Meinung

Koalitionsvertrag, Infrastrukturprojekte: Wo ist das Geld, sind die IT-Leute, die Bauarbeiter?

Wohnungsbau, Bahn, Digitalisierung, Energiewende – der Koalitionsvertrag der künftigen Bundesregierung ist voller ehrgeiziger Projekte, die hübsch klingen. Aber sie stoßen an harte finanzielle Grenzen, und außer Privatisierung werden nicht viele Ideen geboten. So wird das nichts mit der Zukunft.
Koalitionsvertrag, Infrastrukturprojekte: Wo ist das Geld, sind die IT-Leute, die Bauarbeiter?Quelle: www.globallookpress.com © bildgehege via www.imago-images

von Dagmar Henn

Dieser Koalitionsvertrag ist eine schwierige Lektüre. Nicht nur, weil er 178 Seiten umfasst, sondern auch, weil die Formulierungen in vielen Fällen die eigentliche Aussage kaschieren und erst einmal entschlüsselt werden wollen.

Ein kleines Beispiel dafür. Da steht: "Das Postgesetz wollen wir novellieren und dabei sozial-ökologische Standards weiterentwickeln sowie den fairen Wettbewerb stärken. Wir nutzen das Bundesfinanzierungsgremium, um regelmäßig zu überprüfen, ob die mit der Beteiligung verfolgten Ziele auch erreicht werden und ob sie noch zur öffentlichen Daseinsvorsorge benötigt werden."

Das klingt unschuldig. Wenn man es entschlüsselt, heißt es: "Wir werden das Postgesetz ändern, um ökologische Auflagen zu erteilen und private Anbieter zu fördern. Das Bundesfinanzierungsgremium soll uns dann mitteilen, dass die Beteiligung des Bundes an der Post zur Daseinsvorsorge nicht mehr nötig ist, damit wir den ganzen Laden endlich verscheuern können."

Ähnliches findet sich an vielen Stellen des Vertrages. Die Absicht, weiter zu privatisieren, zu kommerzialisieren und statt staatlicher Leistungen Aufgaben privat erledigen zu lassen (was in der Regel nicht besser, aber deutlich teurer ist), findet sich oft, ist aber stets hinter Euphemismen verborgen. Das überrascht nicht; mit den Grünen und der FDP sind zwei privatisierungsbesessene Parteien in dieser Koalition, und nicht einmal die SPD qualifiziert noch als Gralshüterin des öffentlichen Eigentums.

Aber werfen wir den Blick zuerst auf den offenkundigsten Widerspruch des Papiers. Ganz am Anfang steht: "Die öffentlichen Investitionen insbesondere in Klimaschutz, Digitalisierung, Bildung und Forschung werden wir im Rahmen der bestehenden Schuldenregel des Grundgesetzes gewährleisten." Was heißt das? Nun, dass keine dieser Investitionen durch Kreditaufnahmen finanziert werden kann.

Die übrigens aktuell (zehnjährige Bundesanleihen) mit 0,007 Prozent verzinst werden und jederzeit wieder ins Negative fallen können. Ein negativer Zinssatz heißt, der Staat erhält zusätzliches Geld dafür, dass er einen Kredit aufnimmt. Seit zehn Jahren oszilliert die Verzinsung deutscher Staatsanleihen um die null Prozent, aber die Schuldenbremse, die rechtzeitig vor diesem Zinssturz in die Verfassung geschrieben wurde, verhindert trotzdem, dass Investitionen getätigt werden. Was sie bekanntlich nicht verhindert hat, waren Milliardengeschenke an Konzerne wegen Corona.

Aber zurück zum Koalitionspapier. Die Ampel hat sich da Großes vorgenommen. Die digitale Infrastruktur soll nicht nur endlich das ganze Land erreichen, sie soll auch auf dem modernsten Standard funktionieren. Das wäre mittlerweile 6G, in einer Republik, die nach wie vor Mobilfunklöcher aufweist, in denen es nicht einmal 1G gibt, und Lücken in der Internetversorgung, in denen man Generationen von 100 MB/Sekunde entfernt ist.

Was, nebenbei bemerkt, eine Folge der Privatisierung des Telefonmarktes ist. Fünf, sechs verschiedene Anbieter stellen ihre Funkmasten auf, aber – weil sie gesetzlich nicht zur Grundversorgung verpflichtet sind – nur dort, wo es sich (für sie) rechnet. Nachdem auch die Telekom längst privat ist, verhält sie sich nicht anders. Sie ist mittlerweile mehr damit beschäftigt, den US-Mobilfunkmarkt zu übernehmen, als in Deutschland dafür zu sorgen, dass jedes Dorf seinen Internetanschluss erhält.

