US-Sanktionen entpuppen sich als Segen für den iranischen Energiesektor
Kommentar von Kevin Karp
Kurz nachdem das US-Justizministerium am Montag bekannt gegeben hatte, dass zwei Millionen Barrel beschlagnahmtes iranisches Erdöl für 110 Millionen US-Dollar verkauft worden waren, brachen zwei ziemlich verdächtige Brände aus, die Teile der iranischen Infrastruktur erfassten. Der erste Brand traf das größte Kriegsschiff des Landes, die IRIS Charg, und führte schließlich zum Versinken des Schiffes im Golf von Oman. Bislang haben iranische Verantwortliche keine Erklärung für den Brand abgegeben. Der zweite Brand betraf eine staatliche Ölraffinerie in der Nähe von Teheran und konnte erst über 20 Stunden nach Ausbruch gelöscht werden.
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Am selben Tag, an dem der Ölverkauf bekannt gegeben wurde, gab der Sprecher des iranischen Außenministeriums Said Chatibsadeh eine Warnung heraus: Diese bezog sich auf zwei weitere iranische Militärschiffe, die von den USA überwacht werden, weil sie angeblich nach Venezuela fahren – zu einem Verbündeten Irans, der ebenfalls unter schweren US-Sanktionen leidet. Er erklärte, "niemand soll sich die Fehlkalkulation erlauben", Iran die freie Schifffahrt in internationalen Gewässern zu verbieten.
Dass das Durchsetzungsvermögen und der Widerstandswille Irans wider alle Sanktionen wachsen, ist eine Tendenz, die parallel zu den Verhandlungen in Wien läuft. Bei diesen wird das Ziel verfolgt, die US-Regierung von Präsident Joe Biden wieder in das Atomabkommen einzubinden, aus dem die USA unter Donald Trump im Jahr 2018 kurzerhand ausgestiegen waren, bevor sie weitreichende Sanktionen gegen den iranischen Handel verhängten. In diesem Zusammenhang ist die Beschlagnahme einer iranischen Erdöllieferung im Rahmen des aktuellen Sanktionsregimes ein äußerst bedauerlich fehlgeleiteter Nötigungsversuch.
Indem sie weiterhin die im Rahmen von Trumps Sanktionen erteilte Erlaubnis zu Erdölraub gewaltsam umsetzt – bei gleichzeitigen Versuchen, dem JCPOA (Gemeinsamer Umfassender Aktionsplan, ugs.: Iran-Atomdeal) wieder beizutreten –, versucht die Regierung Biden entweder, Iran in einem erneuerten Atomabkommen größere Zugeständnisse abzuringen, oder aber die iranische Ölindustrie schlicht so weit wie möglich zu schädigen, bevor die Sanktionen schließlich aufgehoben werden müssen. Beides sind törichte Schachzüge.
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Ob die harten Maßnahmen gegen die Infrastruktur und Ressourcen Irans nun unter dem expliziten Vorwand von Sanktionen durchgeführt wurden oder ohne solchen Vorwand: In Wirklichkeit regten sie die Iraner ironischerweise bloß dazu an, bei Produktion und Export ihrer Kohlenwasserstoffe zunehmend autark zu werden – und auf diesem Gebiet liegt wohl der zentrale Hebel für den internationalen Einfluss Irans, der weder durch Sanktionen noch durch einen neu verhandelten JCPOA vollständig eingeschränkt werden kann.
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Der Name des Militärschiffes Charg bezieht sich auf die Insel im Persischen Golf, die als wichtigstes Ölexport-Terminal Irans für den Umschlag durch die Straße von Hormus dient. Der Golf von Oman, in dem das Schiff versank, erlangte nun unmittelbare strategische Dringlichkeit in Bezug auf Teherans Bestreben, mehr Kontrolle über seinen Ölvertrieb zu erlangen und die lukrativen Absatzmärkte Ostasiens zu erschließen.
Zweifellos haben die restriktiven Maßnahmen der USA die weltweiten Öllieferungen aus Iran stark beeinträchtigt: Die iranischen Ölexporte waren etwa ein Jahr nach dem US-Austritt aus dem JCPOA unter Präsident Trump und der Verhängung seiner Sanktionskampagne des "maximalen Drucks", die auf eine Reihe iranischer Wirtschaftssektoren wie Erdölindustrie, Schifffahrt und Banken abzielte, um etwa 90 Prozent gesunken.
