch vorgeschriebenen Coronatests ab dem 11. Oktober nur noch für jene kostenfrei sind, für die es keine Impfempfehlung gibt.
Kommt es also in den kommenden Tagen zu einer entsprechenden STIKO-Empfehlung – in welcher Art und Weise auch immer – dann gehören Zwölf- bis 17-Jährige nicht mehr dazu. Daran ändert die anschließende Aussage des BMG-Sprechers nichts, wonach die MPK zugleich beschlossen habe, "dass Schülerinnen und Schüler im Rahmen eines verbindlichen schulischen Schutzkonzeptes regelmäßig getestet werden". Weder äußert sich Gülde zu etwaigen Kosten, noch benennt er das Alter der "Schülerinnen und Schüler".
Was also ist jetzt richtig? Gibt es die STIKO-Empfehlung oder mindestens die Beschlussvorlage, ja oder nein? Eine entsprechende Nachfrage ließen sowohl BMG-Sprecher Gülde als auch das RKI bis zum Mittwochnachmittag unbeantwortet.
Offen blieb noch einiges mehr: Müssen Eltern von Schülern ab zwölf Jahren, denen das Risiko zu groß ist, ihre Kinder gegen Corona impfen zu lassen, künftig täglich einen kostenpflichtigen Antigen-Schnelltest finanzieren, da dessen Ergebnis laut MPK-Beschluss nur noch 24 Stunden gelten soll? Was erwartet Eltern, die das Geld dafür dann nicht aufbringen können? Wird die Schulpflicht für diese Schüler ausgesetzt oder drohen den Familien Bußgelder, in allerletzter Konsequenz vielleicht sogar die Inobhutnahme des Kindes durch das Jugendamt?
Gab es überhaupt COVID-19-kranke Kinder auf Intensivstationen? Keiner weiß es
Ebenso wenig versorgten das BMG oder das RKI die Autorin mit handfesten Daten, die das Risiko einer schweren COVID-19-Erkrankung für Zwölf- bis 17-Jährige den Risiken durch eine Impfung gegenüber stellen könnten. Abgesehen davon, dass in der Zulassungsstudie von Pfizer/BioNTech rund 80 Prozent der Kinder Nebenwirkungen wie Fieber, Kopfschmerzen, Schüttelfrost und ähnliches erlitten, beträgt das Risiko vor allem für männliche Jugendliche laut CDC, durch die Impfung eine Herzmuskelentzündung zu erleiden, immerhin eins zu 15.000 bis 18.000 Impfdosen.
Würden alle rund vier Millionen Minderjährigen dieser Altersgruppe in Deutschland geimpft werden, gäbe es bei zwei Dosen pro Kopf immerhin rund 440 bis 530 solcher schwerwiegenden Fälle, die in einer Klinik behandelt werden müssten – mit unbekannten Langzeitschädigungen, für welche die Impfstoffhersteller keinerlei Haftung übernehmen müssen. Dieses inzwischen bekannte Risiko müsste dem Risiko eines schweren oder gar tödlichen COVID-19-Verlaufs gegenüber gestellt werden.
Doch das BMG weiß nicht einmal, wie viele Jugendliche seit März 2020 auf einer Intensivstation (ITS) wegen COVID-19 behandelt werden mussten und wie viele davon explizit an COVID-19 starben. Sprecher Gülde verwies auf den RKI-Wochenbericht vom 12. August. Aus diesem gehen aber diese Zahlen nicht hervor. Man kann dort lediglich aus einem Diagramm entnehmen, dass bisher kaum Kinder der Altersgruppe null bis 14 Jahre mit einem positiven Test in einer Klinik behandelt wurden. Die nächste zusammengefasste Altersgruppe reicht bereits von 15 bis 34 Jahren. Diese Daten liefern keine relevante Aussage. Zudem ist ein Klinikaufenthalt nicht gleich Intensivstation, genauso wie ein positiver Test nicht heißt, dass jemand wegen der Erkrankung COVID-19 behandelt wurde.
Auch das RKI liefert diese Zahlen nicht. Vor einigen Wochen erklärte es der Autorin, es habe keine Daten zu intensivmedizinisch wegen COVID-19 behandelten Kindern. Auf eine neue Anfrage übermittelte es einen Link zum DIVI-Intensivregister. Das erfasst aber lediglich grob die Altersgruppen der fortlaufenden ITS-Belegung. Konkrete Zahlen zu Kindern und Jugendlichen unterschiedlichen Alters, die bisher tatsächlich wegen eines schweren COVID-Verlaufs behandelt wurden, fehlen.