Welche Lösung schlagen die Ampler dafür vor? Mitnichten eine Rückführung auf eine vernünftige staatliche Infrastruktur oder die schlichte Verpflichtung, ein vollständiges Netz zu liefern, sondern: "Wir richten die Frequenzvergabe auf Vorgaben für Flächenversorgung aus, auch negative Auktionen sollen zum Einsatz kommen." Also, die Mobilfunkbetreiber sollen durch staatliche Zuschüsse motiviert werden, diese Löcher zu stopfen. Nichts anderes heißt "negative Auktionen"; es wird versteigert, aber der Ersteigernde erhält Geld, statt zu zahlen.

Nun, es konnte damals, als die Mobiltelefonie zum Markt erklärt wurde, noch keiner wissen, wie wichtig die Rolle dieser Kommunikationsform einmal werden würde. Dinge, an denen real geforscht wird, wie autonomes Fahren, brauchen sogar weit leistungsfähigere Netze als die heute vorhandenen, um zu funktionieren. Wenn aber klar ist, dass qualitativ ausgebaut werden muss, nicht nur quantitativ, dann ist eine staatliche Investition immer noch die billigste Lösung. Allein schon, weil kein zusätzlicher Gewinnanspruch abgedeckt werden muss; von dem strukturellen Vorteil, das dazu erforderliche Personal einheitlich ausbilden und einsetzen zu können, ganz zu schweigen.

Die öffentliche Verwaltung soll ebenfalls digitalisiert werden. Und zwar auch noch auf einheitlichen Plattformen, die (das ist dann ein positives Relikt der Vergangenheit) im Open-Source-Verfahren erstellt werden sollen.

Das kommt davon, wenn nur wenige der Beteiligten Erfahrung in der Verwaltung haben. Nur so als Hinweis: in größeren öffentlichen Verwaltungen baut sich die Datenverarbeitung gewissermaßen in archäologischen Schichten auf. Weil sich nie alles gleichzeitig ändert und jedes System so lange weiter eingesetzt wird, wie es funktioniert, gibt es Bestandteile, die nach wie vor in fast ausgestorbenen Programmiersprachen wie Fortran oder Cobol erstellt wurden; darüber dann mehrere unterschiedliche Generationen von Datenbank- und Buchhaltungsprogrammen, und dann meist maßgeschneiderte Software für Spezialaufgaben wie die Erfassung von Sozialdiensten. Jedes Element dieser komplizierten und nicht ganz logischen Struktur braucht Schnittstellen zu anderen Behörden oder Institutionen, die wieder jeweils eigene Datenformate wollen. Wenn man sich als Privatanwender darüber ärgert, einzelne Dateiformate nicht öffnen zu können – in der Verwaltung ist das zehnmal schlimmer.

Das Limit für die Digitalisierung der Verwaltung ist ein ganz simples, der Haushalt. Die meisten Kommunen können es sich schlicht nicht leisten, mal eben die gesamte Verwaltung umzustellen. Das kostet ja nicht nur Software und Rechner und teure IT-Spezialisten; da muss auch das Personal in der Anwendung geschult werden, weil das beste Programm nichts nützt, wenn es keiner versteht. Allerdings sind die größten Brocken der Verwaltungsaufgaben, wie das Einwohnermeldewesen, kommunale Aufgaben (der sogenannte "übertragene Aufgabenkreis"); um hier voranzukommen, bräuchten nicht nur die Kommunen deutlich mehr Geld, sie bräuchten wesentlich mehr der teuren Ressource IT-Spezialist, die eben deshalb teuer ist, weil begrenzt vorhanden ...

Wenn man betrachtet, wie kompliziert das bei den Kommunen ist, kann man auch schnell begreifen, warum das mit der Digitalisierung der Schulen nicht so richtig klappt. Abgesehen davon, dass Schulen in die Verantwortung der Bundesländer gehören und der Bund da nur sehr begrenzt mitzuschnabeln hat, ist die Sachausstattung der Schulen in vielen Bundesländern wiederum Aufgabe der Kommunen. Auch hier dieselben Probleme. Es braucht nicht nur das Geld. Wenn in einer Schule ein internes Netz aufgebaut wird, braucht es dazu mindestens eine Person, die imstande ist, das Netz und eventuell daran hängendes Gerät zu betreuen und zu warten. Allerdings scheitert mancherorts die Ausstattung der Klassenräume mit Rechnern schon an der Kapazität der Stromleitungen im Gebäude, was zeigt, dass dieses Problem ebenfalls nicht mit einem Fingerschnipsen zu lösen ist.

Aber gut, gehen wir einmal davon aus, das gesamte Thema Digitalisierung würde mit Bundesmitteln abgedeckt, es gelänge, das erforderliche Personal zu finden und alle damit verbundenen technischen Probleme zu lösen. Eine Herausforderung, aber machbar. Wie gesagt, die Vorgabe lautet: unter Einhaltung der Schuldenbremse.

