"Mehr Kalten Krieg wagen!" – Die flotte Lippe des Nikolaus Blome oder: Der Salon-General

Nikolaus Blome, prominenter Vertreter des deutschen Qualitäts-Boulevardjournalismus, eskaliert im "Spiegel" mutig bis zur Schmerzgrenze. Da ist eine Reihe transatlantisch orientierter Ex-Generäle und Botschafter, die diese Dynamik stoppen wollen, deutlich klüger.
"Mehr Kalten Krieg wagen!" – Die flotte Lippe des Nikolaus Blome oder: Der Salon-GeneralQuelle: www.globallookpress.com © Christian Charisius/dpa

von Leo Ensel

Nichts charakterisiert den Zustand unserer vielfältigen Medienlandschaft besser, als dass man heutzutage völlig problemlos (und ungeniert) als stellvertretender Chefredakteur der Bild-Zeitung zum Spiegel und von dort wieder zur Bild-Zeitung zurück switchen kann. Zu Zeiten der Bonner Republik wäre sowas noch nicht mal als schlechter Scherz durchgegangen! Aber seit die Beiträge des Hamburger Nachrichtenmagazins durchgängig Bild-Niveau erreicht haben, ist das natürlich nur konsequent.

Die Rede ist selbstverständlich von Nikolaus Blome, dem Aushängeschild des deutschen Qualitäts-Boulevardjournalismus; aktuell – er bleibt seinem Niveau treu – in der imponierenden Position eines "Ressortleiters Politik und Gesellschaft in der Zentralredaktion der Mediengruppe RTL Deutschland". Von dem Mann stammt der Satz: "Wenn Jacob Augstein ein Linker ist, bin ich ein Rechter". Da aber Augstein bekanntlich ein Salon-Linker ist, ist Blome logischerweise ein Salon-Rechter.

Dass er auch ein fröhlicher Salon-Kalter-Krieger ist, hat er allerspätestens jetzt unter Beweis gestellt. (Und darauf ist er auch noch stolz!)

"Putin vor sich hertreiben ..."

"Mehr Kalten Krieg wagen", unter diesem koketten Titelveröffentlichte Blome am Montag im Spiegel eine Kolumne, die sämtliche Eskalationstexte der an dieser Gattung wahrhaftig nicht armen deutschen Qualitätsmedien in den Schatten stellt.Blome macht sofort klar, dass er mit den Mädchenpensionat-Maßnahmen der bisherigen Bundesregierungen gegenüber Putin, die schließlich nur "dicke Worte mit nichts dahinter" lieferten, ein für allemal aufräumen will. "Enough is enough. Es wird langsam Zeit, andere Saiten aufzuziehen", deklamiert er stramm im Gestus Schwarzer Pädagogik.

"Wer Putin stoppen will, muss ihn vor sich hertreiben. Der Spieß wird umgedreht, aus politischer Ohnmachts-Defensive, wird kontrollierte Offensive. Von jetzt an werden nicht länger die geopolitischen Mondforderungen aus dem Kreml verhandelt oder mehr schlecht als recht eingehegt. Nein, von jetzt an setzen Washington, Brüssel und Berlin den Takt, sie fordern, was international nur recht und billig ist",

redet sich Blome zunehmend in Rage.

Und nun gibt es Knüppel aus dem Sack: "Nachweislicher Russen-Rückzug", man sieht: der Mann verfügt über jahrelange Bild-Zeitungs-Erfahrung,

"innerhalb von 14 Tagen – oder die Gaspipeline Northstream2 wird endgültig aus dem Geschäft genommen. Und wenn dieses Ultimatum nichts fruchtet: Nach 14 weiteren Tagen fliegt Russland mit Ansage aus dem internationalen Zahlungssystem SWIFT."

Uff!! Mit dieser Sanktions-Hyperwaffe ist die Klimax erreicht, Blome hat sein Pulver verschossen – und man glaubt förmlich, den Nachhall des hechelnden Atems und den im rasanten Stakkato pochenden Pulsschlag noch vernehmen zu können. Nun sackt er wohlig erschöpft auf sein Sofa.

Keine Frage, der Mann strotzt nur so vor Power! Und der vor ihm hergetriebene Putin hat vermutlich längst Reißaus genommen ... So, Frau Merkel, so, die Herren Steinmeier und Scholz, zeigt man den Russen, was eine Harke ist!

"Raus aus der Eskalationsspirale!" – Der Appell der Ex-Generäle und Botschafter

Man könnte es sich nun leicht machen und Blome wie dessen Elaborat als das bezeichnen, was sie sind – wäre die akute Lage nicht mittlerweile alarmierend. Der russische Präsident hat unmissverständlich klar gemacht, dass er eine weitere Ausdehnung der NATO bis an die Grenzen seines Landes nicht mehr hinzunehmen bereit ist. Russland fühlt sich bedroht: Nach der Kündigung des ABM-Vertrages vor genau 20 Jahren und der des INF-Vertrags im Sommer 2019 – beide auf Betreiben der USA –, insgesamt fünf NATO-Osterweiterungen, dem Aufbau eines weltumspannenden sogenannten Raketenabwehrschildes mit angriffsfähigen Modulen in Rumänien und Polen und der de facto dauerhaften Präsenz von NATO-Truppen in Polen und im Baltikum ist für Russland das Maß nun voll. Darüber hinaus steht Europa vor einer Neuauflage der Stationierung atomarer Kurz- und Mittelstreckenraketen wie seinerzeit in den Achtziger Jahren.

