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Baerbock nennt Taliban Terrororganisation – plädiert aber für weitere Gespräche

Die Rettung von Menschenleben in Afghanistan hat aktuell für die Bundesregierung höchste Priorität. Deshalb führe man Gespräche mit den Taliban, die gerade die Macht im Land übernehmen. Dabei stellt sich für manche auf dem politischen Parkett die Frage nach der richtigen Umschreibung der islamistischen Gruppierung.
Baerbock nennt Taliban Terrororganisation – plädiert aber für weitere GesprächeQuelle: AFP © HOSHANG HASHIMI / AFP

Um eine erfolgreiche Evakuierung afghanischer Ortskräfte zu gewährleisten, entsandte Heiko Maas am Dienstag den früheren Botschafter und Afghanistan-Experten Markus Potzel nach Doha in Katar, damit er dort mit Unterhändlern der Taliban auch darüber spricht. Nach ersten Gesprächen am Mittwoch werden die Treffen nun am Donnerstag fortgesetzt.

Nicht überall trifft diese Herangehensweise auf Zustimmung, doch selbst die Kanzlerkandidatin der Grünen Annalena Baerbock befürwortet – neben anderen Politikern – diese Gespräche, auch wenn die Taliban nach ihrer Aussage eine islamistische Terrororganisation sind. Es gehe eben darum, Menschenleben zu retten. Während die von ihr verwendete Bezeichnung auf einige andere islamistische Gruppierungen zutrifft würde, so sind die Taliban hierzulande bisher nicht als eine Terrororganisation  geführt.

In der Argumentation zur deutschen Unterstützung des Friedensprozesses in Afghanistan bei der Unterrichtung des Deutschen Bundestages im Februar 2019 spricht man von einer afghanischen Taliban-Bewegung. In der Durchführungsverordnung der EU 2021/138 vom 5. Februar 2021 zur Durchführung des Artikels 2 Absatz 3 der Verordnung (EG) Nr. 2580/2001 über spezifische, gegen bestimmte Personen und Organisationen gerichtete restriktive Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus und zur Aufhebung der Durchführungsverordnung (EU) 2020/1128 werden die Taliban ebenfalls nicht in der Terrorliste aufgeführt.

Weshalb Baerbock sich dennoch – trotz ihrer eigenwilligen, persönlichen Einsortierung dieser zweifellos islamistisch-fundamentalistischen Gruppierung – hinter die Gesprächsbemühungen stellt, erklärt die Kanzlerkandidatin von Bündnis 90/Die Grünen gegenüber dem WDR am Donnerstag dann so:

"Die einzige Möglichkeit, jetzt Menschen wirklich noch in Sicherheit zu bringen, die mit dem Tod bedroht sind, ist mit den Taliban darüber zu sprechen, dass diese Menschen noch zum Flughafen gebracht werden können."

Die Bundesregierung habe aus ihrer Sicht in den vergangenen Wochen bei der Afghanistan-Politik versagt und Warnungen nicht ernst genommen. Viele Ortskräfte säßen daher jetzt im Land fest – darunter Frauen, die sich jetzt irgendwo in Kabul verstecken müssten. Es ginge um "Köche", "Dolmetscher mit Familienangehörigen, mit Kindern dabei", für die man jetzt alles tun müsse, um ihre Leben zu retten. Ein Mittel, um dies zu erreichen, wären dann auch Gespräche mit der von ihr als Terrororganisation bezeichneten Bewegung.

"Aber was wir nicht machen können, ist, diese Regierung anzuerkennen, weil: Sie ist nicht die legitime Regierung, es ist eine islamistische Terrororganisation."

Der absolute Fokus müsse aktuell dennoch einzig auf der Rettung der Menschen liegen, danach sei es Aufgabe der Bundesregierung, zusammen mit den US-Amerikanern und Kanadiern Gespräche zu führen, wie man die nächsten Wochen in Afghanistan gestalten könne.

Auch der SPD-Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich verteidigte am Donnerstagmorgen die angelaufenen Verhandlungsgespräche mit den militant-islamistischen Taliban, da man nur durch Gespräche  versuchen könne, "auf diejenigen einzuwirken, die derzeit das Sagen in Afghanistan haben." Im Inforadio des RBB sagte er:

"Wir versuchen eben, darüber nicht nur eine gesicherte Ausreise von vielen Ausländern zu schaffen, aber gleichzeitig eben auch für die Ortskräfte etwas zu tun. Und wir stehen ja nun nicht alleine."

