Medien bauen ein Narrativ auf: "Mehrheit der Deutschen" für weitere Einschränkungen
von Mark Hadyniak
Seit Anfang April häufen sich die Meldungen in den deutschen Medien, dass sich die deutsche Bevölkerung mehrheitlich für einen härteren Lockdown aussprechen würde. Die Deutsche Presse-Agentur (dpa) veröffentlichte zwischen dem 2. und 4. April fünf Umfrageergebnisse, die jeweils von zahlreichen Medienanbietern aufgegriffen wurden. Demnach sprächen sich jeweils Mehrheiten für einen härteren Lockdown, für nächtliche Ausgangssperren, für eine Übergabe von mehr Kompetenzen an die Bundesregierung, für ein Verbot von Auslandsreisen und für das Zuhausebleiben an Ostern aus.
Es entsteht dabei ein Bild, ein großer Teil der Bevölkerung – eine "Mehrheit der Deutschen" – würde in zahlreichen Umfragen seine Zustimmung zu verschärften Corona-Maßnahmen geben. Tatsächlich beruhen die fünf Ergebnisse allesamt auf einer Online-Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov, an der zwischen dem 30. März und 1. April 2.073 Personen teilnahmen. Die dpa schreibt: "Die Ergebnisse wurden gewichtet" und sollen "repräsentativ für die deutsche Bevölkerung ab 18 Jahren" sein. Wird hier auf einer dünnen Faktenbasis Meinungsmache betrieben?
4. April: "Fast zwei Drittel der Deutschen für Verbot von Auslandsreisen"
In der jüngsten Publikation berichtet die dpa am 4. April, "fast zwei Drittel der Deutschen" seien "für ein Verbot von Urlaubsreisen ins Ausland im Kampf gegen die Corona-Pandemie". Nach der YouGov-Umfrage sprachen sich 64 Prozent der 2.073 Befragten dafür aus, 26 Prozent dagegen.
Von YouGov wurde konkret gefragt: "Sind Sie dafür oder dagegen, touristische Reisen ins Ausland wegen Corona zu verbieten?" Als Antworten waren möglich: "Für ein Verbot", "Gegen ein Verbot" oder "Weiß nicht / keine Angabe".
Die Zustimmung sei bei den über 55-Jährigen mit 71 Prozent "besonders groß", bei den 18- bis 24-Jährigen liege die Zustimmung nur bei 54 Prozent. Wie viele Personen aus den jeweiligen Altersgruppen teilgenommen haben, wird nicht genannt – auch nicht, wie die Gewichtung vorgenommen wurde.
Die Nachrichten wurden unter anderem vom RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND), der Berliner Zeitung und der Bild-Zeitung aufgegriffen. Letztere titelt: "Fast zwei Drittel der Deutschen für Reise-Verbot".
3. April: "Mehrheit für mehr Kompetenzen des Bundes in Krisen"
Am 3. April meldete die dpa, "eine Mehrheit der Deutschen wünscht sich in Krisenzeiten mehr Entscheidungsspielraum für die Bundesregierung". Nach der YouGov-Umfrage sprachen sich 53 Prozent der 2.073 Befragten dafür aus, dass der Bund mehr Entscheidungen zentral "ohne Beteiligung der Bundesländer" treffen dürfe. 36 Prozent der Befragten votierten dagegen.
Von YouGov wurde konkret gefragt: "Sollte die Bundesregierung Ihrer Meinung nach die Möglichkeit erhalten, in Krisensituationen mehr Entscheidungen zentral ohne Beteiligung der Bundesländer zu treffen?". Als Antwortmöglichkeiten waren angegeben: "Ja, die Bundesregierung sollte mehr Kompetenzen bekommen, Entscheidungen zentral ohne Beteiligung der Bundesländer zu treffen" – "Nein, Bund und Länder sollten wie bisher die wesentlichen Entscheidungen gemeinsam treffen" – "Weiß nicht / keine Angabe".
Aus dieser Meldung machte die Nachrichtenseite von T-Online die Schlagzeile: "Mehrheit der Deutschen will Merkel mehr Macht geben". Bei der Bild-Zeitung wurde formuliert: "Mehrheit der Deutschen fordert: Mehr Lockdown-Macht für Merkel!"
2. April: "Klare Mehrheit der Deutschen für Ausgangsbeschränkungen"
Am 2. April meldete die dpa, eine "klare Mehrheit der Deutschen ist für nächtliche Ausgangsbeschränkungen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie". Abermals wurde Bezug genommen auf die YouGov-Umfrage. Laut dieser sprachen sich 56 Prozent der 2.073 Befragten für die Ausgangssperren aus, 37 Prozent dagegen. Besonders groß wäre demnach die Zustimmung bei den über 55-Jährigen mit 66 Prozent. Bei den unter 25-Jährigen lag diese nur bei 36 Prozent. Nicht genannt werden die Zahl der Befragten in den jeweiligen Altersgruppen oder die genauen Konfigurationen der vorgenommenen Gewichtung.
