Galoppierende Inflation in den USA: Joe Biden besiegt die Geister
von Kirill Benediktow
Joe Biden hat einen epochalen Artikel geschrieben (kein Scherz). Der Artikel, der im Wall Street Journal veröffentlicht wurde, trägt den Titel "Mein Plan zur Bekämpfung der Inflation". Der Text ist in einer einfachen und verständlichen Sprache verfasst. Doch eine genaue Lektüre suggeriert, dass Joseph Robinette Biden, wäre er nicht in die Politik gegangen, vielleicht ein guter Science-Fiction-Autor geworden wäre. Der Artikel beginnt mit den Worten, die der US-Präsident jedes Mal wiederholt, wenn er gefragt wird, wie er die Inflation zu bekämpfen gedenkt: "Die Weltwirtschaft steht vor gewaltigen Herausforderungen. Die erhöhte Inflation wird durch den Krieg von Wladimir Putin in der Ukraine noch verschärft".
Es kommt in den Sinn, dass die Liberalen vor zehn Jahren kicherten: "Wann wird Obama endlich aufhören, an Russlands Türschwellen zu scheißen?" Wenigstens war das ein Scherz, wenn auch ein böser. Doch Biden ist tierisch ernst. An der Inflation der USA ist Putin schuld – wer sonst?
"Die Amerikaner sind beunruhigt. Das Gefühl kenne ich. Ich bin in einer Familie aufgewachsen, in der es eine Rolle spielte, wenn die Benzin- oder Lebensmittelpreise stiegen. Wir spürten es, als wir an unserem Küchentisch saßen. Doch das amerikanische Volk muss die Gewissheit haben, dass sich unsere Wirtschaft diesen Herausforderungen aus einer Position der Stärke entgegenstellt", schreibt der Herr im Weißen Haus.
Inzwischen schaut das amerikanische Volk mit zunehmender Befremdung auf die Preise an den Tankstellen und begreift, dass schon bald eine Fahrt zum Einkaufen zum Zeichen eines luxuriösen Lebens wird.
Traditionell wird der Benzinpreis in den USA nicht pro Liter, sondern pro Gallone angegeben – die amerikanische Gallone entspricht 3,78 Litern. Unter Trump stieg der Durchschnittspreis für eine Gallone nicht über 2,6 Dollar, und im Jahr 2020 fiel er sogar auf 2,17 Dollar. Jetzt kostet "regular" (unser 92er) im nationalen Durchschnitt 4,67 Dollar pro Gallone. Es gibt Staaten, in denen es etwas billiger ist (z. B. Georgia), doch unter 4 Dollar pro Gallone Benzin ist es nirgendwo zu haben. Über 5 Dollar – bitte sehr. Oregon, Nevada, Alaska, Washington, Illinois. Kalifornien hält den Rekord: In diesem fortschrittlichsten und demokratischsten Bundesstaat lag der Durchschnittspreis pro Gallone am vergangenen Wochenende bei 6,16 Dollar, doch es gibt Tankstellen, die Benzin für 8 Dollar pro Gallone verkaufen. Was bedeutet das für den Durchschnittsamerikaner?
Das bedeutet Folgendes. Der durchschnittliche amerikanische Haushalt hat laut Statistik 1,88 Autos, und fast ein Viertel der Haushalte hat drei Autos. Und wenn im Jahr 2021 ein Durchschnittshaushalt 2.800 Dollar für das Tanken seines Autos ausgab, wird er bei den aktuellen Preisen mindestens 5.000 Dollar ausgeben. Das setzt voraus, dass die Benzinpreise auf dem Niveau vom Mai bleiben, was, offen gestanden, zweifelhaft ist. Im Gegenteil, nach Ansicht der Analysten von JPMorgan Chase könnte der Treibstoff im Sommer um einen oder einen halben Dollar steigen. "In Erwartung einer starken stimulierenden Nachfrage (...) könnte der US-Endverbraucherpreis bis August um weitere 37 Prozent auf durchschnittlich 6,20 Dollar pro Gallone steigen", meint Natascha Kanewa, Leiterin der Rohstoffforschung bei JPMorgan.
Anders gesagt, der amerikanische Autobesitzer wird jetzt dreimal darüber nachdenken, bevor er mit seinem treuen Mustang nicht nur zur anderen Küste des Landes, sondern sogar in einen Nachbarstaat fährt. Das wurde am vergangenen Wochenende klar – am Tag der Veteranen, dem Memorial Day (dem letzten Montag im Mai), hatten die Amerikaner ein dreitägiges Wochenende, das normalerweise für Ausflüge in die Natur und Familienreisen genutzt wird.
