Meinung

Kalter Krieg – Die G7 und der Demokratie-Gipfel der USA

Kurz nacheinander gab es zwei Ereignisse, in denen es vorgeblich um die Stärkung der Demokratie weltweit gehen sollte: Der Demokratie-Gipfel, zu dem die USA geladen hatten, und dann das Außenministertreffen der G7-Staaten. Faktisch wurde damit aber die geopolitische Konfrontation vertieft.
Kalter Krieg – Die G7 und der Demokratie-Gipfel der USAQuelle: www.globallookpress.com © Tasos Katopodis - Pool via CNP/Keystone Press Agency

von Gert-Ewen Ungar

Es gab Anfang Dezember gleich zwei große, internationale Veranstaltungen, die deutlich machen, dass wir in einer neuen Konfrontation der Blöcke angekommen sind. Da war zum einen der Demokratie-Gipfel, zu dem die Vereinigten Staaten gerufen hatten. Hier ging es vor allem um die wirtschaftliche Kampfansage gegenüber China, denn beworben wurde die Build-Back-Better-World-Initiative der USA. Über einhundert Nationen folgten dem Ruf und nahmen an der virtuell abgehaltenen Konferenz teil. Deutlich weniger Teilnehmer hatte naturgemäß das Treffen der Außenminister der G7-Staaten, die sich im britischen Liverpool trafen. Dort stand deutlich stärker die militärische Konfrontation mit Russland im Mittelpunkt. 

Gekoppelt wurden beide Konferenzen an den Begriff der Demokratie, der allerdings nur einen sehr dünnen Schleier darüber werfen konnte, was die eigentlichen Absichten waren: Das Schmieden oder Festzurren von Allianzen gegen den Aufstieg von China und Russland. Gerade die Liste der Länder, die zum Demokratie-Gipfel geladen wurden, lässt ahnen, dass es beim Kernanliegen eher vernachlässigbar um "Demokratie" ging. 

Unter den Teilnehmerstaaten finden sich Diktaturen und autoritäre Regime, konstitutionelle Monarchien, Länder, in denen die Menschenrechtssituation bedenklich ist und natürlich die USA selbst, die faktisch eher eine Oligarchie denn eine Demokratie sind und die es zudem mit den Menschenrechten nur dann sehr genau nehmen, wenn es um andere Länder geht – mit denen sie sich in Konkurrenz sehen. Unter dem Gesichtspunkt der "Demokratie" ist die Auswahl der Teilnehmer, welche die USA hier getroffen haben, bestenfalls bizarr zu nennen. 

Besonders zynisch geriet ein Redebeitrag von US-Außenminister Blinken, der sich der Sorge um politische Gefangene widmete. Einen Tag vor dem Urteil über das Auslieferungsersuchen bezüglich Julian Assange an die USA wirkt das mehr als geheuchelt, ebenso angesichts von Institutionen wie dem Folterlager auf Guantanamo, das von den USA unterhalten wird. Da wirken die Sorgen des US-amerikanischen Außenministers um weißrussische Oppositionelle einfach nur verlogen. Man sollte sich einzelne Beiträge ruhig anschauen. Jeder Staatenlenker durfte dort sich und sein Land einmal loben, gern durfte auch gegen angeblich autoritäre Regime ausgeteilt und von Problemen im eigenen Land abgelenkt werden. Insgesamt ein bunter, polyglotter Reigen der Heuchelei. 

Interessant ist daher eigentlich viel mehr, wer alles nicht eingeladen worden war. Russland und China mussten ganz selbstverständlich draußen bleiben. Gegen sie richtet sich die Initiative schließlich. Der Nahe Osten wurde ebenfalls weitgehend ausgeklammert. Von dort kamen nur Israel und der Irak. Draußen bleiben musste aber auch die Türkei – als NATO-Verbündeter. Von den Ländern der EU war nur eines nicht dabei. Ebenfalls nicht eingeladen war Ungarn. Dagegen hat Polen ebenso teilgenommen wie sogar die Ukraine. Wer nun glaubt, die USA hätten treffsicher erkannt, dass es um die Demokratie in Ungarn schlechter als um die Verhältnisse in der zur Konferenz geladenen Ukraine bestellt sei, der täuscht sich. Was die Liste der geladenen Staaten vor allem auszeichnet, ist deren Bereitschaft, sich dem hegemonialen Anspruch der USA unterzuordnen - der Demokratie-Gipfel war eine Versammlung der Vasallen. 