Aber Iran konnte völlig unbemerkt einen Schwenk vollziehen: Man war in der Lage, geschickt die Ladungsdaten von Frachtschiffen zu verändern, vermischte angeblich iranisches Erdöl mit irakischem, fuhr die inländische Produktion hoch – und baute schließlich eine große Erdölleitung, die in einem Hafen am Golf von Oman endet.
Irans Rohrleitung zur Souveränität
Die 1.000 Kilometer lange Goreh-Dschask-Pipeline, durch die Iran erst seit Kurzem Erdöl pumpt, ermöglicht Teheran ein weiträumiges Umgehen der stark patrouillierten, beengten Straße von Hormus – und bietet einen direkteren Zugang zu Abnehmern in Indien und China. Nun als vollendete Tatsache manifest, erlaubt sie Teheran sogar, den Sanktionsdruck zurück auf die USA selbst umzulenken: Dafür muss Iran die Meeresenge blockieren, den Anstieg des Ölpreises abwarten – und kann schließlich von der daraus resultierenden Änderung der Marktlage profitieren, indem er Öl vom Hafen Bandar-e Dschask aus verschifft.
Die Erdölleitung weist eine Rohöl-Durchsatzkapazität von einer Million Barrel pro Tag auf. Das entspricht fast der Hälfte der aktuellen iranischen Produktion von 2,4 Millionen Barrel pro Tag.
Die Strafsanktionen gegen die Erdölindustrie Irans haben nicht nur ihre Ziele verfehlt, sondern auch ihre Daseinsberechtigung verloren (falls sie überhaupt jemals eine hatten): Iran kann in seiner Position als einer der größten Energieträgerlieferanten weltweit (sobald er von den Sanktionen befreit ist) entscheidend dazu beitragen, die weltweite Erholung des Handels und der Industrie vom pandemiebedingten Zusammenbruch zu beschleunigen.
Derzeit wird geschätzt, Iran könne nur drei Monaten nach Aufhebung der Sanktionen seine Erdölproduktion auf vier Millionen Barrel pro Tag hochfahren. Ein robuster Anstieg der weltweiten Ölnachfrage, der zu einem beträchtlichen Teil durch Nachfrage aus China angetrieben wurde, trieb den Benchmark-Preis für Rohöl der Marke Brent auf über 70 US-Dollar pro Barrel hoch. Das bedeutet, dass ein erhöhtes Angebot aus Iran von diesem Markt mit dessen steigendem Bedarf durchaus absorbiert werden könnte.
Iran und China arbeiten unter Zugrundelegung und voller Ausnutzung derartiger Marktverhaltensmuster bereits zusammen: China unterläuft schon die US-Sanktionen, indem es iranisches Erdöl in Mengen von etwa einer Million Barrel pro Tag kauft; auch unterzeichneten die beiden Partnerstaaten im März ein langfristiges Abkommen über groß angelegte chinesische Investitionen in den Energiesektor der iranischen Wirtschaft.
In der Zwischenzeit haben die Leiter des Erdölkartells OPEC+ die Bereitschaft des Marktes, mit dem vollen iranischen Ölexportvolumen zurechtzukommen, de facto anerkannt: So einigten sie sich während eines Gipfels in dieser Woche darauf, eine Produktionssteigerung um 2,1 Millionen Barrel pro Tag über den Frühling und Sommer umzusetzen.
Kleinkarierter, chauvinistischer, überheblicher Hurrapatriotismus hat den durch Sanktionen ermöglichten Raub von Erdöl beflügelt. Versuche, die vollen Energieexportkapazitäten Irans vollständig zu blockieren, sind jetzt mehr denn je eine gefährliche, kontraproduktive Taktik – zumal inmitten der weltweiten Anfrage nach sofortiger Energieversorgung, die das Wirtschaftswachstum nach der COVID-19-Pandemie ankurbeln würde. Da der globale Ausbau der Aktivitäten eines bald nicht mehr sanktionierten iranischen Ölsektors zunehmend unvermeidlich erscheint, muten antiiranische Maßnahmen gegen diesen Sektor im selben Maße zunehmend anachronistisch an.
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Übersetzt aus dem Englischen. Kevin Karp ist politischer Beobachter, Drehbuchautor und ehemaliger politischer Berater im Unterhaus des britischen Parlaments und im EU-Parlament. Als EU-Berater mit Sitz in Brüssel und Straßburg spezialisierte er sich auf internationalen Handel, europäischen Populismus und den Brexit. Seine Webseite finden Sie unter moon-vine-media.com.
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