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Wie Washington, D.C. heimlich zur Hauptstadt Australiens wurde

Die Unterwürfigkeit von Australiens ehemaligem "Premierminister des Volkes" gegenüber dem US-Geheimdienst zeigt, dass Australien nie unabhängig war. Ein neuer Bericht eines Historikers bestätigt, dass Bob Hawke, im Amt von 1983 bis 1991, einige Zeit lang als Informant für den US-Geheimdienst wirkte. Diese geheime Beziehung hatte zweifellos einen großen Einfluss auf die Politik von Canberra.
Wie Washington, D.C. heimlich zur Hauptstadt Australiens wurdeQuelle: Reuters © Daniel Munoz/Reuters

von Kit Klarenberg

Die schockierende Enthüllung wurde vom Akademiker Cameron Coventry publiziert, der diplomatische Depeschen aus offiziellen Archiven analysiert hat und feststellte, dass Bob Hawke als Vorsitzender des Australischer Gewerkschaftsrats (ACTU), als Präsident der Labor-Partei und später als so genannter "Premierminister des Volkes" über viele Jahre hinweg sensible Informationen über die Regierungsarbeit, die Gewerkschaftsbewegung und vieles mehr an Washington weitergegeben hat.

Der genaue Zeitpunkt, an dem Hawkes verborgene Tätigkeit als Informant begann und wann sie endete, geht aus den analysierten Dokumenten aus den Jahren 1973 bis 1979 nicht hervor. In seiner Analyse stellt Coventry fest, dass im gleichen Zeitraum zahlreiche "bedeutende" Australier heimliche Verbindungen zu US-Beamten unterhielten, darunter Minister, Ministerpräsidenten und Parteiführer. Die "schiere Menge an Depeschen", die mit Hawke in Verbindung gebracht werden können, weise jedoch darauf hin, dass er "in dieser Praxis besonders verwurzelt" war und zwar in einem Ausmaß, das man als "ungewöhnlich" bezeichnen kann.

Die Beweggründe von Hawke gehen aus den Akten selbst nicht hervor, obwohl Coventry vermutet, dass er wohl versucht habe, "die USA davon zu überzeugen, dass man ihm vertrauen kann", als er sich auf den Einzug ins Parlament vorbereitete und "versprach", US-Diplomaten nah an seiner Seite zu behalten und diese über alles auf dem Laufenden zu halten, was Washington möglicherweise beunruhigen könnte.

Getreu seinem Wort lieferte er regelmäßig "zuverlässige" Informationen, um zu beweisen, dass man sich auf ihn verlassen konnte, einschließlich Vorwarnungen und Informationen über geplante Streiks und Arbeitskampfmaßnahmen von Arbeitern, die für große US-Unternehmen in Australien tätig waren. Er berichtete sogar von Treffen im Ausland mit einflussreichen Persönlichkeiten und Gruppen, darunter der britischen Labour Party. Auf unheimliche Weise machen die Depeschen deutlich, dass Hawke während dieser Reisen vermutlich unwissentlich vom US-Geheimdienst beschattet wurde.

US-Diplomaten ihrerseits sahen in Hawke einen großen "potenziellen Wert" als "möglichen
zukünftigen Labor-Führer und Premierminister" und erkannten eine einmalige Gelegenheit, ihn zu kultivieren und seine Perspektiven und seine Politik zu beeinflussen, mit der Absicht, neben anderen "wichtigen Interessen" auch "US-Verteidigungsanlagen in Australien zu schützen".

Da man das Gefühl hatte, dass Hawke "von einer anspruchsvollen, nicht Labor zentrierten Sichtweise über die Rolle multinationaler Unternehmen in der australischen Wirtschaftsentwicklung profitieren würde", kam der Vorschlag auf, ihn nach Washington einzuladen, wo er Vertreter der Chase Manhattan Bank, der Internationalen Handelskammer und der Brookings Institution sowie weiterer Denkfabriken treffen sollte, um in den Vorzügen der damals aufkeimenden Doktrin des Neoliberalismus geschult zu werden.

"Ich möchte betonen, wie wichtig ein geplanter Besuch von Bob Hawke in den USA sein kann. Es besteht kein Zweifel, dass er großes Potenzial hat. Er hat alle Aussichten, in den nächsten 20 Jahren in Australien eine wichtige Figur auf der politischen Bühne zu sein und es wäre es wert, echte Anstrengungen zu unternehmen, um ein lohnenswertes Programm für ihn zu entwickeln", heißt es in einer Depesche vom Mai 1974.

Drei Monate später berichtete eine andere Depesche mit Begeisterung von Hawke und sagte zuversichtlich voraus, dass er sich irgendwann zum "idealen australischen Labor-Vorsitzenden" wandeln würde – Neuigkeiten, die zweifellos in Washington äußerst willkommen waren, da Australien zu der Zeit von Gough Whitlam regiert wurde, ein aus Sicht der USA deutlich weniger idealer Labor-Vorsitzender.

