Meinung

Klimaschutz statt Klassenkampf – Warum die Luft bei Occupy Wall Street nach zehn Jahren raus ist

Occupy Wall Street hatte vor zehn Jahren das Potenzial, den politischen Aktivismus auf die nächst höhere Stufe zu heben. Stattdessen könnte er durch die Bewegung für immer lahmgelegt worden sein.
Klimaschutz statt Klassenkampf – Warum die Luft bei Occupy Wall Street nach zehn Jahren raus istQuelle: AFP © Stan Honda

Ein Kommentar von Helen Buyniski

Occupy Wall Street (OWS) war für viele politische Aktivisten der Punkt, an dem die Massen, "die 99 Prozent", nah dran waren, die Fundamente der Macht zu erschüttern. Aber OWS hat auch den Samen gelegt, der die nachfolgenden politischen und sozialen Bewegungen zum Entgleisen brachte, sodass das eine Prozent mehr als je zuvor sicher im Sattel sitzt.

Als OWS-Aktivisten vor zehn Jahren damit begannen, Zelte in südlichsten Teil von Manhattan aufzustellen und den Zuccotti Park zu besetzen, teilweise inspiriert vom Arabischen Frühling und motiviert durch die blanke und unverhohlene Arroganz der Banken, die mit dem Geld der Menschen gezockt hatten, es verloren, und dann obendrauf noch forderten, schadlos gehalten zu werden, teilten sich die Verwalter der Narrative in zwei Lager auf.

Auf der einen Seite gab es diejenigen, die das OWS-Camp als eine Eintagsfliege von Hippies bezeichneten, die dringend ein Bad nehmen sollten. Auf der anderen Seite standen diejenigen, die das OWS-Camp – vielleicht in der Hoffnung, es für die eigenen politischen Zwecke zu nutzen – als eine Wiedergeburt des politischen Aktivismus feierten. Entstanden war OWS nach einem "Aufruf zu den Waffen", der von einem finanzstarken kanadischen Magazin namens Adbusters veröffentlicht wurde. Einzelpreis damals: 7,60 Euro pro Ausgabe. Die Glaubwürdigkeit dieses Aufrufs bei der Basis hielt sich in Grenzen. Aber die Idee ergriff die amerikanische Vorstellungskraft und brachte einflussreiche Namen wie den antikapitalistischen Professor David Graeber in die Sache mit ein. Viele kamen beim Zuccotti Park vorbei, um mit den Besetzern zu sprechen oder sogar für ein paar Tage ein Zelt aufzustellen.

Da sich das Land mitten in einer Rezession befand, es so gut wie keine Jobs gab und viele Menschen durch Zwangsvollstreckungen obdachlos wurden, mündete diese vermeintliche Bewegung von Dilettanten in ein ernst zu nehmendes Phänomen mit Durchhaltevermögen – wenn auch hauptsächlich in den Köpfen der Menschen und nicht immer im Camp selbst.

Überall in den USA und auf der ganzen Welt entstanden Camps nach dem Vorbild von OWS. Endlich, so schien es, waren die Feinde der Menschheit identifiziert. Dies waren die internationalen Bankenkonsortien, die sich zwar nicht an Regeln hielten, aber auch nicht allmächtig waren. Tatsächlich mussten sie eben gerade die Hilfe von korrupten Regierungen in Anspruch nehmen, um sich aus der Finanzkrise herauszuhauen und schadlos zu halten. Nie zuvor wurden die Kräfte, die die Welt regierten, als verwundbarer angesehen.

Aber der fragwürdige Ursprung der Occupy Bewegung hat dazu beigetragen, sie zu versenken. Gerüchte über eine finanzielle Unterstützung durch fragwürdige Leute wie George Soros, jenem liberalen Buhmann, der angeblich über seine Tides Stiftung auch ein Wohltäter von Adbusters war, wurden sowohl vom Magazin als auch von Soros selbst bestritten. Auch Gerüchte über eine Unterstützung durch die Großgewerkschaften und von der Demokratischen Partei selbst ließ viele zu der Überzeugung gelangen, dass deren Ziel nicht der Umsturz des herrschenden Systems war, sondern die Zementierung der bestehenden parasitären Strukturen, die die Wall Street symbolisch repräsentierte.