Die Türkei gehört nicht mehr zu diesem Kreis. Sie ist seit längerem widerspenstig. Sie hat eigene Interessen, die sie auch deutlich und selbstbewusst vertritt. Diese sind zunehmend weniger mit den Interessen des westlichen Bündnisses vereinbar. Dennoch bleibt die Türkei Mitglied in der NATO. Das hat für das Land vor allem den Vorteil, dass es dann immerhin nicht von der NATO angegriffen werden kann. Ansonsten verbindet die Türkei und den Westen im Hinblick auf geopolitischen Interessen kaum noch etwas.

Als einziges Mitgliedsland der EU war Ungarn nicht eingeladen worden. Ungarn bemüht sich um ein gutes Verhältnis zu Russland, zudem wurde Ungarn sehr früh zu einem Mitglied der chinesischen One-Belt-One-Road-Initiative. Polen, das wie auch Ungarn in der EU als Sorgenkind im Hinblick auf die demokratische Entwicklung gesehen wird, wurde dessen ungeachtet zum Treffen gebeten und nahm auch teil. Das Aggressionsniveau Polens gegen den vom Westen wiederentdeckten Feind im Osten stimmt einfach. 

Der Gipfel selbst erbrachte nichts Substantielles. Man versicherte sich im Wesentlichen, auf der richtigen Seite zu stehen, Menschenrechte und freie Medien gut zu finden und bekannte sich zur "Demokratie" – was auch immer das sein soll.

Jeder Versuch das zu konkretisieren, hätte absehbar zu Streit geführt, denn zu unterschiedlich waren die Auffassungen der anwesenden Länder mit ihren politischen Systemen. Daher ließ man das Thema lieber beiseite. Es diente ohnehin nur als dekorativer Vorhang für eine Verkaufsveranstaltung, bei der die Build-Back-Better-World-Initiative gegen China in Position gebracht wurde. Die ökonomische Kampfansage wurde damit jedenfalls vollbracht. Ob und was von ihr schließlich umgesetzt werden wird, muss sich noch zeigen. China hat einen großen Vorsprung.

In ihrer Struktur wiederholt wurde die Veranstaltung dann auf dem Treffen der Außenminister der G7-Staaten. Die G7-Staaten beanspruchen für sich, die wirtschaftlich stärksten Länder der Welt zu sein. Das mag mal so gewesen sein, aktuell ist das nicht mehr der Fall. Der Westen ist im Niedergang und ist augenscheinlich nicht in der Lage, seine anhaltende Schwäche zu korrigieren, ist unfähig, wieder an Innovationskraft zu gewinnen, die Spaltung seiner Gesellschaften zu überwinden, gesellschaftliche Gräben zu schließen sowie den dafür notwendigen allgemeinen Wohlstand zu generieren. 

Das Abschlussdokument, auf das sich die Außenminister verständigen konnten, bleibt in weiten Teilen belanglos. Ein bisschen Klima, ein bisschen Impfen, und Gendergerechtigkeit darf als Lippenbekenntnis in einem solchen Kommuniqué natürlich nicht fehlen, ebenso wenig das Bekenntnis zu westlichen Werten und – mit namentlichem Bezug zum US-initiierten Gipfel für Demokratie – der bekundete Wille, offene Gesellschaften angeblich zu verteidigen. Der Floskelautomat lief heiß. 

Konkreter wird es nur in den Passagen, die sich gegen China, Russland und Weißrussland richten. Diese Länder werden als Bedrohung ausgemacht. 