Dann sollen bis 2030 15 Millionen "vollelektrische Pkw" fahren. Das sagt sich so. Dahinter versteckt sich aber ebenfalls ein enormer Infrastrukturbedarf. Es gibt schließlich keine Ladeinfrastruktur für diese Pkw, und die müssen sehr oft geladen werden. Der normale Hausanschluss gibt für eine Schnellladung nicht genug Strom; auch da müssten neue Kabel verlegt werden. Gleichzeitig hat sich aber mittlerweile herausgestellt, dass ein solcher Ladeanschluss eine Brandgefahr darstellt; er dürfte z. B. in Tiefgaragen ohne zusätzliche Belüftung und Brandschutzvorrichtungen gar nicht betrieben werden.

"Wir werden deshalb den vorauslaufenden Ausbau der Ladesäuleninfrastruktur mit dem Ziel von einer Million öffentlich und diskriminierungsfrei zugänglichen Ladepunkten bis 2030 mit Schwerpunkt auf Schnellladeinfrastruktur ressortübergreifend beschleunigen, auf Effizienz überprüfen und entbürokratisieren. Wir setzen auf die Mobilisierung privater Investitionen."

Viel Glück dabei. Bei der Idee ist auf jeden Fall sichergestellt, dass das, was vielleicht als Kostenvorteil eines Elektroautos im Betrieb noch übrig ist, in den Taschen der Ladepunktinvestoren landet. Aber wenigstens hat das verzweifelt vagabundierende Kapital einen neuen Ankerplatz gefunden. "Vorauslaufend" ist übrigens das witzigste Wort in diesem Abschnitt. Da die Ladeinfrastrukturen schon für die jetzt vorhandenen Elektroautos nicht reichen, wäre "hinterherdackelnd" das passendere Verb gewesen.

Was alles noch nicht das Hauptproblem ist. Auch die weltweit steigenden Kupferpreise, die die erforderlichen Kabel verteuern, sind noch nicht das Hauptproblem. Wenn man Kabel verlegen will, braucht man Menschen, die das tun. Für viele zu verlegende Kabel braucht man viele Menschen. Die deutsche Bauwirtschaft wurde aber in allen Bereichen über Jahrzehnte heruntergefahren, weshalb es diese Menschen nicht gibt; jedenfalls nicht genug davon, um zwei große Projekte in dieser Richtung gleichzeitig bewältigen zu können.

Aber mit dem Ziel, auf Elektroautos umzustellen, ist ja noch nicht das Ende der Fahnenstange erreicht. Gleichzeitig sollen weit mehr Windkraftanlagen gebaut und die dafür erforderlichen Stromtrassen quer durch die Republik erstellt werden. Wobei erstere privaten Investoren Gewinne abwerfen sollen, wofür wieder die CO₂-Besteuerung dienen soll, nachdem die EEG-Umlage ausläuft ... die CO₂-Besteuerung, die jetzt schon munter dabei ist, die Lebenshaltungskosten für die breite Masse in die Höhe zu treiben. Aber keine Sorge, auch dafür braucht man Bauarbeiter ... ebenso wie für die Erneuerung der Bahntrassen sowie der Autobahnbrücken (auch wenn letzteres treu neoliberal als PPP endet). Und die angestrebten 400.000 Wohnungen pro Jahr bauen sich auch nicht von allein.

Engpass Nummer zwei nach den IT-Spezialisten werden also die Bauarbeiter. Klar, der Bedarf wird nicht ganz so hoch, wenn sie anfangen nachzurechnen, was davon unter der Schuldenbremse wirklich finanziert werden kann; aber dennoch – es wird hinten und vorne fehlen.

Beim angestrebten Wohnungsbau sind die Ampler auf eine ganz tolle Idee gekommen: modulares und serielles Bauen. Das gab es in Deutschland bereits. Das ist der jahrzehntelang beschimpfte Plattenbau mit vorgeformten Teilen, z. B. WBS 70. Problem dabei ist nur, das haben mir Baufachleute schon vor Jahren gesagt, dass es hoch qualifiziertes Personal braucht, um vorgefertigte Teile mit einer Toleranz von Millimetern zu verbauen. Mit Sub-Sub-Subunternehmern und Personal aus aller Herren Länder funktioniert das nicht. Das heißt, theoretisch wäre es möglich, die Bautechnik der DDR wiederzubeleben, um das Wohnungsproblem zu lösen, aber erst nach einer Qualifizierungsoffensive, die schwer umzusetzen ist, wenn Bauarbeiter gerade überall gebraucht werden.

