Gipfeltreffen in Genf: Beide Präsidenten bekamen, was sie wollten
von Gabriel Gavin aus Moskau
Es ist schwer zu erraten, was sich Wladimir Putin dachte, als er am vergangenen Mittwoch die Stufen zu seinem Flugzeug auf der Startbahn in Genf erklomm, wohin er nur wenige Stunden zuvor zu einem Gipfeltreffen mit seinem US-Amtskollegen Joe Biden geflogen war.
Der russische Präsident gab wenig preis, als er nach dem Vier-Augen-Treffen hinter verschlossenen Türen zu Journalisten sprach, lobte Biden als Staatsmann und sagte, die Gespräche seien konstruktiv gewesen. Der US-Präsident hingegen gab gemischtere Botschaften zu Protokoll, kündigte an, dass es jetzt eine "echte Aussicht auf eine deutliche Verbesserung der Beziehungen zu Moskau" gebe und betonte gleichzeitig, dass er Putin in der Frage der "Menschenrechte" zur Rede gestellt habe.
Während die Welt nach Anzeichen für ein deutliches Tauwetter in den Beziehungen zwischen den beiden Supermächten Ausschau hielt, wurden die Startpistolen für Kolumnisten und Kommentatoren im Rennen darum abgefeuert, wen man jetzt zum "Sieger" des Treffens küren kann. Aber in Wirklichkeit haben sich beide Präsidenten im Wissen voneinander verabschiedet, das getan zu haben, was getan werden musste, oder wie es Biden selbst ausdrückte, "getan [zu haben], wofür ich gekommen bin zu tun".
Putin wurde von westlichen Medien fortwährend als Widersacher Bidens dargestellt, während es Biden war, der das Treffen bereits im vergangenen April vorgeschlagen und gesagt hatte, dass ein Treffen dazu beitragen würde, "eine stabile und vorhersehbare Beziehung zu Russland zu fördern". Er hatte hinzugefügt, dass dies "im Einklang mit US-Interessen" stehe.
Das Treffen war der Höhepunkt des ersten Auslandsbesuchs des US-Präsidenten und bot ihm die Gelegenheit, ein "Amerika ist zurück" zu posaunen und die außenpolitischen Ansätze seines Vorgängers Donald Trump zu revidieren. Für das US-Publikum bedeutete dies, es mit Russland aufzunehmen und Klartext zu reden, so wie es Generationen von US-Politikern vor Biden getan hatten. Es bedeutete auch, Trumps brutal eigennützige Realpolitik aufzugeben und wieder zu Washingtons üblichem Ansatz zurückzukehren, Gespräche über Menschenrechte als außenpolitisches Instrument zu verwenden und die Werte der USA im Ausland zu vertreten.
Trotz der ständigen Flut von Behauptungen, Trump hege heimliche Sympathien für Russland, ist eine Abkehr von Trumps Ansatz im Kreml nicht unwillkommen. Abgesehen von der gegenseitigen Neugierde nahm die Beziehung zwischen Putin und Trump nie wirklich Fahrt auf, und bellizistische Beamte wie John Bolton und Mike Pompeo neigten dazu, dafür zu sorgen, dass die Beziehungen zwischen Russland und den USA in einem Zustand der Feindseligkeit blieben. Biden hingegen ist viel vorhersehbarer, mit wenig ideologischem Abstand zwischen ihm und Barack Obama, unter dem er als Vizepräsident diente. Allerdings hatte er deutlich gemacht, dass er Putin alles andere als rosig sieht. Im März war es zu diplomatischen Irritationen gekommen, als Biden in einem Interview mit ABC News gefragt worden war, ob er Putin für einen "Killer" halte. "Mmmhmm … Ja, das tue ich", antwortete Biden.
