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Ukrainischer Botschafter beschwert sich: bisher keine Konsultationen über Aufnahme von Flüchtlingen

Angesichts des Flüchtlingselends an der weißrussisch-polnischen Grenze suchen Berlin und die EU krampfhaft nach einer Lösung. Dabei geraten die Interessen anderer Länder leicht unter die Räder der vorgeblich "werte- und regelbasierten Politik" des Westens, so auch die Ukraine.
Ukrainischer Botschafter beschwert sich: bisher keine Konsultationen über Aufnahme von FlüchtlingenQuelle: www.globallookpress.com © Pavlo_bagmutukrinform/Keystone Press Agency

von Christian Harde

Vor dem Hintergrund von Überlegungen in der SPD, Flüchtlinge aus Weißrussland in der Ukraine unterzubringen, hat der Botschafter der Ukraine in Deutschland, Andrei Melnyk, am Freitagmorgen dem Deutschlandfunk ein Interview gegeben. Darin beschwerte er sich deutlich über die Berliner Planungen, die sein Land wie ein "Abstellgleis für Migranten" behandelten, aber nicht als "gleichwertigen Partner".

Auf die Frage, ob "die Ukraine zur Aufnahme der Flüchtlinge für die Dauer der Asylverfahren bereit" sei, sagte Melnyk:

"Dieser Vorstoß von Nils Schmid, den ich sehr gut kenne und schätze, hat in der Ukraine hohe Wellen geschlagen, er wurde sogar im Rahmen des Nationalen Sicherheitsrates diskutiert, und der Chef dieses Gremiums hat diese Idee auf eine sarkastische Weise abgewiesen."

Mangelnder Respekt

Empfindlich getroffen zeigte sich der Vertreter des seit dem Putsch von 2014 prowestlich gewendeten Landes über die mangelnde Achtung, die Kiew aus Berlin entgegengebracht werde:

"Was die ukrainische Öffentlichkeit an diesem abwegigen Vorschlag am meisten gestört hat, ja sogar schockiert, war, dass unsere Regierung vorher gar nicht gefragt oder gar nicht konsultiert wurde. Das ist ein Zeichen von fehlendem Respekt, manche sagen: von Arroganz gegenüber der Ukraine. Denn für viele schwingen dabei auch gewisse Untertöne des deutschen Kolonialismus mit, die wir leider auch viel zu gut aus den dunklen Zeiten des Vernichtungskrieges kennen, dieser hat ja über acht Millionen ukrainische Opfer gefordert."

Die Frage, ob es denn offizielle Anfragen von der EU oder der Bundesregierung an Kiew gäbe, verneinte Melnyk mit folgenden Worten:

"Also, ich habe in dieser Sache gestern mit Nils Schmid auch persönlich telefoniert und die gleiche Frage gestellt. Und wie es aussieht, gibt es im Moment gar keinen Vorschlag. Dieser sollte eigentlich von der EU kommen, und im Moment gibt es überhaupt keine Grundlage für solche Gespräche."

Ukraine zum Handel in Sachen Flüchtlinge bereit

Auf die Frage, ob dies ein "endgültiges Nein" aus Kiew bedeute, antwortete der ukrainische Botschafter:

"Wie gesagt, man möchte ja gar nicht vorgreifen. Auf solche Vorstöße kann man leider nicht anders reagieren. Aber wenn ein Angebot käme, dann wäre die Ukraine natürlich auch bereit, darüber ernsthaft zu diskutieren."

Der Diplomat brachte die zögerliche Haltung Kiews bei der Aufnahme von Flüchtlingen in Zusammenhang mit dem angeblich "russischen Krieg", infolge dessen die Ukraine "seit sieben Jahren sieben Prozent" ihres Staatsgebietes und "20 Prozent der Wirtschaftskraft" verloren habe.

Putin ist schuldwer sonst?!

Auf das Szenario angesprochen, dass "der belarusische Machthaber die Migranten" auch in die Ukraine schicken könnte, "wenn die polnische Grenze dauerhaft dicht bleibt", antwortete Melnyk:

"Davon müssen wir leider ausgehen. Es ist so, dass die Grenze zwischen der Ukraine und Belarus über 1.000 Kilometer lange ist […]. Deswegen hat auch unser Sicherheitsrat beschlossen, über 8.000 Polizisten an diese Grenze zu schicken, um diese auch zu überwachen. Wir müssen nicht vergessen, wer der Strippenzieher dieser humanitären Katastrophe ist. Das ist Herr Putin. […] Und es wäre […] auch nicht fair, wenn man wegen dieser politischen Unfähigkeit, in der EU adäquat, angemessen zu reagieren und Putin in die Schranken zu verweisen, damit kompensierte, dass man ausgerechnet den Ukrainern, die ja sowieso schon seit Jahren leiden, dieser Schwarze Peter sozusagen zugeschoben wird."

Wie nicht anders zu erwarten, verlangte Melnyk neue Sanktionen, ohne dies genauer auszuführen. Die richtige Antwort sei, "an der Quelle dieses Schleusertums" anzusetzen. Aber auch diesen Vorschlag präzisierte der Vertreter Kiews nicht.

Auf die humanitäre Notlage angesprochen, versicherte Melnyk, Kiew sei bereit,

"[…] darüber zu sprechen, aber, wie gesagt, man muss auch das auf eine Weise tun, die die Öffentlichkeit, die die Gesellschaft nicht im vorhinein also schon provoziert und negativ einstellt. Denn es gab viele Reaktionen, die […] nicht darauf hindeuten, dass nach all diesen Vorstößen – und die kamen auch aus CDU-Reihen: Herr Ziemiak hatte vor zwei Tagen dasselbe gesagt, ohne uns zu fragen. Also, meine Telefonnummer ist jedem bekannt hier in Berlin – und auch in Kiew ist man gut vernetzt!"

Begrenzte Souveränität der Ukraine im westlichen Orbit

An dieser deutlich verschnupften Reaktion aus der Ukraine zeigt sich, mit wie wenig diplomatischem Fingerspitzengefühl und wie wenig Sach- und Landeskenntnis man insbesondere in Berlin, aber auch in Brüssel inzwischen mit der Ukraine umgeht, nachdem man das Land 2014 gewaltsam in die westliche Einflusszone zog.

Kiew mag sich als EU- und NATO-Aspirant vorkommen. Doch was man in Berlin wirklich von Kiew hält, wird in der durchaus bevormundenden Weise deutlich, in der man über die Köpfe der Kiewer Führung hinweg kühl plant. So manche Illusion in der Ukraine über die großartige "europäische Zukunft" dürfte einmal mehr Ernüchterung weichen. EU wie NATO benötigen die Ukraine als Frontstaat gegen die Russische Föderation, nicht als gleichberechtigtes Partnerland.

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