Meinung

Es gibt nur einen richtigen Weg, damit sich Menschen impfen lassen

Angesichts der zunehmenden Proteste gegen die Aussicht auf neuerliche COVID-Maßnahmen ist klar, dass die europäischen Länder vor schwierigen Entscheidungen stehen. Aber Priorität muss die Anwendung von Zuckerbrot statt Peitsche haben, damit sich die Leute doppelt impfen lassen.
Es gibt nur einen richtigen Weg, damit sich Menschen impfen lassenQuelle: www.globallookpress.com © www.imago-images.de

Ein Kommentar von Paul A. Nuttall

Die COVID-19-Pandemie in Europa wird nicht einfach verschwinden. Die Fälle auf dem ganzen Kontinent nehmen wieder zu – und so hatten verschiedene Regierungen  mit der Wiedereinführung entweder teilweiser oder vollständiger Lockdowns reagiert, was in vielen Hauptstädten zu Protestwellen führte.

Am Montag vor einer Woche wurde Österreich als erstes Land in Europa wieder vollständig in den Lockdown geschickt. Und es wird allgemein angenommen, dass andere Länder in den kommenden Wochen nachziehen werden. Dies ist bereits der vierte Lockdown, den die Österreicher seit Beginn der Pandemie im letzten Jahr durchmachen müssen, und es scheint, dass viele einfach genug haben und entschlossen sind, den Anschein eines normalen Lebens zu bewahren.

Unterschiedlichen Schätzungen zufolge waren am Wochenende zwischen 40.000 und 170.000 Menschen in Wien auf den Straßen unterwegs. Die Proteste beschränkten sich jedoch nicht nur auf die österreichische Hauptstadt – auch in Zagreb, Zürich, Rom, Brüssel, Kopenhagen und in vielen Städten der Niederlande waren die Menschen aktiv. Teilweise wurden die Proteste gewalttätig, es kam auch erwartungsgemäß zu Zusammenstößen mit der Polizei.

Derzeit gibt es keine europaweit einheitliche Politik. Während Österreich vollständig zugesperrt wurde, verschärfen andere entweder die allgemeinen Maßnahmen oder sperren nur diejenigen ein, die nicht geimpft sind. Was viele der Länder, die im Lockdown sind oder Beschränkungen erwägen, jedoch gemein haben, ist eine geringe Akzeptanz von Impfstoffen. In Österreich beispielsweise sind nur 66 Prozent der Menschen vollständig geimpft, was der niedrigste Wert in Westeuropa ist.

In der benachbarten Slowakei sinkt diese Zahl sogar auf 45 Prozent, und 80 Prozent der derzeit mit COVID-19 im Krankenhaus befindlichen Personen sind ungeimpft. Darüber hinaus sind nur 48 Prozent der Kroaten vollständig geimpft. In Bulgarien, das ebenfalls einen schnellen Anstieg der Infektionen verzeichnet, wurden gar nur 24 Prozent der Bevölkerung doppelt geimpft.

Das Epizentrum des neuerlichen Ausbruchs scheint Deutschland zu sein, wo allein in den letzten 24 Stunden weitere 30.000 neue Fälle von COVID-19 dazukamen. Das hat den amtierenden Bundesgesundheitsminister Jens Spahn sogar dazu gebracht zu prophezeien, dass "bis Ende dieses Winters so ziemlich jeder in Deutschland geimpft, genesen oder gestorben sein wird".

Infolge des Anstiegs der COVID-19-Fälle erwägt die Bundesregierung einen Lockdown für Ungeimpfte. Dies ist die gleiche Politik, die in einigen Regionen Italiens diskutiert wird. Kürzlich wurden in der Tschechischen Republik und in der die Slowakei ungeimpfte Personen von einigen Geschäften und Dienstleistungen einschließlich der Kneipen verbannt.

