"Global Times": Der Konflikt China-USA ist kein Konflikt zwischen China und dem Westen
von Dagmar Henn
Wer die Entwicklung der außenpolitischen Strategie eines Landes beobachtet, greift dabei in der Regel nicht nur auf die offiziellen Erklärungen aus den zuständigen Ministerien zurück; diese geben nur wieder, was bereits etablierte Linie ist. So muss, wer wissen will, in welche Richtung sich die deutsche Außenpolitik bewegt, auch die Publikationen verschiedener Stiftungen wie des BND-Ablegers SWP beobachten. Gleichzeitig gibt es in jedem Land Kanäle, die genutzt werden, um einen strategischen Richtungswechsel anzudeuten. Dabei handelt es sich meist um bestimmte Presseorgane, und das Mittel der Wahl sind oft Kommentare.
Die englischsprachige chinesische Global Times ist da ein sehr interessantes Portal, weil sie als fremdsprachiger "Ableger" der Volkszeitung, also der Tageszeitung der Kommunistischen Partei Chinas, eine klassische Plattform bietet, um halboffizielle Mitteilungen zu verbreiten. In den letzten Tagen erschienen dort zwei nicht namentlich gekennzeichnete Kommentare, die einen Kurswechsel in der politischen Strategie im Umgang mit dem Westen andeuten.
Die außenpolitische Kommunikation Chinas war lange Jahre äußerst zurückhaltend. Als 2014 der Putsch in der Ukraine in den Bürgerkrieg führte, wurde das chinesische Missfallen an dieser Entwicklung durch einen Artikel bekundet, in dem ein Professor einer Militäruniversität seine Sorge kundtat, dies könne in einen großen Krieg führen. Die immer enger werdende Zusammenarbeit zwischen China und Russland wurde 2015 durch je eine chinesische wie eine russische Militärdelegation bei den jeweiligen Paraden zum 75. Jahrestag des Sieges im Zweiten Weltkrieg gezeigt; ein Zeichen, das in der lauten Atmosphäre des Westens nur von wenigen beachtet wurde.
Seit damals hat sich die chinesische Ausdrucksweise deutlich verändert und zielt inzwischen darauf ab, vom westlichen Gegenüber auf jeden Fall verstanden zu werden. Die Aussagen der beiden Kommentare brauchen nur noch einen Übersetzer, um für das deutsche Publikum verständlich zu sein, keinen Deuter.
Der zweite dieser Kommentare, veröffentlicht am 05.08., schließt sich an einige Aussagen an, die schon in der Rede des chinesischen Präsidenten Xi Jinping zum hundertsten Gründungsjubiläum der Kommunistischen Partei Chinas zu hören waren; nur dass er sich deutlicher an die Adressaten wendet. In diesem Falle sind das die USA, Japan und Australien. (Und noch einmal - beide Kommentare sind nicht namentlich gekennzeichnet. Genau das macht sie zu einer offiziellen Botschaft über einen Nebenkanal).
"Wenn die USA einen wirklichen Krieg mit China und Russland beginnen, wird die Stärke ihrer Marine nicht überleben können. Für große Mächte ist die Marine eher ein Schaustück für Stärke und Entschlossenheit. Es braucht einen Test, der einem Glücksspiel gleicht, um ihre wirkliche Wirkung in modernen Kriegen herauszufinden. Wir hoffen, dass solch ein Test niemals stattfindet."
Das ist schon deutlich, aber es kommt noch deutlicher: "Wenn die USA im südchinesischen Meer militärische Kräfte einsetzen, dann sind diese, gleich, wie viele Kriegsschiffe sie schicken, nur ein Rudel Kaninchen, das selbstvergessen spielt, während Chinas Gewehre auf es gerichtet sind."
Nachdem in den letzten Monaten Australien, das seit Jahren hin- und hergerissen war, und auch Japan Anstalten machen, sich fest an die Seite der USA zu stellen, werden sie unmittelbar angesprochen: "Insbesondere Japan und Australien müssen gewarnt werden, ihre Distanz zu halten, und dass es für sie gefährlich ist, in die Fußstapfen der USA zu treten und China zu provozieren. (...) Wenn Chinas Aufstieg sie nicht überzeugt und sie das Bedürfnis verspüren, den USA dabei zu helfen, Chinas Wachstum zu unterdrücken, dann machen sie sich zu Feinden Pekings und werden zur strategischen Front der USA, China einzuhegen. Für eine solche Wahl müssen sie die volle Verantwortung übernehmen."
