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Schuldig oder nicht? Im Prozess um tödliche Messerattacke in Chemnitz soll Urteil fallen

Vor knapp einem Jahr wurde in Chemnitz ein Mann erstochen. Im Verfahren gegen einen Tatverdächtigen aus Syrien steht nun das Urteil kurz bevor. Bisher schwieg der Angeklagte im Prozess, doch nun gab er dem ZDF ein Telefoninterview und beteuerte seine Unschuld.
Schuldig oder nicht? Im Prozess um tödliche Messerattacke in Chemnitz soll Urteil fallenQuelle: Reuters

Am 26. August jährt sich der gewaltsame Tod des Chemnitzers Daniel H. durch Messerstiche zum ersten Mal – doch bereits wenige Tage davor rückt die damalige Bluttat wieder in den Fokus. An diesem Donnerstag will das Landgericht Chemnitz über Schuld oder Unschuld eines der zwei Tatverdächtigen entscheiden. Nach 18 Verhandlungstagen geht es jetzt auf einmal unerwartet schnell, ursprünglich waren Termine bis zum 29. Oktober vorgesehen.

Das Finale läutete am Montag Staatsanwalt Stephan Butzkies ein. Der Anklagevertreter beantragte in seinem Plädoyer eine Gesamthaftstrafe wegen Totschlags und gefährlicher Körperverletzung von zehn Jahren für den Angeklagten. Die Höchststrafe bei Totschlag beträgt 15 Jahre. Vor der erwarteten Urteilsverkündung halten die drei Nebenklagevertreter sowie die Verteidigung am Donnerstag ihre Schlussvorträge. Zudem darf der Angeklagte sein abschließendes Wort in der Verhandlung sprechen.

Anklage gegen Alaa S. stützt sich im Wesentlichen auf Aussagen eines Zeugen

Der 23 Jahre alte syrische Asylbewerber soll gemeinsam mit einem flüchtigen Iraker Daniel H. am 26. August 2018 erstochen haben. Der Iraker Farhad A. befindet sich auf der Flucht, weltweit wird nach ihm gesucht. Alaa S. wird überdies vorgeworfen, einen weiteren Mann mit einem Messerstich verletzt zu haben. Seit dem 18. März muss sich der Syrer daher vor dem Landgericht Chemnitz wegen gemeinschaftlichen Totschlags verantworten. Ein weiterer ehemals Tatverdächtiger, Yousif A., wurde mangels dringenden Tatverdachts aus der Untersuchungshaft entlassen.

Aus Sicherheitsgründen findet der Prozess in einem Gebäude des Oberlandesgerichts (OLG) in Dresden statt. Grund dafür waren die fremdenfeindlichen Übergriffe, Demonstrationen rechtsgerichteter Kräfte sowie zahlreiche Gegenproteste, die nach der Tat die Stadt Chemnitz erschüttert hatten.

Die Staatsanwaltschaft stützt sich in der Anklage gegen Alaa S. im Wesentlichen auf die Aussagen eines ehemaligen Angestellten eines Döner-Ladens. Er hatte zunächst davon berichtet, dass er den Angeklagten aus einem Fenster des Imbisslokals am Tatort gesehen habe, wie dieser mit schlagenden oder stechenden Bewegungen auf das Opfer eingewirkt hatte. Bei späteren Vernehmungen und auch vor Gericht wurden seine Aussagen zunehmend unpräziser. Der Staatsanwalt räumte am Montag in seinem Plädoyer Widersprüche und Einsilbigkeit des Libanesen ein.

Den "Kernsachverhalt" aber habe er von Anfang bis Ende gleich beschrieben. Der Zeuge sei über Monate durch äußere Einflüsse wie Bedrohungen oder auch die Ermittlungen mürbe gemacht worden. Daher, so Butzkies, wundere ihn dessen Aussageverhalten nicht. Man müsse aber seine Aussagen in der Gesamtheit bewerten. Überdies seien wichtige Details von anderen Zeugen bestätigt worden.

Keine Spuren des Angeklagten auf der Tatwaffe – und Panne bei der Polizei

Doch im Laufe des Prozesses wurde auch klar, dass die Polizei keinerlei Spuren von Alaa S. an der Tatwaffe finden konnte. Es fehlen auch DNA-Spuren des Täters am Opfer. Die Verteidigung des angeklagten Syrers hatte bereits zum Prozessbeginn die Einstellung des Verfahrens beantragt.

Während des Prozesses wurde auch bekannt, dass der Polizei bei den Ermittlungen eine schwere Panne unterlaufen ist. Bei der vorläufigen Festnahme des Angeklagten sind die blutverschmierten Hände des damals Tatverdächtigen weder fotografiert noch später im Sachstandsbericht erwähnt worden. Die Beamten berichteten vor Gericht, dass der Angeklagte nach der Flucht vom Tatort unweit der Polizeidirektion aufgegriffen und vorläufig festgenommen wurde. Dabei habe der Syrer Blut an beiden Handinnenflächen, der Oberbekleidung und der Hose gehabt, berichtete ein 29-jähriger Polizist. Doch fotografiert wurde dies nicht.

Der Angeklagte spricht mit ZDF und beteuert seine Unschuld

Der in der JVA Waldheim in U-Haft sitzende Syrer hat während des gesamten Prozesses zu den Tatvorwürfen geschwiegen. Kurz vor dem erwarteten Urteil hat er in einem ZDF-Telefoninterview bestritten, den Chemnitzer Daniel H. erstochen zu haben.

Ich schwöre bei meiner Mutter, ich habe ihn nicht angefasst. Ich habe überhaupt nicht das Messer angefasst", sagte Alaa S. demnach dem Sender. 

Im Gespräch in der ZDF-Sendung "Frontal 21" sagte er, er glaube nach einem Jahr Untersuchungshaft kaum noch an ein faires Urteil. "Ich habe Angst vor jedem hier, ich habe Angst vor den Mitgefangenen, ich habe Angst vor den Beamten. Ich habe sogar Angst vor dem Gericht."

Nach Angaben der Redaktion wurde das Interview auf Deutsch geführt. Es sei über "eine Freundin" vermittelt worden. Die Anwältin des Syrers wollte sich nicht dazu äußern. Nach Angaben des Landgerichts werden die Aussagen des Angeklagten in dem TV-Interview keinen Einfluss auf die Urteilsfindung haben. Dafür seien laut Strafprozessordnung allein die im Laufe der Verhandlung durch die Kammer gewonnenen Erkenntnisse entscheidend, teilte das Landgericht Chemnitz mit.

Sachsens Justizministerium konnte zum Zustandekommen des Interviews zunächst nichts weiter sagen. Es sei Menschen in Untersuchungshaft aber grundsätzlich erlaubt zu telefonieren. Dafür werde eine Telefonerlaubnis für ausgewählte Nummern erteilt, erläuterte ein Ministeriumssprecher. Nur diese Nummern seien freigeschaltet. Welche Erlaubnis der Angeklagte im Chemnitz-Prozess konkret hatte, konnte der Sprecher nicht sagen.

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(rt deutsch/dpa)

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