Meinung

Von 2012 bis heute: Lügen für den Krieg sind zum bewährten Instrument geworden

Im Krieg stirbt die Wahrheit zuerst. Bewahrheitet sich diese Weisheit ein weiteres Mal – und werden wir in den nächsten Krieg gelogen? Der Irak-Krieg 2003 basierte auf Lügen. RT Deutsch dokumentiert die Legenden, die den Krieg in Syrien seit 2011 begleiten.
Von 2012 bis heute: Lügen für den Krieg sind zum bewährten Instrument gewordenQuelle: Reuters

von Em Ell

Chemische Kampfstoffe – zuerst präsent in den Berichten zum weiterhin ungeklärten Anschlag im englischen Salisbury Anfang März, nun erneut in den Meldungen im Zusammenhang mit einem angeblichen Angriff mit chemischen Kampfstoffen Anfang April im syrischen Ost-Ghuta. Berichte über einen Einsatz chemischer Kampfstoffe haben den Krieg in Syrien von Anfang an begleitet. Die jeweils präsentierten "Beweise" waren allerdings zu keiner Zeit eindeutig.

Mittlerweile mehren sich die kritischen Stimmen. Sie fragen, ob wir in den nächsten Krieg gelogen werden und erinnern an den Irak-Krieg, an dessen Anfang ebenfalls eine ausgemachte Lüge stand. Zur Erinnerung: Auch damals gab es deutliche Warnungen hinsichtlich des Wahrheitsgehalts der von den Geheimdiensten präsentierten Beweise. Aber sie wurden ignoriert. Die US-Regierung unter George W. Bush wollte den Krieg. Die Grundlagen waren schon Jahre zuvor gelegt worden. Und auch damals wurden insbesondere die britischen Verbündeten frühzeitig auf Kriegskurs gebracht und die Tatsachen brauchten nur noch um die Politik herum arrangiert zu werden. Doch damals wie heute gilt, dass der Wunsch nach einem Regimewechsel keine rechtlich gültige Grundlage für einen Militäreinsatz ist.

2012 – Das Massaker von Hula

Am 25. Mai 2012 wurden rund 100 Menschen, unter ihnen viele Kinder, bei Hula getötet. Die Rebellen beschuldigten regierungsnahe Milizen und die damalige US-Außenministerin Hillary Clinton forderte das "Ende von Assads Herrschaft durch Mord und Schrecken". Bilder vom Vorfall schienen eine eindeutige Sprache zu sprechen. Doch die FAZ berichtete von glaubwürdigen Zeugenaussagen zum wahrscheinlichen Tathergang, die den Behauptungen der sogenannten Rebellen widersprachen, denen zufolge regierungsnahe Milizen die Tat verübt hätten. Die BBC dokumentierte diesen Vorfall mit einem wirkungsvollen Bild. Doch dieses Bild war schlichtweg falsch, wie in der Folge auch BBC einräumen musste. Denn es wurde bereits im März 2003 im Irak aufgenommen und zeigte in weiße Säcke gehüllte Leichen, die aus der Wüste südlich von Bagdad stammten.

2013 – Der Giftgasangriff in Ost-Ghuta

Am 21. August 2013 wurden in Ost-Ghuta, nahe der syrischen Hauptstadt Damaskus, durch einen vermeintlichen Angriff mit dem chemischen Kampfstoff Sarin über 1.300 Menschen getötet und über 10.000 verletzt. Für die USA und die NATO war schnell klar, dass es sich um einen völkerrechtswidrigen Giftgaseinsatz handelte, durchgeführt vom "syrischen Regime".

Zu der damaligen Berichterstattung der Massenmedien bemerkten die NachDenkSeiten wenige Tage nach dem Vorfall:

Zweifel an der US-Version werden auch in den deutschen Massenmedien nicht geäußert. Gibt es denn wirklich keine Zweifel? Doch, wenn man sich abseits der Massenmedien informiert, stößt man unweigerlich auf eine ganze Schar von Indizien, die gegen die "offizielle" US-Version sprechen. Man fühlt sich dabei unweigerlich an die Propaganda im Vorfeld des Kosovo- und des Irakkrieges erinnert.

Einige Monate später, am 14. Januar 2014, schrieben Richard Lloyd, ein ehemaliger UN-Waffeninspekteur, und Theodore Postol, Professor am Massachusetts Institute of Technology (MIT), in ihrem Untersuchungsbericht zur Bauart und Flugbahn der beim Angriff eingesetzten Raketen, dass diese unmöglich aus dem seinerzeit von der syrischen Regierung kontrollierten Gebiet abgeschossen worden sein konnten, sondern alle möglichen Abschussorte in von "Rebellen" gehaltenen Zonen lagen. Sie wiesen auch darauf hin, dass diese ganz gewiss die Möglichkeit zur Herstellung der entsprechenden Waffen hatten.

Auch ein Bericht der Vereinten Nationen vom 12. Februar 2014 fand keinerlei Beweise für die Urheberschaft des Angriffes.

Am 17. April 2014 erschien in der Publikation London Review of Books der Essay "The Red Line and the Rat Line" des renommierten Investigativ-Journalisten und Pulitzer-Preisträgers Seymour Hersh, in dem dieser unter Berufung auf Quellen im Sicherheitsapparat der USA die "offizielle Version" zu den Ereignissen in Ost-Ghuta infrage stellte und auf Hintermänner im Staatsapparat des NATO-Mitglieds Türkei verwies. Diese hätten Möglichkeiten und Motive gehabt, einen Vorwand zu konstruieren, der die vom damaligen US-Präsidenten Barack Obama gesetzte "Rote Linie" überschreiten und zu einer direkten militärischen Intervention vonseiten der USA und ihrer Verbündeten führen sollte.