Die britische Außenministerin Liz Truss warnte Russland vor Konsequenzen, sollte Russland in die Ukraine einmarschieren. Wie sie auf die Idee kommt, Russland könnte so etwas vorhaben, ist eigentlich nur mit einer Medienkampagne zu erklären, die gerade über die EU hinwegrollt und die Truss aufgreift und stützt, um  einen Vorwand für militärische  und politische Eskalation zu haben.

Russland zieht Truppen an seiner Grenze zur Ukraine zusammen, wird behauptet. Die Satellitenbilder, die das belegen sollen, zeigen allerdings Orte, die von der ukrainischen Grenze mehrere hundert Kilometer entfernt liegen. Behauptet wird, Geheimdienste hätten Belege dafür, dass es tatsächlich Truppenverlegungen auch direkt an die Grenze gebe. Das kann man jetzt glauben oder eben auch nicht. Beweise gibt es keine zu sehen. Bei den konkreten Zahlen der Truppen ist man sich zudem uneinig, sie schwanken enorm. Bei der dahinter stehenden Absicht ist man sich aber sicher: Russland plant, die Ukraine zu überfallen. 

Was dabei außer Acht gelassen wird, ist, dass in der Ukraine seit der Amtsübernahme durch Biden der Konflikt im Donbass immer weiter eskaliert. Die ukrainische Regierung und das ukrainische Militär fühlen sich nicht an das Minsker Abkommen gebunden, der Westen liefert Waffen, die Türkei inzwischen Drohnen. Ukrainisches Militär feuert zunehmend auf Zivilisten und macht sich damit der Kriegsverbrechen schuldig. Der Westen schweigt dazu. 

Selbst wenn es wahr wäre, dass Russland unmittelbar an der Grenze Militär zusammenzieht, wäre das nicht ungewöhnlich und noch kein Zeichen für eine Bereitschaft zum Einmarsch. Wenn im Grenzgebiet des Nachbarlandes Konflikte ausbrechen, ist es üblich, im eigenen Grenzgebiet Militär zu stationieren und zur Gefahrenabwehr zu mobilisieren. Als die Taliban in Afghanistan die Macht übernommen haben, hat das Nachbarland Tadschikistan an seiner Grenze Militär zusammengezogen, denn es war nicht absehbar, was in Afghanistan passieren würde. Die EU zieht gerade Militär in Polen und Litauen zur Flüchtlingsabwehr zusammen. An einen Einmarsch in Weißrussland ist dabei doch wohl nicht gedacht. Allerdings ist die Ukraine in dem, was sie im Innern aktuell veranstaltet, derzeit völlig unberechenbar. Aus einer Truppenpräsenz an der Grenze den Willen Russlands zum Einmarsch abzuleiten, würde weiterer Belege bedürfen. Die gibt es aber nicht. Insgesamt liegt – was die aktuelle Medienkampagne gegen Russland anbelangt – ein Hauch von Modell "Sender Gleiwitz" in der Luft. Der Westen macht Propaganda, um eine militärische Eskalation zu rechtfertigen.

Weder gibt es in Russland eine breite mediale Mobilmachung, die mit kriegsvorbereitender Propaganda der Ukraine ihre Souveränität aberkennt und dabei militärische Mittel rechtfertigt. Noch gibt es auf der Seite der russischen Politik eine Rhetorik, aus der sich ein bevorstehender Einmarsch ableiten ließe. Putin hat deutlich gemacht, die Rote Linie für Russland sei eine Integration der Ukraine in die NATO. Davon ist aktuell aber nicht mehr die Rede. Im Gegenteil hat US-Präsident Biden nach der Videokonferenz mit Putin klargestellt, dass die Ukraine als Nichtmitglied keinen Anspruch auf Unterstützung durch die NATO habe. Für die Ukraine gilt eben nicht der Artikel 5 des Nordatlantikvertrags. 