Hätte, könnte, vielleicht: Schwammige Begründung im Konjunktiv
In seiner Pressemitteilung vom Montag, in der das RKI die anstehende Impfempfehlung der STIKO für Zwölf- bis 17-Jährige verkündet, nennt es "neue Überwachungsdaten, insbesondere aus dem amerikanischen Impfprogramm mit nahezu zehn Millionen geimpften Kindern und Jugendlichen" als Grund für die 180-Grad-Wende. Danach könnten nun "mögliche Risiken der Impfung für diese Altersgruppe jetzt zuverlässiger quantifiziert und beurteilt werden".
Die bei dieser Altersgruppe aufgetretenen und als Nebenwirkung anerkannten Herzmuskelentzündungen bezeichnet es als "sehr seltene" Folge, die bevorzugt bei jungen männlichen Geimpften auftrete. "Sehr selten" bedeutet im Fachjargon, dass eine Nebenwirkung bei weniger als einer von 10.000 Personen auftritt, die ein bestimmtes Arnzeimittel einnimmt. Wörtlich schreibt das RKI:
"In der Mehrzahl der Fälle wurden die Patienten mit diesen Herzmuskelentzündungen hospitalisiert, hatten jedoch unter der entsprechenden medizinischen Versorgung einen unkomplizierten Verlauf."
Was das RKI nicht schreibt: Wie verlief die Erkrankung aufgrund der Impfung bei der Minderzahl nicht hospitalisierter Betroffener? Gab es Todesfälle? Wenn ja: Wie viele? Was würde passieren, wenn ein betroffener Jugendlicher nicht schnell genug ärztliche Hilfe bekommt? Statt hier Klarheit zu schaffen, verweist das Bundesinstitut in der Mitteilung darauf, dass insgesamt bei COVID-19 auch das Herz an der Erkrankung beteiligt sein könne. Wie oft und in welchen Altersgruppen dies bisher der Fall war, sucht man vergeblich. Anschließend wird abgewiegelt: Neuere Untersuchungen aus dem Ausland zeigten keine Signale für weitere schwere Nebenwirkungen nach mRNA-Impfung. Aber was heißt für das RKI eigentlich "schwer"?
Mathematische Modellierungen, relativierte Nebenwirkungen, keine Daten zur COVID-Gefahr
Schließlich begibt sich das RKI in das Reich mathematischer Modellierungen, die seit dem Ausrufen der Corona-Pandemie durch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) im Rückblick eher weit entfernt von der Realität lagen. Diese aktuellen Modellierungen berücksichtigen allerdings die neue, dominierende "Delta-Variante" des Corona-Virus. Sie zeigten, auf welche Art auch immer, "dass für Kinder und Jugendliche ein deutlich höheres Risiko für eine SARS-CoV-2-Infektion in einer möglichen Infektionswelle besteht". Die RKI-Experten begründen die verkündete STIKO-Empfehlung also mit dem Konjunktiv: Könnte ja sein.
Was in der Begründung ebenfalls fehlt, sind Daten zu schweren COVID-19-Erkrankungen bei Kindern. Und wörtlich führt das RKI ferner aus: "Unsicher bleibt, ob und wie häufig Long-COVID bei Kindern und Jugendlichen auftritt." Das der Bundesregierung unterstellte Institut, an dessen Expertise sich die Politik angeblich akribisch orientiert, weiß also noch nicht einmal, ob die mediale Erregung über ein angebliches Syndrom namens Long-COVID mit allerlei unspezifischen Symptomen, wie Fieber und Müdigkeit, überhaupt irgendeine wissenschaftliche Grundlage hat, ja, ob selbiges überhaupt existiert? Es scheint so.
Auch zur sogenannten Delta-Variante fehlen konkrete Daten zu schweren COVID-19-Erkrankungen bei Minderjährigen.
Kurzum: Die oberste Gesundheitsbehörde verkündet eine Impfempfehlung für Kinder und Jugendliche, ohne Daten zur Krankheitsgefahr zu liefern, gegen die die Vakzine schützen sollen. Stattdessen führt sie Modell-Rechnungen ins Feld, die in der Vergangenheit vielfach kaum falscher hätten liegen können. Es weiß nicht einmal, ob es Langzeitfolgen durch COVID-19 bei Kindern überhaupt gibt, bzw. ob Verdachtsfälle darauf zurückzuführen sind. Und es verharmlost Hunderte drohende Herzentzündungen bei Kindern.
Die offenen Fragen wiegen schwer: Hat hier also nun das RKI ein politisches Machtwort gesprochen? Kam die Empfehlung nur auf politischen Druck zustande, nicht wegen medizinischer Kriterien? Kann es sein, dass Kinder zwar selbst kaum ein Risiko für schwere COVID-Infektionen haben, aber trotzdem mit experimentellen Vakzinen geimpft werden sollen, allein um Erwachsenen einen leichteren Alltag zu bescheren? Und: Wird man soweit gehen, Eltern finanziell zu nötigen, ihre Kinder impfen zu lassen? Dann wäre die Freiwilligkeit vollends ad absurdum geführt.
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