Die exakte Fragestellung von YouGov lautete: "Bundeskanzlerin Angela Merkel erwägt bundesweit vorübergehende nächtliche Ausgangsbeschränkungen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie. Wären Sie für solche Ausgangsbeschränkungen, bei denen das Verlassen der Wohnung für einen bestimmten Zeitraum in der Nacht nur noch in Ausnahmefällen möglich wäre?" Die Antwortmöglichkeiten waren: "Für solche Ausgangsbeschränkungen", "Gegen solche Ausgangsbeschränkungen, "Weiß nicht / keine Angabe".
Die Meldung wurde unter anderem aufgegriffen von der WELT und dem RND, das daraus die Schlagzeile formte: "Mehrheit der Deutschen will bundesweite Ausgangssperren".
2. April: "Mehrheit der Deutschen will an Ostern zu Hause bleiben"
Am gleichen Tag meldete die dpa eine weitere Auskoppelung der YouGov-Umfrage, wonach eine "deutliche Mehrheit der Deutschen an Ostern nicht verreisen" wolle. Von den 2.073 Befragten gaben 60 Prozent an, dass "sie an dem langen Wochenende noch nicht einmal einen Tagesausflug planten". 10 Prozent wollen lediglich "im Inland verreisen, etwa um Verwandte oder Freunde zu besuchen", 19 Prozent nur einen "Tagesausflug ins Umland ihres Wohnorts" unternehmen. Lediglich 2 Prozent gaben an, "ins Ausland" reisen zu wollen.
Die Nachricht wurde unter anderem vermeldet von RTL, dem RND und der Rheinischen Post. Während bei RTL lediglich "Viele Deutsche" "über Ostern zu Hause bleiben" wollen, ist es in der Rheinischen Post und beim RND die "Mehrheit der Deutschen".
2. April: "Unterstützung für härteren Lockdown deutlich gestiegen"
Zur Krönung der Meldung veröffentlichte die dpa am 2. April noch einen weiteren Teil der YouGov-Umfrage. Darin sprachen sich 47 Prozent der 2.073 Befragten dafür aus, "den bestehenden Lockdown zu verschärfen". 30 Prozent wollten "eine Lockerung oder Abschaffung der Einschränkungen", "17 Prozent meinen, sie sollten so bleiben, wie sie sind".
Konkret hatte das Meinungsforschungsinstitut gefragt: "Die Bundesregierung erwägt wegen steigender Infektionszahlen eine Verschärfung der Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie (Lockdown). Wie stehen Sie dazu?" Als Antwortmöglichkeiten wurden gegeben: "Die Einschränkungen sollten abgeschafft werden", "Die Einschränkungen sollten gelockert werden", "Die Einschränkungen sollten so wie bisher beibehalten werden", "Die Einschränkungen sollten verschärft werden", "Weiß nicht / keine Angabe".
Aufgegriffen wurde diese Meldung unter anderem von dem Fernsehsender ProSieben und der Bild – mit einer klaren Ausrichtung: "Mehrheit der Deutschen will härteren Lockdown".
Epilog
Das Meinungsforschungsinstitut YouGov hat zwischen dem 30. März und dem 1. April eine Online-Befragung zur Corona-Politik durchgeführt. Am Ende liegt ein Ergebnis mit Antworten von 2.073 Personen vor, die sich in dieser Konstellation überwiegend positiv für einen härteren Lockdown, Reiseverbote, Ausgangssperren und mehr Vollmachten für die Bundesregierung aussprechen.
Das ist an sich keine besondere Nachricht. Es wird aber um die Umfrage ein Narrativ aufgebaut: Zum einen sollen die Befragungsergebnisse "repräsentativ" sein für die Gesamtbevölkerung. So sehr, dass in den Medien von einer Willensbekundung einer "Mehrheit der Deutschen" getitelt wird. Zum anderen wird die Umfrage nicht einfach veröffentlicht, sondern in kleine Häppchen zerlegt und über die gesamte Osterzeit verteilt serviert. Durch die x-fache Rezeption in den deutschen Medien mit jeweils modulierten Überschriften und teilweise Zuspitzungen (Bild: "Mehrheit der Deutschen fordert: Mehr Lockdown-Macht für Merkel!") entsteht ein enormes mediales Gewicht.
So wird aus einer kleinen Online-Umfrage eine groß aufgezogene und medial wirksame Kampagne, die vor allem eines suggeriert: Die "Mehrheit der Deutschen" wolle einen "härteren Lockdown".
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