Unschuldige Zivilisten töten? Kein Problem, wenn es die USA sind
Ein Kommentar von Tom Fowdy
Inmitten des Chaos in Afghanistan, als sich die Vereinigten Staaten im vergangenen August eiligst aus dem Land zurückzogen, führten falsch interpretierte Geheimdienstinformationen über die terroristische Gruppierung ISIS-K zu einem amerikanischen Drohnenangriff über Kabul. Bei diesem wurde eine Reihe unschuldiger Menschen – darunter viele Kinder – getötet.
Einige Monate später stellte ein ''unabhängiger Untersuchungsausschuss des Pentagons'' fest, dass hinter dem Angriff kein Fehlverhalten oder Nachlässigkeit steckte, und empfahl für die Verantwortlichen, die bei der Auswahl ihres Ziels einfach "die falschen Schlussfolgerungen" gezogen hatten, keine Disziplinarmaßnahmen.
Der Bericht dieses Untersuchungsausschusses wird diejenigen nicht weiter überraschen, die nicht von der unkritischen Stimmungsmache der Mainstream Konzernmedien, für die Interessen der US-Außenpolitik, geblendet wurden. Amerika hat, ohne sich zu entschuldigen und ohne Konsequenzen zu erfahren, erneut Zivilisten ermordet. Es ist ein wiederkehrendes Schema, das sich in vielen weiteren Ländern zeigt, insbesondere in jenen Ländern, die von den USA angegriffen oder überfallen wurden, von Afghanistan über den Irak bis hin zu Syrien.
Wäre aber, andererseits, ein solcher Drohnenangriff von China, Russland, Iran oder einem anderen Land, das die USA als Bösewicht betrachten, ausgegangen, hätten die Mainstream-Medien und die politischen Eliten unisono lautstark aufgeheult und diesen Angriff aufs Schärfste verurteilt, ihn als weiteren Beleg für die Brutalität des Angreifers und als Kriegsverbrechen gebrandmarkt. Die USA haben in der Vergangenheit für weitaus weniger schwerwiegender Gründe, Sanktionen gegen andere Länder verhängt – im Namen des Schutzes von Menschen oder der "Menschenrechte".
Man betrachte zum Beispiel die unzähligen Sanktionen, die über Kuba nach einem einzigen "Tag der Proteste gegen das Regime" verhängt wurden. Wen wundert es, dass die von den USA geführte "internationale Ordnung" zunehmender Ernüchterung und Widerständen ausgesetzt ist? Und dass diese Ordnung zunehmend als wenig mehr als ein Sammelsurium amerikanischer Kerninteressen wahrgenommen wird, im Gegensatz zu den sogenannten außergewöhnlichen Werten und der Rechtsstaatlichkeit, die sie vorgibt, zu wahren?
Taten sprechen letztlich mehr als Worte, und was kann man in diesem Verhalten anderes sehen als ein globales System des "Tu, was ich Dir sage, und nicht wie ich es tue", das grundsätzlich ungleich, trügerisch und ungerecht ist.
Die USA und ihre engsten Verbündeten – insbesondere die in der "Anglosphäre" – bezeichnen sich selbst als die aufrichtigsten und wohlwollendsten Nationen der Geschichte. Sie verzerren damit, was in Tat und Wahrheit Jahrhunderte des nackten Imperialismus, der feindlichen Eroberungen und des Expansionismus waren, und füttern ihre Bürger mit großen Mythologien, wie die des Zweiten Weltkriegs, sodass man jetzt als die Retter und Beschützer der freien Welt dastehen könne, was von der breiten westlichen Öffentlichkeit enthusiastisch geschluckt wird.
Dieses Narrativ der Exzeptionalität führt zu einer Außenpolitik, in der Aggressionen gegen andere nicht als das wahrgenommen werden, was sie sind – Krieg und Terror –, sondern als eine Förderung des Gemeinwohls, das einzig den Interessen derjenigen verpflichtet ist, die man militärisch und politisch angreift.
Dabei besteht die größte Täuschung der USA und ihrer Verbündeten darin, so zu tun, als ob der Begriffsinhalt von "nationalem Interesse" in Bezug auf Macht oder Reichtum untereinander nicht existiert, sondern ausschließlich bei denen, die man ablehnt. Für den Westen manifestierten sich "nationales Interesse" durch die Werte, von denen sie behaupten, dass sie universell für alle gelten. Die Konflikte und komplizierten materiellen und sozioökonomischen Realitäten der Weltpolitik werden auf eine märchenhafte Erzählung von Gut oder Böse reduziert.