Putin und der russische Außenminister Lawrow weisen immer wieder darauf hin, dass der Weg der Lösung des Donbass-Konfliktes ein diplomatischer sein muss und der Weg im völkerrechtlich bindenden Abkommen Minsk 2 seit Langem aufgezeigt ist. Das ist alles andere als militaristisch. Der angeblich bevorstehende "russische Einmarsch" in die Ukraine wird also erstmal nicht stattfinden. Die deutschen Medien und die westliche Politik werden sich durch diese Fakten jedoch kaum irritieren lassen und weiter die Kriegstrommel rühren.

Allerdings wird der Ukraine-Konflikt auch nicht beendet, denn Frankreich und Deutschland wurden hinsichtlich ihrer eigenen Zusagen im Rahmen des Minsker Abkommens wortbrüchig. Sie drängen die Ukraine eben nicht zur Umsetzung, sondern wollen das sogar von der UNO abgesegnete Paket des Abkommens, das damit völkerrechtlich bindend ist, aufschnüren und neu verhandeln. Was Trump mit dem iranischen Atomabkommen machen konnte, könne deutsche Außenpolitik klammheimlich mit dem Minsker Abkommen tun, mag der Hintergedanke gewesen sein. Lawrow jedenfalls hat die Hinterhältigkeit deutscher Außenpolitik der Weltöffentlichkeit offenbart, indem er einen Briefwechsel mit dem damaligen Bundesaußenminister Maas kurzerhand veröffentlicht hat. Deutsche Politik ist kein verlässlicher Partner, wird darin erneut deutlich.

Allerdings haben sich nun Russland und die USA – was die Ukraine anbelangt – auf direkte Gespräche verständigt. Deutschland und Frankreich wurden auf die Plätze verwiesen. Sie sind erst einmal raus, das Normandie-Format vermutlich tot.

Das bannt die allgemeine Kriegsgefahr natürlich nicht. Denn der Westen ist im Niedergang, Russland und China streben aufwärts und werden zu stärkeren Machtzentren. Das Abschluss-Kommuniqué der G7 macht erneut deutlich, dass man an allen Fakten vorbei versuchen wird, diesen Aufstieg zu bremsen, und vielmehr die Konfrontation sucht, statt Synergieeffekte zu nutzen und kooperativ zusammenzuarbeiten. 

Wäre Russland in eine militärische Auseinandersetzung verwickelt, die Russlands Ressourcen bindet, würde das den Aufstieg Russlands bremsen. Würde sich dieser Konflikt zudem noch einfrieren lassen, wäre Russland dauerhaft in ihn eingebunden, würden seine Ressourcen dort fokussiert; sie würden andernorts fehlen. Die Ablehnung des Bündnisfalls durch die USA kann einerseits als Mahnung an die Ukraine verstanden werden, sich ihre Schritte genau zu überlegen. Es kann aber auch bedeuten, dass der Westen weiterhin daran arbeitet, Russland zu provozieren und in einen Krieg mit der Ukraine zu verwickeln, den die beiden Länder dann unter sich austragen. Der Westen hätte unter allen Beteiligten und Beobachtern von diesem Konflikt den größten Gewinn, er hat daher an diesem Konflikt auch das größte Interesse. Russland hat von einer militärischen Auseinandersetzung mit der Ukraine keinerlei Vorteil. 

Gleichzeitig wird deutlich, wie wichtig der Feindbildaufbau für die G7 ist. Außerhalb dieser Aggressionen – das zeigt das Kommuniqué ebenfalls – können sich die G7 nämlich außer auf Allgemeinplätze auf nichts Substantielles verständigen. Zu zaghaft sind die Vorhaben, zu wenig glaubhaft die Zusagen, zu unterfinanziert die tatsächlichen Projekte, als dass der Westen den absteigenden Kurs noch einmal abwenden könnte. Es bleibt nur die gemeinsame Aggression gegen Dritte als identitätsstiftendes Element. 

Auf den beiden Treffen wurde jedenfalls erneut die Konfrontationslinie gezogen und vertieft. Die Aggression geht dabei eindeutig vom Westen aus, der ein Feindbild aufbaut und erneut die Blockbildung betreibt. Der neue Kalte Krieg ist damit eine Realität.

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