Die Verhandlungen würden aber nicht bedeuten, dass man die Herrschaft der Taliban anerkennen würde. Er rechne mit einer Übergangsregierung und sehe nach wie vor viel Spielraum für die Diplomatie. Auch weil Afghanistan auf internationale Geldgeber angewiesen ist und die Taliban, die dies wüssten, nicht das komplette Land kontrollieren könnten, seien die Gespräche sinnvoll. Für ihn sei das große Problem das regionale Umfeld: Pakistan, die Volksrepublik China und auch Iran sowie viele andere Akteure im Hintergrund. Auch wenn Mützenich den unmittelbaren Wirkungsfaktor der Diplomatie Deutschlands als zu gering einschätzt, so würde ein Aufruf zu Mäßigung wohl Gehör finden. Als Terrororganisation bezeichnet der SPD-Fraktionsvorsitzende die Taliban nicht.

Nach einer Definition des britisch-pakistanischen Journalisten und Bestseller-Autors Ahmed Rashid in einem früheren Interview mit dem Herausgeber und Programm-Manager und Herausgeber vom NATOChannel.tv Paul King sei Terrorismus im Wesentlichen gegen die Zivilbevölkerung, gegen Zivilisten gerichtet. Alles, was Zivilisten töten wolle und die bürgerliche Gesellschaft in ihren Grundfesten zu erschüttern versuche, sei Terrorismus.

"Zwischen einem Freiheitskämpfer und einem Terroristen zu unterscheiden, ist natürlich eine Gratwanderung, doch ich denke, dass es nun in der Gesellschaft, nach Al-Qaida eine eindeutigere Unterscheidung gibt – in dem Sinne, dass jene, die Zivilisten töten, als Terroristen gelten."

Nach jüngsten Äußerungen von Wahidullah Hashimi, einem der an Entscheidungsprozessen der Taliban beteiligten Verantwortlichen, seien die Taliban daran interessiert, eine Staatsform vergleichbar zu der zwischen 1996 und 2001 wieder zu installieren. Gegenüber Reuters erklärte er, dass jedoch viele Fragen, wie die Taliban Afghanistan regieren werden, bislang noch nicht geklärt seien, doch sicher sei, dass es keine Demokratie geben werde.

"Es wird überhaupt kein demokratisches System geben, weil es in unserem Land keine Grundlage hat."

Wenn sich die Taliban an der einst von ihnen gewählten Staatsform orientieren, so dürfte die Führung des Landes von einem Führungsrat übernommen werden, während sich der Oberste Führer im Hintergrund aufhält. Ziel der Taliban sei demnach, eine "wahre islamistische Herrschaft" aufzubauen, die in den Rahmenbedingungen des Scharia-Rechts funktioniert. Da der dort gebrauchte und recht differenziert ausgebildete Rechtsapparat jedoch im Konflikt zu einigen international anerkannten rechtlichen Konventionen steht, welche auch von Afghanistan unterzeichnet wurden und die Taliban auch nach ihrer Machtübernahme binden sollten, könnte sich die Umsetzung dieser Ankündigung durchaus noch problematisch gestalten.

Auf der ersten Pressekonferenz der Taliban nach der Machtübernahme betonte der Sprecher der Islamisten Sabiullah Mudschahid, dass man in der kommenden Zeit danach streben werde, eine inklusive, starke, islamistische Regierung zu bilden, an der alle Parteien und gesellschaftlichen Gruppen beteiligt sein sollen – selbst die ehemaligen Feinde. Man möchte in Frieden leben und weder interne noch externe Feinde haben, weshalb auch alle Mitarbeiter der vorherigen Regierung und der westlichen Staaten begnadigt werden, unabhängig davon, welche Position sie zuvor innehatten.

Es gibt also auch künftig noch viel zu besprechen und zu beobachten, bevor man die Taliban, die auch als radikalislamistische militärische Bewegung bezeichnet werden, eine aktive Terrororganisationen nennen dürfte.

RT DE hat bei der Partei Bündnis 90/Die Grünen daher per E-Mail angefragt, warum ihre Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock diese Wortwahl heute schon benutzte. Eine Antwort steht derzeit noch aus.

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