Für mich wird es ab hier etwas düster, da ich nicht davon überzeugt bin, dass eine Trennung von Geimpften und Ungeimpften gerechtfertigt ist. Das Erzwingen von Lockdowns nur für die Ungeimpften birgt das Risiko, dass diese Menschen in ihren eigenen Gemeinden zu Parias werden. Wenn außerdem – wie mancherorts vorgeschlagen – sogar nur diejenigen, die nicht geimpft sind, zum Tragen von Masken gezwungen werden, sind sie leicht zu identifizieren. Europa hat eine sehr dunkle Geschichte, wie Menschen als Bürger zweiter Klasse identifizierbar gemacht wurden, was diese ganze Thematik zu einem ethischen Minenfeld für jeden Politiker des Kontinents macht.

In England hat die britische Regierung angekündigt, keine weiteren Lockdowns oder obligatorische Impfnachweise anzuordnen. Gesundheitsminister Sajid Javid betonte am Sonntag:

"Wir haben die ganze Zeit über gesagt, dass wir einen Plan A haben, und an dem halten wir im Moment fest."

Angesichts der Tatsache, dass die Regierung von Boris Johnson jedoch täglich Kehrtwenden vollzieht, würde ich das Gesagte mit Vorsicht genießen. Interessanterweise warnte Javid auch:

"Wenn wir mit Plan B weitere Maßnahmen ergreifen müssten, würden wir dies tun, aber wir sind noch nicht an diesem Punkt."

Für das Protokoll: Plan B beinhaltet obligatorische Impfnachweise, durch die Ungeimpfte von einer Vielzahl von Aktivitäten ausgeschlossen werden.

Nun möchte ich klarstellen, dass ich kein Impfgegner bin. Ich hatte meine zwei Impfungen und werde meine Auffrischungs-Impfung bekommen, sobald ich dazu berechtigt bin. Ich hatte auch COVID-19, und das war keine angenehme Erfahrung. Trotzdem habe ich Freunde und Familienmitglieder, die entschlossen sind, den Impfstoff nicht zu akzeptieren, und das ist ihr gutes Recht. Schließlich ist es ihr Körper und sie – nur sie allein – sollten in der Lage sein zu entscheiden, was da reingespritzt wird, und nicht etwa der Staat.

Ich glaube, dass die Menschen dazu ermutigt werden sollten, sich impfen zu lassen, aber ich würde eher zu Zuckerbrot statt Peitsche raten. Und auch diejenigen, die sich gar nicht impfen lassen, sollten nicht aus der Gesellschaft ausgeschlossen werden, wenn sie sich aus medizinischen oder auch nur aus ethischen Gründen weigern, sich der Impfung zu unterziehen.

Der beängstigendste Aspekt bei all dem ist für mich die Vorstellung, dass Ungeimpfte identifizierbar gemacht werden, da das dann ein Potenzial hat, mehr zu schaden als zu nützen. Darüber hinaus garantiere ich Ihnen, dass zwei Dinge passieren werden: Erstens werden die Gesellschaft und sogar die Familien noch mehr gespalten, und zweitens wird es auf dem Schwarzmarkt einen florierenden Handel mit gefälschten COVID-19-Pässen und -Zertifikaten geben.

Und doch ist klar, dass etwas getan werden muss. COVID-19 breitet sich wie ein Lauffeuer in ganz Europa aus, was nach Ansicht von Wissenschaftlern die Aussicht auf zusätzliche, neue Varianten erhöht. Krankenhäuser in den Ländern mit steigenden Zahlen von COVID-19-Fällen erreichen bald ihre Belegungsgrenze. Aber es ist unerlässlich, bei all dem die richtige Balance zwischen dem Schutz der Bürger und den bürgerlichen Freiheiten zu finden – und dabei prallen Politik und Wissenschaft oft aufeinander.

Es ist ein feiner Balanceakt. Ich habe ausnahmsweise mal Mitleid mit den Politikern, denn eines ist sicher: Es wird nur noch schlimmer – bis ein Weg gefunden wird, diesen neuen Ausbruch in den Griff zu bekommen.

RT DE bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.

Übersetzt aus dem Englischen.

Paul A. Nuttall ist Historiker, Autor und ehemaliger Politiker. Er war von 2009 bis 2019 Mitglied des Europäischen Parlaments und war ein prominenter Aktivist für den Brexit.

Mehr zum Thema - Offener Brief in The Lancet: Stigmatisierung Ungeimpfter ist nicht gerechtfertigt

Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.