Und im nächsten Monat ist der wichtigste Sommerfeiertag, der Unabhängigkeitstag (4. Juli), an dem die Nachfrage nach Benzin im Lande ihren Höhepunkt erreicht, und das bedeutet, die Preise werden weiter steigen. Auch der Diesel fängt an "golden" zu werden – mit durchschnittlich 5,57 Dollar pro Gallone. Dabei ist der Dieseltreibstoff das Lebenselixier von Industrie und Landwirtschaft.
Bereits jetzt haben Feldfrüchte wie Mais und Weizen eine Teuerung von 45 Prozent gegenüber dem letzten Jahr erfahren. Die Milch ist um 47 Prozent und das Gemüse um 39 Prozent teurer geworden. Gewöhnliche Eier, die im April 2021 1,5 Dollar pro Dutzend kosteten, sind nun bei 2,2 Dollar. Hühner- und Putenfleisch werden immer teurer, ganz zu schweigen von Rind- und Schweinefleisch. Die Preise für Futtergetreide sind gegenüber April um 7,8 Prozent und gegenüber dem Vorjahr um 33 Prozent gestiegen.
Das ist nicht das Ende, sondern erst der Anfang der sich entfaltenden Inflationsspirale. Man braucht kein Wirtschaftswissenschaftler zu sein, um zu verstehen: Teurer Sprit verteuert auch alles andere.
Deshalb wäre es vernünftig, den Kampf gegen die Inflation mit der Senkung der Energiepreise zu beginnen. Aber Sleepy Joe Biden hat seine eigenen Vorstellungen davon.
Gut die Hälfte des Artikels mit dem Titel "Mein Plan zur Bekämpfung der Inflation" ist dem Eigenlob gewidmet. Der Schurke Trump hat ihm das Land im erbärmlichem Zustand hinterlassen, und Supermann Biden hat alles schnell wiedergutgemacht. "In weniger als eineinhalb Jahren haben die Pläne meiner Administration im Bereich der Wirtschaft und der Impfungen dazu beigetragen, den nachhaltigsten Erholungsprozess der modernen Geschichte zu erreichen." Wenn man als "Erholung" die fieberhafte Beseitigung des Vermächtnisses von Trump meint, der die US-Wirtschaft angekurbelt hat, bevor sie von der Pandemie getroffen wurde, hat Biden sicherlich recht.
Keiner trug mehr dazu bei, die von Trump angestrebte amerikanische Energieunabhängigkeit zu zerstören als Sleepy Joe. Kaum im Amt, legte Biden sein Veto gegen den Bau der Mega-Ölpipeline Keystone XL ein, die Erdöl aus der kanadischen Provinz Alberta zu den Terminals an der Golfküste befördert hätte. Wiederholt hat er neue Verträge zur Verpachtung und Erschließung von Bundesland durch Erdöl- und Erdgasproduzenten ausgesetzt. Biden hat den Kongress aufgefordert, Erdöl- und Erdgasunternehmen zu verpflichten, Abgaben auf ungenutzte gepachtete Lagerstätten zu zahlen. Hinter all diesen selbstmörderischen Schritten für die US-amerikanische Erdöl- und Erdgasindustrie stand Bidens blindes Bekenntnis zu grüner Energie, deren Paladin sein früherer Chef Obama war und immer noch ist.
"Da Amerika der größte Erdöl- und Erdgasproduzent ist, so sind diese Politik und die Androhung noch härterer Maßnahmen in der Kürzung globaler Energieversorgung und den steigenden Preisen zum Ausdruck gekommen. In einer normalen Situation hätten die hohen Ölpreise Investitionen angezogen, die eine Steigerung der Produktion ermöglicht hätten, was wiederum den Markt stabilisiert hätte. Diesem steht die Abneigung der Regierung Biden bezüglich fossiler Brennstoffe im Wege", schrieb das Wall Street Journal im April.
"Die Preise an den Tankstellen sind vor allem deshalb so hoch, weil auf dem Markt russisches Öl und Gas fehlen", räumt Biden ein. Aber da "wir unsere weltweiten Bemühungen, Herrn Putin für seine Taten zu bestrafen, nicht einstellen können", bleibt uns lediglich die Möglichkeit, die Folgen für die amerikanischen Verbraucher zu mildern. Wie? So zum Beispiel: "Der Kongress könnte jetzt sofort helfen, indem er seine Zustimmung für Steuererleichterungen und Investitionen in saubere Energie gibt, die ich vorgeschlagen habe. Zu Beginn dieses Jahres sagten mir ein Dutzend Vorstandsvorsitzende der größten amerikanischen Energieversorgungsunternehmen, dass mein Plan die jährliche Stromrechnung einer Durchschnittsfamilie um 500 Dollar senken und unsere Abkehr von der Energieerzeugung durch Autokraten beschleunigen würde.