Da sich jedoch fast alle Machtzentren, das Kapital und die Medien dieser zweifelhaften Mythologie anschließen, wird sie insofern selbstbestätigend, dass diejenigen, die ihr zum Opfer fallen, entmachtet werden und nicht für ihre Interessen sprechen können, was die Realität verzerrt. Wenn man den Mainstream-Medien von ganzem Herzen glauben will, könnte man wirklich denken, dass die populäre Opposition gegen die USA in der Welt nicht existent und lediglich eine Erfindung der Gegner ist, weil im Westen immer davon ausgegangen wird, dass sich alle automatisch an den westlichen Werten ausrichten wollen.
Daher wurde die Invasion des Irak im Jahr 2003 nicht als das dargestellt, was sie in Wirklichkeit war, nämlich die Plünderung einer strategisch wichtigen und ölreichen Nation durch die USA und ihre Verbündeten, sondern als eine Befreiung des Landes von einer Tyrannei, die angeblich die Welt bedrohte. All die irakischen Zivilisten, die bei der Invasion und dem anschließenden Aufstand ums Leben kamen? Sie alle wurden von den USA angeblich gerettet.
Deshalb ist die Situation in Afghanistan ein wichtiges Brennglas, durch das man verborgene Wahrheiten sehen kann. Und wie man gesehen hat, haben die USA die Macht und die Fähigkeit, bereitwillig Gräueltaten gegen Menschen in verarmten Ländern zu begehen, die in der Welt keine Stimme haben, sie dann unter den Teppich zu kehren, als ob sie nie existiert hätten, um damit den althergebrachten Exzeptionalismus zu bekräftigen, zu dem sie sich seit jeher bekannt haben.
Die Mainstream-Medien spielen diese Vorgänge im Allgemeinen herunter oder ignorieren sie vollständig. Aber wenn jemand anderes als die USA oder ihre Unterstützer so etwas tun würde, würde dies mit einer umfassenden Zurschaustellung von Selbstgerechtigkeit, moralischem Getue und scharfer Verurteilung beantwortet.
Aber diese heuchlerische Doppelmoral darüber, wer zur Rechenschaft gezogen werden sollte und wer nicht, entblößt einen janusköpfigen Ansatz in den internationalen Beziehungen und die Kategorisierung menschlichen Lebens in zwei Klassen. Es wird die Idee gefördert, dass es durchaus akzeptabel und erlaubt ist, Menschen im globalen Süden im Namen der US-Außenpolitik sterben zu lassen, damit der Westen seine eigenen Privilegien aufrechterhalten kann.
Im Falle von Afghanistan stellte sich heraus, dass die "Demokratie" nach amerikanischem Vorbild – den die Amerikaner ihnen in den vergangenen 20 Jahren versucht haben beizubringen und aufzuzwingen – für die Menschen dort überhaupt keine Rolle spielte. Sobald die USA das Land verlassen hatten, stellte sich schnell heraus, dass das politische Experiment, das sie aus dem Land gemacht hatten, auf Sand gebaut war. Die Idee von Amerika als Retter hat es in der Praxis in Afghanistan nie gegeben. Nicht nur, weil die USA aus anderen Gründen dieses Land besetzt hielten, sondern auch, weil Amerika selbst so sehr an seine eigene heuchlerische Geschichte glaubt, dass es Afghanistan nie zu dessen Bedingungen verstehen wollte und es auch nie für nötig hielt, es zu tun.
In diesem Kontext sollten wir, auch wenn man ihre Behandlung von Frauen nicht unterstützen kann, die Taliban vielleicht weniger als bösartige barbarische Terroristen betrachten, die vom afghanischen Volk in Schach gehalten werden sollten, sondern eher als bevollmächtigte, paschtunische Nationalisten, die Unterstützung bei jenen Afghanen fanden, die der Besetzung ihres Landes ein Ende setzen wollten und die korrupte Vasallenregierung stürzen, von der sie auf Geheiß der USA regiert werden sollten.
Inmitten des eingangs beschriebenen barbarischen Drohnenangriff, für den sich die USA nicht verantwortlich halten, ist es verständlich, warum die Stimmung in Afghanistan möglicherweise die einer Befreiung ist. Doch die Lüge des amerikanischen Exzeptionalismus lebt weiter, während er von einem Unglück zum nächsten stolpert.
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Übersetzt aus dem Englischen.
Tom Fowdy ist ein britischer Autor und Analytiker für Politik und internationale Beziehungen mit Schwerpunkt Ostasien. Er twittert unter @Tom_Fowdy
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