Gewiss schienen einige Aspekte der Bewegung darauf ausgelegt worden zu sein, zu frustrieren, zu verwirren und zu entmachten. Das "Volksmikrofon" zum Beispiel verwandelte jede Ansage in eine potenziell stundenlange Übung in "kollektiver Entscheidungsfindung", bei der den Unerfahrensten dieselbe Redezeit gewährt wurde wie den Experten. Auf alberne Weise erzeugte dies auch die Illusion eines Konsenses, wo es keinen gab. Frühe und beunruhigende erste Tendenzen hin zur aufkommenden "Politik der Identität", die unter Linken später tiefe Gräben aufreißen würde, waren auf Generalversammlungen bereits spürbar. Selbst die idiotischsten Vorschläge wurden wie alle anderen behandelt.

Jeder politische Stratege weiß, dass die Dinge am reibungslosesten laufen, wenn die Opposition von den Machthabern kontrolliert wird. Und bei Occupy war das nicht anders. In der Zwischenzeit half die Polizei, dem OWS-Protest das Genick zu brechen, indem sie Obdachlose und Menschen, die erst kürzlich aus einem Gefängnis entlassen worden waren, auf das OWS-Camp im Zuccotti Park verwiesen, welches dann erwartungsgemäß binnen kürzester Zeit zu einem Hort von kostenlosen Lebensmitteln und diverser fremder Besitztümer wurde.

Die Bewegung wurde schließlich durch ihre Weigerung, konkrete Forderungen zu stellen, besiegt. Dies wurde von den angeblich nicht existierenden Anführern, die jedoch gleichzeitig über die Ressourcen verfügten, eine Zeitschrift namens Occupied Wall Street Journal zu veröffentlichen und zu verbreiten, als ein positiver Aspekt der Bewegung dargestellt. Mit dem Versäumnis, von den Herrschenden der Hochfinanz, die nur wenige Häuserblocks entfernt residierten, etwas zu fordern, wurde eine riesige Chance vertan.

Denjenigen im OWS-Camp, die tatsächlich unter den finanziellen Folgen des Finanzcrashs im Jahr 2008 zu leiden hatten, fehlte der nötige Einfluss, um Themen wie Zwangsvollstreckungen oder Entlastungen bei Studentendarlehen in den Vordergrund zu bringen, sodass die für den Finanzcrash Verantwortlichen mit ihrem finanziellen Totschlag ungeschoren davonkommen konnten.

Was die Bewegung zusätzlich demoralisierte, war eine E-Mail von Kalle Lasn, dem Mitbegründer von Adbusters. Er stieß den Besetzern im Zuccotti Park vor den Kopf, indem er sie in seiner E-Mail aufforderte, "nach Hause zu gehen". Eine E-Mail, die nur wenige Stunden vor dem Aufmarsch der New Yorker Polizei mit Bulldozern und der Müllabfuhr abgeschickt wurde. Alles landete im Müll, von einer beeindruckenden Bibliothek subversiver Literatur bis hin zu Fahrrädern, die zu Stromgeneratoren umgebaut worden waren, mit denen das Camp über den Winter hätte warm gehalten werden können.

All die "frischen Taktiken, Philosophien und die unzähligen Projekte", von denen Adbusters behauptete, dass die Occupiers sie bereithielten um "damit im kommenden Frühjahr so richtig zu rumpeln", blieben aus. Das Magazin betrieb wieder seine übliche Nabelschau und tadelte die schrumpfende Konsumentenklasse, weil sie zu viel konsumierte. Vermutlich zählte der Kauf des Magazins selbst nicht als Konsum. Solch ein erhobener Zeigefinger täuschte darüber hinweg, dass Armut, weit davon entfernt kein Thema mehr zu sein, lediglich neu definiert und ihre Opfer als nutzlose Esser eingestuft wurden und dass diese Menschen solange toleriert werden, bis man etwas mit ihnen anfangen kann.

Als Beweis dafür, wie sehr die Luft bei OWS raus ist, war ein "Aufruf zum Handeln" in einer Reddit-Gruppe, die denselben Namen Adbusters trägt, in dem zu einem "Generalstreik für Klimaschutz" am 17. September dieses Jahres aufgerufen wurde, dem zehnten Jahrestag an dem die "99 Prozent" am nächsten dran waren, die Parasiten zu besiegen, von denen sie ausgebeutet wurden. Aber der Protest gegen den Klimawandel, wie der Journalist Cory Morningstar durch seine umfangreichen Recherchen aufgezeigt hat, ist oft nur ein weiterer Betrug, hinter dem sich die Superreichen der Welt verstecken, um die Armen der Welt weiter ausbeuten zu können. Bis nichts mehr zu holen ist.