Also, bestrafen wir den bösen Putin, indem wir ablehnen, Öl und Gas von ihm zu kaufen, und investieren wir Billionen in grüne Energie, wie der große Obama es vermachte! Und sollten Windmühlen und Sonnenkollektoren die Nation nicht mit Wärme und Licht versorgen können – dann wird wenigstens niemand sagen, dass der alte Biden nicht versucht hat, es richtig zu machen.
Weiter im Artikel ist reine Phantasie: Man hat das Gefühl, dass Sleepy Joe völlig realitätsfremd ist und auf rosaroten Wolken schwebt. "Seit ich im Amt bin, haben Familien ihre Ersparnisse erhöht und ihre Schulden abgebaut: der jüngste Bericht der Federal Reserve zeigte, dass ein höherer Prozentsatz der Amerikaner angab, sich Ende 2021 finanziell wohler gefühlt zu haben als zu jedem anderen Zeitpunkt seit Beginn der Erhebung im Jahr 2013", behauptet Biden.
In der Realität zeigt eine aktuelle Gallup-Umfrage, dass nur 1 Prozent (!) der Amerikaner der Ansicht ist, dass die US-Wirtschaft "ausgezeichnet" dasteht (wahrscheinlich einschließlich der Multimillionäre und Tycoons, die die Demokratische Partei finanzieren). Weitere 13 Prozent halten die Lage für "gut". 39 Prozent sind der Meinung, dass die Lage "so lala" ist. Und schließlich glauben 46 Prozent, dass die Wirtschaftslage "schlecht" und "sehr schlecht" ist. Der integrale Index des wirtschaftlichen Vertrauens von Gallup lag im Mai bei -45 Punkten (im März und April waren es -39). Das ist der niedrigste Wert seit dem Ende der Großen Rezession im Jahr 2009.
Anders ausgedrückt: Die Soziologie widerlegt Bidens Worte gnadenlos. Die ganze Welt hat gesehen, wie der Präsident seine Hand zur Leere ausstreckt, um die Geister zu grüßen, die nur er sehen kann, doch nun stellt sich heraus, dass er kämpft und seine Feinde besiegt, in einer ebenso geisterhaften Welt, die nichts mit der Realität zu tun hat.
Worin besteht denn der Plan von Biden zur Bekämpfung der Inflation?
Er ist ziemlich einfach. Die Hauptverantwortung für die Kontrolle der Inflation liegt bei der Federal Reserve (Fed), sagt Biden. Trump hat die Fed "gedemütigt", und er, Biden, wird das nicht tun. Er hat "hochqualifizierte Personen" für die Leitung der Einrichtung ernannt. Und er, Biden, stimmt mit ihrer Einschätzung überein, dass die wichtigste wirtschaftliche Aufgabe "gerade jetzt" darin besteht, die Inflation zu bekämpfen.
Am Dienstag trafen sich Biden und der Fed-Vorsitzende Jerome Powell sowie die US-Finanzministerin Janet Yellen, um die "oberste Priorität" zu besprechen, d. h. die Bekämpfung der Inflation. Die Sitzung fand hinter verschlossenen Türen statt, und Powell zog es vor sie unkommentiert zu lassen. Doch Janet Yellen blieb nicht stumm, und ihre Erklärung, die sie nach der Sitzung abgab, ist beachtenswert.
"Hören Sie, ich denke, ich habe mich damals geirrt, was den Verlauf der Inflation betrifft. Wie ich schon erwähnte, in der Wirtschaft kam es zu unvorhergesehenen und erheblichen Schocks, die zu zum Anstieg der Energie- und Lebensmittelpreise und zu Versorgungsengpässen führten, die sich stark auf unsere Wirtschaft auswirkten, was ich nicht verstand – ich verstand es damals nicht ganz, Jetzt aber geben wir es zu", räumte der Finanzminister auf CNN ein.
Großartig - jetzt geben sie es zu. Doch, wie eine Person in der Erzählung von Teffi [N. A. Lochwizkaja] sagte: "Que faire? Fais-tu que?"
Biden weiß, was zu tun ist.
Artikel schreiben. Billionen in grüne Energie investieren. Und in allem die Schuld auf Russland schieben.
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Übersetzung aus dem Russischen
Kirill Benediktow ist Politikwissenschaftler und Autor einer Biografie von Donald Trump mit dem Titel "Der schwarze Schwan".
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