"Wieler ist unten durch" – Wie Medien einen Personalwechsel an der Spitze des RKI vorbereiten
von Christian Harde
Seit Mitte dieser Woche beschäftigt sich die Presse intensiver mit dem Verhältnis von Karl Lauterbach, dem neuen Gesundheitsminister und beliebtesten deutschen Politiker nach Merkel, und Lothar Wieler, dem Präsidenten des Robert Koch-Instituts (RKI), das dem Gesundheitsministerium nachgeordnet ist.
Den Anfang machte allerdings die Bild mit einem Kommentar am Mittwochmorgen, noch vor dem gemeinsamen Auftritt Lauterbachs und Wielers vor der Bundespressekonferenz am selben Tag. Aber genau einen Tag nach dem Gipfel von Kanzler und Ministerpräsidenten, dem ersten unter Bundeskanzler Olaf Scholz, der eine weitere Verschärfung der Corona-Maßnahmen brachte. Bezeichnend war der Ton, den das Boulevard-Blatt mit der Überschrift setzte: "Aufklärung statt Alarm!"
Regierungskurs zu lasch?
Nachdem Scholz einen neuen 19-köpfigen "Expertenrat" zur Beratung der Bundesregierung in Corona-Fragen berufen hatte und dessen Papier zur Grundlage der Entscheidungen der Kanzlerrunde mit den Länderchefs gemacht worden war, schob Wieler eigene und strengere Forderungen an die Politik nach. Damit schien nicht nur die Autorität des neuen Expertengremiums in Frage gestellt, sondern die gerade beschlossenen Regierungsmaßnahmen selbst. Zwar schrieb die Bild:
"Nach zwei Jahren Pandemie-Bekämpfung müsste es die Politik eigentlich besser wissen: Alarm alleine reicht nicht!"
Eine Frage der Glaubwürdigkeit
Doch verknüpfte das Blatt auch eine Forderung an die neue Regierung, die interessanterweise mit einem Seitenhieb gegen Scholz' Vorgängerin verknüpft war:
"Die Bundesregierung muss nicht nur gegen Corona kämpfen, sondern auch um das Vertrauen der Bürger. Kanzler Scholz hat die Chance, die chaotische Hinterzimmer-Politik seiner Vorgängerin hinter sich zu lassen. Er hat einen guten Start gehabt. Aber der gerät gerade etwas ins Wackeln."
Nun legt die Bild zusammen mit dem Spiegel nach und wiederholt die Kritik am Vorgehen Wielers. Der Spiegel hatte ein Interview mit SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich geführt, der sich mit folgenden Worten Luft machte:
"Warum Herr Wieler vom RKI am Tag der Ministerpräsidentenkonferenz und zwei Tage nach dem einstimmigen Beschluss des Expertenrats, dem er ja selbst angehört, plötzlich mit einem Sondervotum hervorprescht, ohne sich mit dem Expertenrat abzustimmen, erschließt sich mir nicht. Bei solchem Stimmengewirr müssen wir uns nicht wundern, wenn die Menschen verunsichert sind oder einfach abschalten."
Vertrauensfrage
Die Bild behauptet nun, dass das Verhältnis zwischen Gesundheitsminister und RKI-Chef "schon nach zwei Wochen als mürbe" gelte. Beiläufig heißt es außerdem: "Bei Kanzler Olaf Scholz (SPD) ist der Wieler-Stern auch schon jenseits des Zenits."
Das Springer-Blatt stützt sich jedoch hauptsächlich auf Lauterbachs Ministerium und berichtet über Interna aus dem Haus:
"Am Dienstag hatte Lauterbach seiner Wieler-Wut intern mehrfach Luft gemacht. Er habe sich selbst dazu zwingen müssen, Wieler öffentlich 'die Freiheit der Wissenschaft' zuzugestehen. Der Minister, so wird berichtet, fühle sich: 'Verarscht!'"
Nach seinem eigenmächtigen Vorgehen habe Wieler "keinen Schuss mehr frei", zitiert die Bild ein ungenannt bleibendes Mitglied der Regierung. Das Wieler-Papier sei dem Minister nicht vor den Beratungsrunden zugegangen. Lauterbach sehe "Optimierungsbedarf".
Oder eine Kampagne?
Gleichzeitig streut die Bild unverkennbar Zweifel an der persönlichen Eignung Wielers für seine Funktion als Präsident des RKI. Er würde mit seiner Rolle "hadern", schreibt das Bouldvardblatt und tituliert ihn als "Deutschlands obersten Seuchenbekämpfer", der "gern den Groß-Dramatiker" gebe. Ohne Absprache mit dem damaligen Gesundheitsminister Jens Spahn habe er Ende November eine "Schweigeminute für die Corona-Toten" vor der Bundespressekonferenz "inszeniert". Zudem habe er "mehrfach" und "eigenmächtig" die Kanzlerin angerufen, ohne dies zuvor mit Spahn abzustimmen. Schließlich fügt die Bild eine Reaktion Wielers auf Journalistenfragen an, die seine scheinbare oder tatsächliche Ahnungslosigkeit belegen sollen, welche politischen Folgen sein Sondervotum haben könnte: "Ich verfolge die Nachrichten nicht so intensiv …"
Darauf legt die Bild unter der Überschrift "Lauterbachs Blick sagt mehr als Tausend Worte" noch einmal nach. Das Blatt hatte den Minister in der Bundespressekonferenz gefragt, ob er noch zum RKI-Chef stehe, und zitierte Lauterbach mit den Worten: "Wenn dem nicht so wäre, säße er nicht hier", nicht ohne eine Interpretation mitzuliefern: "Wahr ist: Wieler ist unten durch. Mal wieder!"
Unklare Lage
Es scheint so, dass die eher beschwichtigenden Berichte und Kommentare über den Konflikt Lauterbach-Wieler, die es in der Presse vom Mittwoch noch gegeben hatte, nicht mehr der neuesten Entwicklung entsprechen. Dass es am Ende um eine politische Entscheidung gehe, nicht um eine wissenschaftliche Frage, wie eine Krankheit zu bekämpfen sei, kam nur vereinzelt zum Ausdruck.
Was genau hinter einem möglichen Personalwechsel auf dem Chefposten des Robert Koch-Instituts steht, scheint momentan noch undeutlich. Es wäre nicht das erste Mal, dass die Springer-Presse auch in der Corona-Krise ihren politischen Einfluss geltend zu machen versuchte. Ob es sich bloß um den Mangel an politischem Instinkt des Präsidenten einer Bundesbehörde, ein Störmanöver aus dem nachgeordneten Apparat gegen einen neuen Minister oder vielleicht sogar ein inszeniertes Spiel mit verteilten Rollen zur Durchsetzung eines veränderten, eher verschärften als abgemilderten Kurses in der Corona-Politik handelt, dieses politische Weihnachtsrätsel dürfte sich Anfang des kommenden Jahres lösen.
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