2016 – Abschluss der Vernichtung sämtlicher Chemiewaffenbestände der syrischen Armee

Statt einer militärischen Intervention kam es jedoch zwischen Oktober 2013 und Januar 2016 zu der von Russland vorgeschlagenen Vernichtung der kompletten Bestände aller chemischen Kampfstoffe der syrischen Armee unter Aufsicht der Vereinten Nationen und der Organisation für das Verbot von Chemiewaffen (OPCW). Allerdings blieb auch nach erfolgreichem Abschluss der Vernichtung aller offiziellen syrischen Chemiewaffenbestände die Frage ungeklärt, "welchen Zugang terroristische Gruppen zu Altbeständen in Syrien haben". Es ist somit zumindest klar, dass Besitz, Herstellung und Einsatz chemischer Kampfstoffe aufseiten terroristischer Gruppen in Syrien grundsätzlich nicht auszuschließen war – und ist.

Die der syrischen Opposition nahestehende Syrian American Medical Society (SAMS) listete im Februar 2016 in ihrer Studie "A New Normal – Ongoing Chemical Weapons Attacs in Syria" insgesamt 161 Angriffe mit chemischen Kampfstoffen zwischen Dezember 2012 und Oktober 2015 auf. In der Beschreibung der verwendeten Methodik nennt die Studie als Quellen neben der OPCW und der UNO sich selbst und nicht näher bezeichnete, in Syrien aktive nationale und internationale Nichtregierungsorganisationen.

Eine jeweilige konkrete Zuordnung der Quellen zu den aufgelisteten Chemiewaffeneinsätzen fehlt in dieser Studie. Verwendete "andere Auswahlmethoden" bleiben ohne Spezifizierung und führen bei rund einem Drittel der Einträge zum Zusatz "unbestätigtes Giftgas". Solcherart Studien sind damit für eine tatsächliche Beweisführung unbrauchbar. Gleichwohl verdeutlichen sie das generelle Problem, Angriffe mit chemischen Kampfstoffen – wie insbesondere solche mit dem auch für zivile Zwecke genutzten Chlorgas – eindeutig zu bestätigen, ohne rechtzeitig vor Ort zu sein, um forensische Untersuchungen und Interviews mit den Opfern durchzuführen.

2017 – Der Angriff mit Sarin in Chan Scheichun

Am 4. April 2017 kam es in Chan Scheichun bei Idlib im Nordwesten Syriens zu einem Angriff mit dem Nervenkampfstoff Sarin mit fast 100 Opfern, unter ihnen einem Drittel Kinder – und zu einem Déjà-vu bei den UN: Emotionale Giftgas-Präsentationen werden zu Beweisen. Fragen und Erinnerungen kamen auf: War es Assad? Oder wieder ein Angriff unter "falscher Flagge" vonseiten dschihadistischer Rebellen?

Auch der MIT-Professor Theodore Postol konnte sich an das Jahr 2013 und seinen oben erwähnten Bericht erinnert fühlen. Denn zu dem vom Weißen Haus veröffentlichten Bericht, der den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad beschuldigt, den Sarin-Angriff angeordnet und durchgeführt zu haben, merkte Postol in einer ersten Einschätzung an, dass dieser Bericht "absolut keine Beweise beinhalte, wonach der Angriff ein Ergebnis der Verwendung von Munition sei, die von einem Flugzeug abgeworfen wurde". Eine nachfolgende ausführliche und am 27. Mai 2017 veröffentlichte Untersuchung von Postol bestätigte diese erste Einschätzung.

Die OPCW räumte in ihrem damaligem Bericht zu den Ereignissen ein, dass normale Untersuchungsstandards nicht eingehalten werden konnten und lehnte zusammen mit den USA eine genauere Untersuchung vor Ort ab. Gleichwohl machte die OPCW Damaskus für den Giftgaseinsatz verantwortlich.

Selbst der US-Verteidigungsminister James Mattis erklärte Anfang Februar 2018, dass den USA "keine Beweise" zum Einsatz von Sarin durch die syrische Regierung gegen ihre eigene Bevölkerung vorliegen. Damit stellt er den langjährigen offiziellen Narrativ "Der Schlächter Assad muss weg" in Frage und wirft ein bezeichnendes Licht auf die grundlegenden Fragwürdigkeiten dieser Erzählung. Denn weshalb sollte die syrische Regierung sich selbst und ihre Schutzmacht Russland durch den Einsatz verbotener chemischer Kampfstoffe unter den Augen der internationalen Öffentlichkeit bloßstellen und in selbstmörderischer Weise von eigener Hand den Anlass für die von den USA angedrohte Militärintervention liefern? Und das ausgerechnet jeweils dann, wenn sie selbst kurz vor entscheidenden militärischen Erfolgen steht? Wie glaubwürdig sind generell die Berichte und "Beweise" von oppositionsnahen Organisationen wie den "Weißhelmen" und der Syrian American Medical Society (SAMS)?

Was wissen wir wirklich – und wird uns dieses Wissen heute nützen?

Die Frage, wem und was wir noch glauben können, taucht mittlerweile selbst in den sogenannten Leitmedien wie ARD/ZDF und BBC auf. Spätestens seit dem Irak-Krieg 2003 wissen wir, dass der Westen im Kampf für seine "Werte" diesen auch gerne mal vorsätzlich zuwiderhandelt, wenn der Zweck die Mittel heiligt. Und dass er in diesem Fall gar keine Beweise braucht, sondern nur Anlässe – und seien es erlogene – findet, um gegen seine vermeintlichen oder tatsächlichen Feinde vorzugehen. Selbst bzw. gerade dann, wenn er zum letzten aller Mittel der Politik greifen muss – dem Krieg.

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