Ein Blick auf die Klimaforderungen dieser Reddit-Gruppe deutet in der Tat darauf hin, dass die Macher des Magazins den Klassenkampf aufgegeben haben und stattdessen auf das Signalisieren von ökologischen Tugenden umgeschwenkt sind, was die stiftungsfinanzierten Linken so sehr charakterisiert.

Die Gruppe fordert nicht nur ein Ende der Subventionen für fossile Brennstoffe, sondern auch die Schließung von Unternehmen, die mit fossilen Brennstoffen zu tun haben und die zudem wegen "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" angeklagt werden sollen. Die Gruppe scheint nicht zu verstehen, dass die Unterbrechung der Versorgung mit fossilem Öl und Gas eine viel verheerendere Auswirkung auf die Armen dieser Welt haben wird als auf die Geldbörsen der Reichen, die ewig von ihren Investitionen leben können, ohne je ins Bedrängnis zu geraten.

Der Aufruf des kanadischen Magazins zu einem Generalstreik mag – oder auch nicht – vielleicht aus den Nachwehen des Post-COVID-Polizeistaates Kanada entsprungen sein. Aber da die westliche Welt am Rande des "Great Reset" des World Economic Forum steht, ist klar, dass viel gravierendere Probleme im Spiel sind als diesen großen grünen Lockvogel, der von milliardenschweren Stiftungen eingesetzt wird und Kinder wie Greta Thunberg als Marionetten benutzt, um ihren Kreuzzug gegen die CO2-Emissionen voranzutreiben. 

Wie bei vielen in der OWS-Bewegung, wird diesen Kindern glauben gemacht, dass sie – und nur sie, niemals die Erwachsenen, die ihre telegenen Proteste inszenieren – "etwas erreichen können". Im Gegensatz zu den Occupiers sind die Klimakinder oft zu jung, um eine Lunte zu riechen und treten für Erwachsene auf, während ihre Geldgeber die Reste der Zivilisation abbauen.

Wie auch immer, Occupy Wall Street versetzte die Ultrareichen in Angst und Schrecken und ließ sie ihrer vergleichsweise geringen Zahl bewusst werden, als das friedliche Äquivalent einer Revolution mit Mistgabeln und Fackeln sich vor ihren Büros versammelte. Aber anstatt aus den Fehlern im Zuccotti Park zu lernen (Hinweis: Es gibt keine führerlose Bewegung), haben die Aktivisten diese Fehler als Wegweiser für alle zukünftigen Bewegungen genommen. Das Klassenbewusstsein wurde ausgelöscht und durch eine Identitätspolitik ersetzt, während Chancengleichheit zugunsten ausgeglichener Ergebnisse verworfen wurde.

Aktivisten haben sich durch das Versprechen ruhig stellen lassen, dass soziale Medien der einfachste Weg zur Revolution sind, wobei ganze Bewegungen von ein paar kleinen Bot-Farmen angetrieben werden, während echte Protestbewegungen von den Konzernmedien und den sozialen Medien unterdrückt werden und sich zunehmend im Gleichschritt mit den Regierungen bewegen, die wiederum selbst im Gleichschritt mit dem einen Prozent sind, die Occupy ursprünglich loswerden wollte.

Natürlich ist nicht alles verloren. Es ist noch nicht zu spät, aus dem zu lernen, was vor zehn Jahren schief gelaufen ist. Aber Klimastreiks und Umweltschützer bringen die Geier der herrschenden Klasse nur zum Kichern, während sie sich darauf vorbereiten, einen weiteren Totschlag zu begehen. Falls die menschliche Gesellschaft darauf hofft, in einigen Jahrzehnten noch zu existieren, dann schulden es die 99 Prozent sich selbst, sich daran zu erinnern, wer der Feind ist.

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Übersetz aus dem Englischen.

Helen Buyniski ist eine US-amerikanische Journalistin und politische Kommentatorin bei RT. Man kann ihr auf Twitter @velocirapture23 und auf Telegram folgen.

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