Haiti: Übergangspremier Joseph ruft Belagerungszustand aus und zur Ruhe auf
Nach der Ermordung des haitianischen Präsidenten Jovenel Moïse sind nach Angaben der Polizei vier mutmaßliche Täter getötet und zwei festgenommen worden. Die Regierung des Karibikstaates rief am Mittwoch jeweils 15 Tage Belagerungszustand und Staatstrauer aus. Außenminister Claude Joseph unterzeichnete beide Erlasse am Mittwoch als Übergangs-Premierminister. Moïse hatte am Montag Ariel Henry zu Josephs Nachfolger im Amt des Regierungschefs ernannt, Henry wurde aber bislang noch nicht vereidigt.
Unbekannte waren in der Nacht zum Mittwoch (Ortszeit) in die Residenz des 53 Jahre alten Staatschefs Moïse in einem Vorort der Hauptstadt Port-au-Prince eingedrungen und hatten ihn erschossen. Laut einem Bericht der Daily Mail wurden zwei Hausangestellte gefesselt, die Tochter Jomarlie habe sich in einem Schlafzimmer versteckt, während ihr Vater von zwölf Kugeln aus Sturmgewehren getroffen wurde.
Seine Ehefrau Martine wurde durch mehrere Schüsse schwer verletzt und zur Behandlung in die rund 1.000 Kilometer entfernte US-Stadt Miami gebracht, wie Haitis Botschafter in den USA, Bocchit Edmond, internationalen Medien sagte. Premier Joseph teilte später mit, dass sie außer Gefahr und in stabilem Zustand sei. Die Angreifer seien nach ersten Erkenntnissen Ausländer gewesen, die sich als Angehörige der US-Anti-Drogenbehörde DEA ausgegeben hätten. Nach Angaben der haitianischen Botschaft in Washington handelte es sich um einen wohl koordinierten Angriff durch eine gut ausgebildete und schwer bewaffnete Gruppe. Joseph sagte in einer Ansprache an die Nation, die Täter hätten Englisch und Spanisch gesprochen, während Haitis Amtssprachen haitianisches Kreol und Französisch sind. Mitunter wird von "ausländischen Söldnern" berichtet. Im Zusammenhang mit dem Attentat wurde am Donnerstag ein weitere Verdächtiger festgenommen, bei dem es sich um einen US-Staatsbürger haitianischer Abstammung handeln soll.
Joseph rief dazu auf, die Ruhe zu bewahren. Die Lage sei unter Kontrolle. Der Flughafen von Port-au-Prince wurde vorübergehend geschlossen. Der Belagerungszustand erlaubt es der Regierung unter anderem, das Militär für Polizeiaufgaben einzusetzen und Bürgerrechte einzuschränken. Haiti, das ärmste Land des amerikanischen Kontinents, steckte schon vor den Ereignissen der vergangenen Tage in einer tiefen politischen Krise. Da eine für Oktober 2019 vorgesehene Parlamentswahl unter anderem wegen heftiger Proteste gegen Moïse ausgefallen war, gibt es dort seit Januar 2020 kein handlungsfähiges Parlament mehr. Moïse regierte seither per Dekret.
Weder Henry noch dessen Vorgänger Joseph Jouthe konnten daher verfassungsgemäß als Regierungschef bestätigt werden. Auch der Oberste Gerichtshof ist geschwächt – der vorsitzende Richter René Sylvestre starb vor wenigen Wochen. Am 26. September stehen in Haiti Präsidenten- und Parlamentswahlen sowie ein Verfassungsreferendum an. Mit dem Referendum wollte Moïse die Rolle des Staatschefs stärken. Proteste gegen Moïse haben das Land in den vergangenen drei Jahren immer wieder lahmgelegt. Ihm wurden Korruption und Verbindungen zu gewalttätigen Banden vorgeworfen. Blutige Kämpfe solcher Banden um die Kontrolle über Teile von Port-au-Prince haben nach UN-Zahlen seit Anfang Juni mehr als 14.700 Menschen in die Flucht getrieben.
Am Donnerstag steht wegen der Situation in Haiti eine Dringlichkeitssitzung auf der Tagesordnung des UN-Sicherheitsrates. Das Treffen, von den Vereinigten Staaten und Mexiko beantragt, findet hinter verschlossenen Türen statt. Am Mittwoch hatte Joseph mit US-Außenminister Antony Blinken telefoniert, wie beide Seiten bekannt gaben. Joseph versprach dabei einen Dialog mit den Anführern der Opposition, um für Ruhe zu sorgen und die Wahlen nach dem bisherigen Zeitplan durchzuführen. Er traf sich nach Angaben seines Büros außerdem mit Vertretern der sogenannten Kerngruppe der internationalen Gemeinschaft in Haiti, der auch der deutsche Botschafter angehört. Joseph versicherte ihnen demnach, dass durch seine Führung des Ministerrates das Funktionieren des Staates gewährleistet sei und er die Lage unter Kontrolle habe. Zu den Mitgliedern der Kerngruppe gehören die Botschafter Brasiliens, Kanadas, Frankreichs, der Europäischen Union, Deutschlands, Spaniens, der Vereinigten Staaten von Amerika, der Sonderbeauftragte der Organisation Amerikanischer Staaten und der Sonderbeauftragte des Generalsekretärs der Vereinten Nationen.
In der Washington Post wurden bereits Forderungen nach dem Einsatz von Friedenstruppen laut. "Um einen Zusammenbruch zu verhindern, der katastrophale Folgen haben könnte, sollten die Vereinigten Staaten und andere einflussreiche Parteien – einschließlich Frankreich, Kanada und der Organisation Amerikanischer Staaten – auf eine internationale Friedenstruppe drängen, die wahrscheinlich von den Vereinten Nationen gestellt wird. Sie könnte die nötige Sicherheit bieten, damit die Präsidenten- und Parlamentswahlen wie geplant in diesem Jahr stattfinden können."
Haiti erklärte 1804 offiziell seine Unabhängigkeit von Frankreich. Laut Marlene Daut, Historikerin für Haiti an der Universität von Virginia, habe Frankreich jedoch "nie ganz aufgegeben, seine ehemalige Kolonie zurückzuerobern". So sei dafür seitens Frankreich zur Entschädigung die exorbitante Summe von 150 Millionen Francs unter Gewaltandrohung gefordert worden, die Haiti innerhalb von 122 Jahren abstotterte. Im 20. Jahrhundert kontrollierten vor allem die Vereinigten Staaten die kränkelnde haitianische Wirtschaft, unter anderem implementierten sie unter einer militärischen Besetzung ein System, das ausländische Investitionen anziehen sollte und dafür die haitianischen Löhne, Unternehmenssteuern und Zölle niedrig hielt. Während US-amerikanische Unternehmen profitierten, war das Land nachhaltig instabil und von Armut geprägt, was sich international vor allem nach dem Erdbeben im Jahr 2010 zeigte.
Das Durchschnittseinkommen liegt bei 5 US-Dollar pro Tag. Viele Menschen leben von weitaus weniger, während die haitianische Regierung zu bedeutenden Teilen auf Pump agiert. Mit Krediten in Höhe von bis zu 20 Prozent des haitianischen Staatshaushalts haben kreditgebende Institutionen wie der Internationale Währungsfonds (IWF) übergroßen Einfluss auf die Innenpolitik, gegen die die Bevölkerung immer wieder demonstriert. Im Jahr 2018 brachen tödliche Proteste wegen der Gaspreise aus, nachdem Haitis Gläubiger empfohlen hatten, die Erdölsubventionen zu beenden.
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