Meinung

Jordanien und das Komplott

Ein mögliches Komplott um einen Halbbruder von König Abdullah II. von Jordanien fügt sich in eine lange Reihe von Familienzwisten. Am 11. April feiert das Königreich sein hundertjähriges Staatsjubiläum. Der Spruch "Totgesagte leben länger" trifft auf die haschemitische Herrscherfamilie zu.
Jordanien und das KomplottQuelle: www.globallookpress.com © Ehab Othman / Roverimages

von Dr. Karin Kneissl

Als jordanischer Monarch muss man ein Überlebenskünstler sein. Aus gutem Grund wurde der von 1952 bis 1999 regierende charismatische König Hussein bin Talal "Der Löwe von Jordanien" genannt. Den ersten Anschlag überlebte er dank eines Ordens, den ihm sein Großvater kurz vor dem Attentatsversuch an die Uniform geheftet hatte. Die Kugel prallte am Metall ab. Dutzende weitere Attentatsversuche folgten.

Hussein zählte zu den Großen im Nahen Osten. Er konnte gleichermaßen der Partner Israels und der USA sein sowie sich mit Saddam Hussein solidarisieren. Unvergesslich ist mir seine Reise nach Bagdad nach der irakischen Invasion in Kuwait im August 1990, als alle arabischen Regierungen, ja sogar der Syrer Hafez al-Assad, mit den USA eine Allianz gegen Saddam eingingen. König Hussein wusste aber, dass die arabische Bevölkerung nicht nur in seinem Land mit dem Herzen hinter dem Diktator stand, der den USA die Stirn bot. Die beiden Staatschefs zeigten sich als Waffenbrüder auf einem Balkon.

Einen solchen Spagat legte König Hussein wiederholt hin, denn er verfügte über kluge Instinkte, Erfahrung und sehr viel Respekt. Ein Teil seiner Verwandtschaft war von den Briten als irakische Monarchie eingesetzt worden und wurde bei einem Putsch grausam vernichtet. Hussein war unter diesen Gefahren herangewachsen. Er wusste, dass man schneller und klüger als die Rivalen sein muss. Nur den Kampf gegen den Krebs verlor er im Jahr 1999.

Die haschemitische Dynastie und der Islam

Als im Herbst 1970 die Palästinenser im sogenannten Schwarzen September den Aufstand probten und dem Land ein Bürgerkrieg drohte, griff Hussein äußerst hart durch. Eine bis heute unbekannte Zahl von Menschen, vielleicht 10.000 oder mehr, kam binnen Wochen ums Leben. Hussein rettete sein Königreich, der palästinensische Widerstand zog weiter in den Libanon, der zur blutigen Bühne für die PLO und Israel wurde. In Israel wird Husseins Vorgehen in Seminaren bis heute als "perfekte Anti-Terror-Operation" gelehrt. Palästinenser, die in mehreren Flüchtlingswellen seit der Gründung des Staates Israels im Jahr 1948 in das damalige Transjordanien kamen, stellen die Hälfte der Bevölkerung. Die andere Hälfte stammt aus Beduinenstämmen, die in feudaler Tradition stets das Rückgrat des Herrscherhauses bildeten.

Die Dynastie der Haschemiten zählt zu den ältesten Stämmen der Arabischen Halbinsel. Über Jahrhunderte wachten sie als die Scherifen von Mekka und Medina über die heiligen Orte der islamischen Welt. Ihre Legitimität ist daher in der arabischen Welt von viel höherem Gewicht, als dies auf die vielen nachfolgenden Clans zutrifft. Der Stamm der Saud, stets in Allianz mit dem wahhabitischen Klerus, kann auf eine solche Geschichte nicht zurückblicken. Ebenso wenig die Monarchien am Arabischen Golf, die von der ägyptischen Diplomatie einst als "Stämme mit Flaggen" bezeichnet wurden.