Die Situation, die Salon-General Blome so flott und fahrlässig weitereskaliert, hat das Potenzial einer invertierten Kubakrise und könnte im schlimmsten Falle – durch welchen zufälligen Critical Incident auch immer – sämtlichen Akteuren entgleiten. Wie im Vorfeld des Ersten Weltkrieges. Die Folgen wären nicht auszudenken.

Zum Glück bewegen sich nicht alle Konservativen, selbst Transatlantiker, in Deutschland auf Blomes geistigem und moralischen Niveau! Eine illustre Gruppe ehemaliger Generäle, Botschafter und Friedensforscher – darunter selbst als ausgesprochene Hardliner geltende Militärs wie der Ex-Generalinspekteur der Bundeswehr, Klaus Naumann – hat die Gefahr erkannt und kürzlich einen Appell mit dem Titel "Raus aus der Eskalationsspirale! Für einen Neuanfang im Verhältnis zu Russland" veröffentlicht, der unmissverständlich konstatiert, "dass wir in eine Lage zu geraten drohen, in der ein Krieg in den Bereich des Möglichen rückt." Ihr Ziel ist es daher, "die Eskalationsspirale zu durchbrechen und Russland und NATO aus dem konfrontativen Kurs herauszuführen."

Im Gegensatz zum großspurig tönenden Qualitätsjournalisten halten die Autoren die "einseitig auf Konfrontation und Abschreckung setzende Politik" für gescheitert und erkennen völlig selbstverständlich auch die russischen Sicherheitsbedürfnisse als gleichberechtigt an. Einen möglichen Ausschluss aus dem SWIFT-System werten sie nicht etwa als ultimativen westlichen Triumph, sondern als Gefahr für die Sicherheitslage Europas – und zwar weil er die russische Wirtschaft gefährden würde! Man sieht, diese Profis sind in der Lage, Perspektivenwechsel vorzunehmen und sich auch mal in die Schuhe ihres jeweiligen Gegenübers zu stellen. Sie fordern den Westen auf, "aktiv auf Russland zuzugehen und auf eine Deeskalation der Situation hinzuwirken".

Ihre realpolitisch fundierten Vorschläge könnten das Blatt tatsächlich wenden – vorausgesetzt, sie würden umgesetzt. Im einzelnen fordern sie – und zwar ohne Vorbedingungen: Eine neue hochrangige europäische Sicherheitskonferenz, die  die Vereinbarungen von Helsinki 1975 und Paris 1990 reaktiviert und für deren Dauer alle Seiten auf jede militärische Eskalation verzichten und die NATO keine weiteren Mitglieder aufnimmt; keine weiteren Truppenkonzentrationen beiderseits der russisch-westlichen Grenze; die Wiederbelebung der bilateralen Gesprächsformate wie den NATO-Russland-Rat und Win-Win-Situationen für beide Seiten, um die derzeitige Blockade zu überwinden.

So sieht verantwortungsvolle Realpolitik professioneller Militärs und Diplomaten aus! So könnte es gelingen, die Eskalationsspirale zu durchbrechen und das Vertrauen Schritt für Schritt wieder aufzubauen. – Aber der prominente Spiegel-Gastautor zündelt lieber wortgewaltig am Schreibtisch. Und es ist zu befürchten, dass nicht wenige da gerne mitspielen!

Das reizvolle Spiel mit dem Feuer oder: Die kleinen Pyromanen

Blomes Text ist der vorläufige Höhepunkt einer brandgefährlichen Radikalisierung, die nicht etwa von den Rändern, sondern aus der gesellschaftlichen Mitte kommt, wo sie sich längst zu etablieren beginnt. Sie wurde nicht zuletzt von späteren Superministern, ehemaligen und gegenwärtigen Außenminister*innen und Verteidigungsministerinnen, forschen Politikberatern, atombombenerregten Theologinnen und sensiblen Edelfedern kontinuierlich vorangetrieben. Diese Held*innen am Schreibtisch spielen mit einem gewissen, schon fast erotisch zu nennenden Kitzel mit dem Feuer. So beweisen sie der Welt und nicht zuletzt ihrem Ego, dass sie allesamt richtig harte Männer (und Frauen) sind! Die selbst einem Wladimir Putin spielend Paroli bieten, nein: ihn sogar "vor sich hertreiben".

Dass sie dabei fahrlässig, gar mutwillig einen nicht mehr zu stoppenden Flächenbrand auslösen könnten – diesen Rest an Rationalität noch aufzubringen, sind sie unfähig. Ist ihnen ihr heißes Blut doch längst aus dem Gehirn in andere Körperregionen geschossen.

Und so ist natürlich abzusehen, dass Blome in nicht allzu ferner Zukunft im Zuge der kumulativen Radikalisierung auch noch das verschämte Wörtchen "kalt" weglassen und kurz darauf – ebenfalls im Spiegel, versteht sich – eine Kolumne unter dem flotten Titel "Mehr Atomkrieg wagen!" posten wird. Und dass er auf diesen ultimativen Tabubruch noch einen Tick stolzer sein wird als auf den vergleichsweise harmlosen vom letzten Montag. Salon-Generäle kriegen halt den Hals nicht voll!

Der Spiegel aber sollte seinem Gründer Rudolf Augstein gegenüber einen letzten Rest von Respekt beweisen und sich in Bild am Samstag umbenennen!

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