Ach ja, die 400.000 Wohnungen jährlich sollen unter der Vorgabe gebaut werden, dass der Flächenverbrauch in Deutschland auf 30 Hektar pro Tag sinkt. Das wäre eigentlich nur zu erreichen, indem man keine Einfamilienhäuser mehr zulässt, die das schlechteste Verhältnis zwischen Bodenbedarf und Wohnraum haben. Das wird aber nicht passieren, da die Grünen und die FDP die klassische Einfamilienhausklientel sind und den Teufel tun werden, ihre eigenen Wähler einzuschränken. Die Lösung dürfte also darin liegen, was so poetisch "Nachverdichtung" genannt wird – einer noch dichteren Bebauung ohnehin schon dicht bebauter städtischer Gebiete. Oder dann eben der achselzuckenden Einstellung der Ziele.

Die Bahn soll ausgebaut werden; das klingt erst einmal ganz gut: "Wir werden den Masterplan Schienenverkehr weiterentwickeln und zügiger umsetzen, den Schienengüterverkehr bis 2030 auf 25 Prozent steigern und die Verkehrsleistung im Personenverkehr verdoppeln." Ein klein wenig peinlicher klingt das nächste Ziel: "Bis 2030 wollen wir 75 Prozent des Schienennetzes elektrifizieren." Aber auch hier kommt sogleich der Haken an der Sache: "Die Eisenbahnverkehrsunternehmen werden markt- und gewinnorientiert im Wettbewerb weitergeführt." Ja, die eierlegende Wollmilchsau. Der Eisenbahnverkehr ist entweder ein wirklich flächendeckendes, attraktives Verkehrsmittel, bei dem dann auch die Verdoppelung des Personenverkehrs denkbar wäre, oder ein gewinnorientiertes Unternehmen. Der augenblickliche miserable Zustand ist das Ergebnis der Gewinnorientierung, und solange sich das nicht ändert, ist eine wirkliche Verbesserung kaum zu erwarten. Aber Papier ist geduldig, das gilt auch für Koalitionsverträge.

Klitzekleine Planungsprobleme gibt es bei den ganzen angestrebten Baumaßnahmen übrigens auch. Die liegen, wen überrascht es, unter anderem daran, dass auf sämtlichen Ebenen die Baubehörden bis an die Grenze der Funktionsunfähigkeit heruntergespart wurden. Um dem entgegenzutreten, verspricht die Ampel zusätzliches Personal. Das muss es allerdings erst einmal geben, und selbst wenn es das gibt, liegt die Planungshoheit nur zu sehr kleinem Teil beim Bund, zum größten Teil wieder – bei den Kommunen, die notorisch knapp sind. Und der Koalitionsvertrag verspricht zwar, künftig die Kosten wirklich auszugleichen, wenn den Kommunen zusätzliche Aufgaben zugeschoben werden, aber kein Kommunalpolitiker ist vertrauensselig genug, das zu glauben, ehe das Geld auf dem Tisch liegt.

Besonders lustig ist es, wenn – vor allem im Interesse der angestrebten Energiewende – davon geschrieben wird, ein Gleichgewicht zwischen Naturschutz und Planungsbedarf zu finden. Ich sage nur Zauneidechse – Feldhamster geht auch. Wer je mit diesen Fällen zu tun hatte, wenn auf einem Grundstück Zauneidechsen entdeckt wurden, weiß, dass so etwas den Bau um Jahre verzögert und um Millionen verteuert. Es würde mich ja nicht wundern, wenn es irgendwo im Netz inzwischen einen lebhaften Handel mit Zauneidechsen und Feldhamstern gäbe ...

Und was fällt ihnen noch zu den Planungsproblemen ein? "Wir setzen uns dafür ein, dass die Zulassungsbehörden durch den Einsatz externer Projektteams wirksam entlastet werden." Einige der Verhandler haben wohl Verwandtschaft in irgendwelchen Beratungsfirmen, so wie Frau von der Leyen. Wieder einmal eine teure Lösung, bei der irgendwer einen Schnitt macht, den die Steuerzahler zahlen.

Die vergangenen Jahrzehnte seit Beginn des Privatisierungswahns haben eigentlich zur Genüge belegt, dass alle Netzstrukturen, die zur öffentlichen Versorgung dienen – ganz gleich, ob Kommunikations-, Strom- oder Transportnetz –, als natürliche Monopole ihren Zweck am besten als öffentliche Einrichtung erfüllen. Der schlechte Zustand, in dem sie sich befinden, ist die Folge der bereits durchgeführten Privatisierungen und Gewinnorientierungen. Die Ampelkoalition hat das offenkundig nicht verstanden. Sie setzt sogar noch eins obendrauf – mit den verklausuliert verkündeten Plänen, die Post zu privatisieren. Wirkliche Verbesserungen sind so nicht zu erwarten.

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