Im weiteren Text heißt es dann, China solle seine industrielle Stärke nutzen, um sich entsprechend zu rüsten, bis hin zur Erweiterung seiner atomaren Fähigkeiten.
Der andere Kommentar befasst sich mit dem Verhältnis zwischen den USA und ihren Bündnispartnern in Europa. Ausgangspunkt ist eine kurze Zusammenfassung der gegenwärtigen US-Strategie: "Die USA mühen sich verzweifelt, ihren Konflikt mit China zu einer Kollision des Westens mit China zu machen, und gerade die Biden-Regierung hat alles ihr mögliche getan, um dieses Ziel zu erreichen. China sollte versuchen, zwischen dem Konflikt zwischen China und den USA und Reibereien zwischen China und dem Westen zu unterscheiden. Es sollte der Welt beweisen, dass dies zwei strategisch unterschiedliche Dinge sind."
Die unterschiedlichen Interessen sind dabei der Schlüssel; und dieser strategische Kurswechsel zeigt sich bereits in der Praxis, in den letzten chinesischen Reaktionen auf US-Sanktionen. Während die USA bereits seit Jahrzehnten Unternehmen sanktionieren, die ihren einseitig verhängten Sanktionen keine Folge leisten (z. B. im Zusammenhang mit Kuba), hat China jüngst verkündet, jene Unternehmen zu sanktionieren, die die US-Sanktionen befolgen. Das bedeutet, der Druck auf die Europäer, sich zu entscheiden, wird bereits aufgebaut.
"Durch eine Reihe von Bemühungen ist es China durchaus möglich, den Konsens zwischen den USA und dem Westen, China betreffend, entscheidend zu schwächen. Es kann außerdem einen großen Teil der Konflikte, die die USA zwischen China und dem Westen schaffen wollen, in solche zwischen den USA und anderen westlichen Ländern verwandeln, was zu einem Kampf zwischen Zwang und Gegen-Zwang führt."
Das ist genau das, was mit den Gegensanktionen bereits eingeleitet ist.
"Früher richtete China sein Augenmerk eher darauf, die Beziehungen zwischen den USA und China zu erhalten. In der Zukunft werden wir unsere Ressourcen eher auf die europäischen Länder verwenden und einen Wechsel in der Richtung der diplomatischen Strategie einleiten. (...) Die konstante Ausweitung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen China und dem Westen ist der Schlüssel."
Dabei ist die ökonomische Analyse, die dem zu Grunde liegt, durchaus zutreffend. Vor die Wahl gestellt, entweder mit China oder den USA Geschäfte zu machen, dürften deutsche Konzerne ordentlich ins Schwitzen kommen. "Es ist sehr naheliegend, dass allgemeine ideologische Konflikte die europäischen Länder, wie Deutschland und Frankreich, nicht davon abhalten werden, ihre Zusammenarbeit mit China fortzusetzen, denn die Interessen dieser europäischen Länder in China sind schlicht zu groß."
Es wird interessant sein, zuzusehen, wie die EU diesen Brocken verdaut. Der Preis dafür, China zu triezen, dürfte gerade deutlich steigen. Aber der Text bleibt nicht dabei stehen, den beiden Führungsländern der EU mitzuteilen, dass sie sich werden entscheiden müssen. Er kündigt auch noch eine außenpolitische Offensive auf dem Feld an, dass die USA (mit der üblichen Arroganz) für das ihre halten – dem der Menschenrechte.
"China sollte Russland und die große Zahl der Entwicklungsländer vereinen, um angemessene Gelegenheiten und Themenfelder zu finden, um die US-Arroganz zu durchstoßen. Indem es das tut, kann es die meisten westlichen Länder dazu bringen, zu erkennen, dass die USA nicht allmächtig und ewig siegreich sind, und die Attraktivität der USA für den Westen wie ihre Fähigkeit, Zwang auszuüben, zu schwächen. (...) In Zukunft sollten wir die Initiative übernehmen, um den USA eine Lektion zu erteilen und ihnen auf dem Feld der Menschenrechte einen direkten Schlag zu versetzen. Das ist absolut möglich, da es in den USA so viele Schlupflöcher in den Menschenrechten gibt."
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