Innenpolitik auf internationaler Bühne
In den Tagen vor dem Treffen präsentierte Biden seine Absicht, eine prinzipielle Haltung zu Menschenrechten und bürgerlichen Freiheiten einzunehmen, wobei Putin als bequemer Gegner positioniert wurde. "Ich treffe mich in ein paar Wochen mit Präsident Putin in Genf und werde klarmachen, dass wir nicht untätig danebenstehen, wenn er diese Menschenrechte missbraucht", sagte er. Seltsamerweise fügte er hinzu: "Es ist an der Zeit, alle daran zu erinnern, wer wir sind", was darauf hindeutet, dass eine größere Bühne betreten werden sollte als jene, auf der lediglich zwei Männer im Raum stehen.
Putin jedoch ließ sich von diesem Ansatz anscheinend nicht beeindrucken, da Menschenrechte ein fast erforderliches Thema für jeden amerikanischen Präsidenten sind, der die Kommunikation mit Russland öffnen möchte, aber seinem Ruf im eigenen Land keinen Schaden zufügen und nicht als zu weich eingestuft werden will. Putins Sprecher Dmitri Peskow hatte zuvor gesagt, dass die "Killer"-Bemerkung das Treffen nicht überschatten werde, der Kreml aber gleichzeitig darauf besteht, dass Russland keinen einseitigen Vortrag über Menschenrechte dulden wird.
Die Interpretation westlicher Medien nach dem Treffen wird Biden gefallen haben. Während in militärischen Fragen, der Cybersicherheit und dem Status der Arktis – wo beide Seiten vor möglicher territorialer Expansion warnen – deutliche Fortschritte erzielt wurden, war der konstruktive Charakter des Treffens mit dem Vorbehalt verbunden, dass Biden Putin in Fragen wie der Behandlung des inhaftierten Oppositionellen Alexei Nawalny konfrontiert hatte. Dies war anscheinend ein guter Tag sowohl für die internationale Politik als auch für Bidens innenpolitisches Ansehen.
Zufrieden mit den Schlagzeilen
Für Putin hingegen war es ein Erfolg, dass das Treffen überhaupt zustande kam. Dass die erste Auslandsreise eines US-Präsidenten dermaßen von der Diskussion über Russland dominiert wird und dieses innerhalb der ersten Europa-Tournee von Biden in der Presse oberste Priorität hatte, ist ein Zeichen dafür, dass Moskau immer noch weltpolitischen Einfluss hat. Während China auf der Weltbühne eine große wirtschaftliche Rolle spielt und in wesentlich mehr Bereichen echte politische Differenzen mit den USA und ihren Verbündeten pflegt, ist es Russland, das in den Köpfen westlicher Staatenlenker einen einzigartigen Platz einnimmt.
Der russische Präsident machte auch klar, dass er internationale Kritik nicht hinnehmen und auf die Menschenrechtsfrage so gut wie möglich eingehen werde. Die Frage eines US-Journalisten, ob Biden Putin mit der "Unterdrückung der russischen Opposition" konfrontiert habe, wischte Putin kurzerhand vom Tisch. Die Black-Lives-Matter-Bewegung sowie die Erstürmung des Kapitols durch Trump-Anhänger Anfang des Jahres zeigten, dass die USA ihre eigenen tief sitzenden Probleme hätten, so Putin.
Während Putins Antworten auf Fragen westlicher Journalisten von vielen westlichen Kommentatoren als "Whataboutismus" abgetan wurden, spiegelten diese Antworten das wider, was die breite russische Bevölkerung empfindet – selbst bei jenen, die sich gegen die Politik des Kremls stellen: Die USA haben keine wirkliche moralische Autorität in diesen Angelegenheiten. Die Dinge haben sich geändert seit den Tagen, in denen Washington als Leuchtfeuer für die Menschheit betrachtet wurde.
Sowohl für Putin als auch für Biden bestand der Spielplan anscheinend darin, sich auf die Themen zu konzentrieren, bei denen eine gemeinsame Basis erreicht werden kann, die Diskussion in Bereichen zu beenden, in denen dies nicht möglich ist, und dann das Ganze vor wartenden Kameras zu verkaufen. Wenn das Ziel des Genfer Gipfels darin bestand, die angespannten Beziehungen zu entspannen und zu Hause für positive Schlagzeilen zu sorgen, dann bekamen beide Präsidenten, was sie wollten.
Übersetzt aus dem Englischen.
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