König Abdullah II. bin al-Hussein trägt diese Verantwortung für die islamische Welt auch für die al-Aqsa-Moschee in Ostjerusalem. Die Ausübung dieses Amtes hängt oft genug vom Wohlwollen Israels ab. Jordanien wurde infolge des ersten Israelisch-Arabischen Krieges von 1948/49 zur Besatzungsmacht jener arabischen Gebiete, die laut UNO-Teilungsplan von 1947 einen unabhängigen Staat bilden sollten. Israel rückte dann im Jahr 1967 ein und annektierte im Jahr 1980 Ostjerusalem sowie ein Jahr später den Golan völkerrechtswidrig in Verletzung der UNO-Resolutionen und gegen den Willen der einheimischen Bevölkerung.

Zwischen Haschemiten und Israelis gab es bereits lange vor dem Friedensvertrag von 1994, der die in ihn gesetzten Hoffnungen nicht erfüllte, stete Kontakte. Zuletzt wurden die Beziehungen wieder sehr frostig. Es gilt aber trotz allem die alte Konstante, dass Israel kein Vakuum bei dem wichtigen Nachbarn zulässt. Eine Zusammenarbeit im Sicherheitsapparat findet intensiv statt. Der jordanische Nachrichtendienst verfügt aber über die besseren Kontakte in den Irak und nach Syrien, was nicht nur mit den Sprachkenntnissen der Jordanier zu tun hat. Viele Anschläge wurden dank der Jordanier verhindert.

Die Gründung der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) geht auf den jordanischen Dschihadisten Abu Musab al-Zarkawi zurück, dessen Spuren wiederum nach Amman führen. In Jordanien wurde von Anbeginn den islamisch legitimierten Gruppen von Hamas bis hin zum IS besonderes Augenmerk gewidmet, als die israelischen Behörden noch den Moscheebau durch die Hamas finanzierten. Auch wenn historisches Wissen und Geschichtsbewusstsein im Nahen Osten in den vergangenen Jahrzehnten stark abgenommen haben, so ist doch vielen klar: Das kleine Königreich mag zwar am 11. April erst das hundertjährige Jubiläum als Territorialstaat feiern, doch die Rolle der Haschemiten geht weit darüber hinaus. König Hussein zögerte lange, den Anspruch auf die Rolle als Wächter von Mekka und Media offiziell aufzugeben.

Sämtliche arabischen Monarchien stellten sich am Sonntag demonstrativ hinter König Abdullah II., als Vizepremier und Außenminister Ayman al-Safadi zuvor erklärt hatte, dass ein Komplott zerschlagen werden konnte, in das offenbar auch eine regionale Regierung verwickelt gewesen sei. Die Verbindungen reichen demnach bis in die weitläufige Familie. So wurde auch Hamsa, der 41-jährige Halbbruder des Königs, der sich per Videobotschaft noch zur Korruption und dem Unmut in der Bevölkerung geäußert hatte, unter Hausarrest gestellt.

Bruderzwist im jordanischen Königshaus

Hamsa entstammt der vierten und letzten Ehe von König Hussein mit der US-Amerikanerin Elizabeth Halaby, die durch die Heirat zur Königin Nūr von Jordanien wurde. Bereits im Jahr 2004 entzog der König Hamsa den Titel als Kronprinz und ernannte seinen eigenen Sohn an dessen Stelle. Im Jahr 1999 hatte offenbar in den letzten Lebenstagen von König Hussein eine kleine Palastrevolte stattgefunden. Damals hieß der Kronprinz Hassan, der viele Jahrzehnte in der Warteposition verharrt und die Zeit mit akademischen und karitativen Aufgaben überbrückt hatte.

Als der Tod des Königs nahte, wurde die Thronfolge zur Überraschung vieler radikal geändert. Hassan war weg vom Fenster. Manche Stimmen vermuteten damals eine kleinere Palastrevolte, da Nūr sich um ihre Kinder sorgte. Sie soll darauf bestanden haben, dass ihr Sohn Hamsa Kronprinz wird. Plötzlich war Abdullah der offizielle Nachfolger. Seine Mutter war die zweite Ehefrau Husseins. Dieser hatte die Engländerin bei den Dreharbeiten zum Film "Lawrence von Arabien" kennengelernt, da er oft und gerne seinen Jeep in den Wadi Rum lenkte, wo das Epos über die Arabische Revolte und seinen Urgroßvater König Feisal verfilmt wurde.