1972 vor dem Hintergrund einer Welle von Unzufriedenheit, Massenprotesten und wachsender progressiver Stimmung in sein Amt gewählt, war Whitlam ein eigenwilliger Sozialdemokrat, der deutlich machte, dass sein Land nicht länger von ausländischen Mächten dominiert werden würde. Innerhalb weniger Monate hatte er die königliche Schirmherrschaft abgeschafft, die Volksrepublik China anerkannt, Pläne für die Landrechte der Aborigines ausgearbeitet, die Wehrpflicht beendet und alle australischen Truppen aus Vietnam abgezogen, während seine Minister den anhaltenden US-Krieg dort als "korrupt" und "barbarisch" bezeichneten.

Whitlam verdankte seinen Sieg in nicht geringem Maße der ACTU, damals eine sehr einflussreiche Organisation in der australischen Politik und Gesellschaft. Hawke war als Vorsitzender des Rates der ACTU für Washington von unschätzbarem Wert. Coventry merkt an, dass Hawke während seiner gesamten Zeit im Vorsitz mithalf, die Bewegung gemäß den US-Interessen zu "mäßigen" und "einzuweisen".

Schon früh hatte Hawke gegenüber US-Diplomaten darauf hingewiesen, dass er als Reaktion auf den linken Flügel in der ACTU gelegentlich "seine Rhetorik an die vorherrschende Linie anpassen muss", versicherte ihnen jedoch, dass dies ausschließlich dem "politischen Überleben" diene – mit anderen Worten, alle radikalen Aussagen, die er machte, waren nur zur Show. Hawke pflegte öffentlich –  auch aus Gründen der Show – eine herzliche Beziehung zum Premierminister und Labor-Vorsitzenden Whitlam – hinter den Kulissen jedoch benutzte er "zweisilbige Worte, die für eine Familienzeitung nicht geeignet wären", mit denen Hawke den "schwierigen", "dummen" und  "egozentrischen" Whitlam bedachte.

Whitlams Status als Zielscheibe wurde im März 1973 deutlich bestätigt, als er unerwartete und beispiellose Razzien in den Büros der australischen Inlandsnachrichtendienstes ASIO anordnete, weil die Behörde verdächtigt wurde, der Regierung Informationen vorzuenthalten. Die Ermittler entdeckten eine Fundgrube an sensiblen Informationen, die den Ministern jahrzehntelang vorenthalten worden waren – unter anderem erfuhr Whitlam zum ersten Mal von Australiens Mitgliedschaft im globalen Spionagenetzwerk "Five Eyes"; 17 Jahre, nachdem Canberra dem Netzwerk beitrat. Als Reaktion darauf kam James Jesus Angleton, der berüchtigte Chef der Spionageabwehr des US-Geheimdienstes CIA, zum Schluss, dass der Premier eine "ernste Bedrohung" sei und versuchte erfolglos, ihn mit verdeckten Aktionen seines Amtes zu entheben.

Erst im November 1975 wurde Whitlam schließlich aus seinem Amt geworfen und auf Befehl des Vertreters von Königin Elizabeth II, dem Generalgouverneur John Kerr, mit Billigung der CIA und des MI6, als Premierminister abgesetzt. Pläne, Hawke quasi mit dem Fallschirm ins Parlament zu werfen, wo er dann anschließend darauf hinarbeiten sollte, die Labor-Führung abzusetzen, wurden zu dieser Zeit "verstärkt" verfolgt, da die US-Diplomaten Hawke als denjenigen betrachteten, der "effektiv die Rolle des Oppositionsführers innehat".

Acht Jahre später wurde Hawke in einem Erdrutschsieg zum Premier gewählt, Washingtons Mann in Canberra saß endlich endlich Sattelfest an der Macht. Während seiner Amtszeit beseitigte er alle Spuren der Sozialdemokratie in Australien, deregulierte das Bankensystem, gab die australische Währung für internationale Börsen frei und wurde sogar unter seinen eigenen Ministern für seine "unkritische Unterstützung für die USA" berüchtigt.

Einige Details seines Doppellebens wurden im April 2013 von WikiLeaks veröffentlicht, was aber weder Hawkes öffentliches Ansehen beeinträchtigte, noch eine Debatte darüber auslöste, inwieweit ausländische Mächte Australiens Innen- und Außenpolitik diktieren und ihre politischen Führer auswählen, und ob dies ein akzeptabler Zustand ist.

Nichtsdestotrotz täten die australischen Bürger gut daran, an die Worte von WikiLeaks-Gründer Julian Assange zu denken – einem Australier, der derzeit in einem Hochsicherheitsgefängnis in London inhaftiert ist und auf seine Auslieferung in die USA wartet, weil er US-Kriegsverbrechen aufgedeckt hat. Assange sagte

"Wir sollten verstehen, dass Australien Teil der Vereinigten Staaten ist. Es ist Teil dieses  englischsprachigen Imperiums, dessen Schwerpunkt die Vereinigten Staaten sind, dessen zweites Zentrum das Vereinigte Königreich ist. Australien ist in dieser Hinsicht ein Vorort. Unsere Hauptstadt ist Washington. Die Hauptstadt Australiens ist DC. Das ist die Realität. Dort werden die Entscheidungen getroffen."

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Kit Klarenberg ist ein investigativer Journalist, der die Rolle von Geheimdiensten bei der Beeinflussung von Politik und öffentlicher Wahrnehmung untersucht. Folgen Sie ihm auf Twitter @KitKlarenberg.

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