Abdullah verbrachte viele Jahre seiner Kindheit in Großbritannien und hatte anfänglich einen starken britischen Akzent, wenn er Arabisch sprach.
Er hatte aus vielen Gründen von Anbeginn einen schweren Stand, zumal es ohnehin unmöglich war, in die großen Fußstapfen des Übervaters Hussein zu treten. Die Annahme, dass seine aus einer palästinensischen Familie stammende Frau Rania eine Brücke zur Bevölkerung bilden würde, erwies sich als Illusion. Rania wurde zwar zur perfekten Pressesprecherin des Königshauses in die angelsächsische Welt, da sie überzeugend zu wichtigen Themen wie dem Verbot des Ehrenmordes auftritt. Doch nach innen gerieten sie und ihre Familie wiederholt unter Korruptionsverdacht, da mancher Stammeschef sich wegen Immobiliengeschäften beklagte.

Wenn es nun in der Berichterstattung heißt, dass Prinz Hamsa offenbar unzufriedene Stammeschefs zu seinen Bekannten zählte und Aufstände in Vorbereitung gewesen waren, so ist dies in gewisser Hinsicht auch nichts Neues. Seit ich mich erinnern kann, wurde und wird in Jordanien demonstriert. Steigende Brotpreise, Kürzungen von Treibstoffsubventionen, die Auflösung des Parlaments – all dies wiederholt sich seit Jahr und Tag. Das Königshaus versteht es, sich aus diesen Dingen herauszuhalten. Es kommt dann jeweils ein neuer Premierminister.

Welche Szenarien

Die Frage stellt sich, welche Funktion für Prinz Hamsa zu finden ist. So manches republikanische Herrscherhaus entsorgte unzufriedene oder unzuverlässige Verwandte als Botschafter. Saddam Hussein tat dies, indem er seinen Halbbruder Barzan Ibrahim at-Tikriti zur UNO nach Genf schickte. Hafez al-Assad tat dasselbe mit seinem Bruder Rifaat, der gegen ihn zu putschen versuchte, als er an einem Herzinfarkt laborierte.

Ob es zu einer innerfamiliären Aussöhnung kommt und das Vertrauen wiederhergestellt wird, ist eine persönliche Frage. Oder kann es angesichts der schwierigen wirtschaftlichen und sozialen Lage, die aktuell nicht nur durch das Flüchtlingsdrama oder Wassernot und Massenarbeitslosigkeit, sondern auch die COVID-Krise gekennzeichnet ist, doch zu größeren Eruptionen kommen?

Die USA und auch so mancher Golfstaat wären nach den Erfahrungen in Syrien, im Irak und im Jemen gut beraten, sich nicht in die inneren Angelegenheiten Jordaniens einzumischen. König Abdullah II. verweigerte den Saudis die Nutzung seiner Militärbasen für Luftangriffe auf Syrien. Er stellt sich gegen so manches Abenteuer der Emirate und er weiß, wie wenig das Wort des israelischen Premiers gilt. Die Jordanier werden dieses Dilemma selbst lösen. Die Hundertjahrfeier in dieser Woche wird einen großen Wermutstropfen haben und die Geschichte der Palastrevolten und großen sowie kleinen Komplotte wird weitergehen. Unzufriedene Prinzen leben auch in Riad und Dubai.

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Dr. Karin Kneissl ist ehemalige parteilose Außenministerin Österreichs. Als Kind verbrachte sie das Jahr 1970 in Jordanien. Im Jahr 1988 kehrte sie im Rahmen ihrer Dissertation für zwei Semester in das Land zurück und arbeitete dort auch bei einer Bank.

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