Pressefreiheit? Bundesregierung lässt Tageszeitung Junge Welt vom Verfassungsschutz beobachten
Den Internationalen Tag der Pressefreiheit am 3. Mai nahmen zahlreiche führende Politiker zum Anlass, kräftig Richtung Russland, China und Kuba zu wettern und angebliche Angriffe auf die Pressefreiheit in diesen Ländern zu bemängeln. Insbesondere die SPD setzte sich dabei in Szene. So erläuterte etwa Außenminister Heiko Maas (SPD):
"Menschen brauchen freie und unabhängige Informationen – ohne sie kann Demokratie nicht funktionieren."
Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) lobte die Arbeit unabhängiger Journalisten und sicherte ihnen mehr Schutz zu, denn:
"Ohne freie Presse gibt es keine Demokratie."
Am Freitag wurde erneut in Bundestag über die Lage der Medien und der freien Berichterstattung debattiert – mit Anträgen der Fraktionen unter den Überschriften "Journalisten schützen – Pressefreiheit gewährleisten", "Für einen freien und fairen Medienmarkt – Desinformation mit Qualität begegnen" (beide FDP) oder "Pressefreiheit und Journalistinnen und Journalisten besser schützen" (Die Linke). Als Höhepunkt warb der Kultur- und Mediensprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Martin Rabanus, für das "Aktionsprogramm freie und unabhängige Medien" seiner Partei. Rabanus betonte:
"Die SPD hat stets und wird stets die Presse- und Meinungsfreiheit gegen ihre Gegner verteidigen."
Die Tageszeitung Junge Welt hat ein anderes Bild: Seit 2004 wird die nach eigener Darstellung "linke, marxistisch orientierte, überregionale Tageszeitung" offiziell vom Verfassungsschutz beobachtet – eingeleitet damals noch von der rot-grünen Koalition unter Bundeskanzler Gerhard Schröder. Die Junge Welt ist die einzige bundesweite Tageszeitung, die auf der Verfassungsschutzliste zu finden ist.
Neben der politischen Brandmarkung entstehen der Zeitung damit erhebliche Schwierigkeiten im Bereich der Werbung und der journalistischen Arbeit. Bereits am 13. März wandte sich die Redaktion der Jungen Welt daher an alle Fraktionsvorsitzenden der im Bundestag vertretenen Parteien und fragten, wie es sich mit der Pressefreiheit vereinbaren lasse, wenn eine Tageszeitung vom Verfassungsschutz beobachtet werde.
In dem offenen Brief zählte die Redaktion konkrete Beispiele auf, wie sie dadurch in ihrer Arbeit behindert wird: Die Nennung durch den Verfassungsschutz nehmen diverse Städte, Universitäten und Unternehmen (zum Beispiel die Deutsche Bahn) als Begründung, um Anmietung von Werbeflächen nicht zu gestatten. Druckereien weigern sich, Publikationen mit Werbeanzeigen der Jungen Welt zu drucken. Der Zugang zur Junge-Welt-Webseite wird in bestimmten öffentlichen Bibliotheken gesperrt.
Auf den offenen Brief reagierten laut Darstellung der Jungen Welt lediglich die Grünen und Linken. Die beiden Fraktionsvorsitzenden der Linken, Amira Mohamed Ali und Dietmar Bartsch, schrieben:
"Die Pressefreiheit ist nicht nur ein verbrieftes Recht, sondern sie muss auch in der Praxis gelten, was ebenso für alle anderen Zeitungen gilt."
Die Linke-Bundestagsfraktion stellte als Reaktion Mitte April eine kleine Anfrage an die Bundesregierung, in der sie diese um eine Stellungnahme zur "Presse- und wettbewerbsrechtliche Behinderungen durch Nennung der Tageszeitung Junge Welt im Verfassungsschutzbericht" auffordert (Drucksache 19/28956). In der Antwort darauf (Drucksache 19/29415) bestätigt die Bundesregierung die geheimdienstliche Überwachung der Jungen Welt. Sie begründet diese durch eine vermeintliche Verfassungsfeindlichkeit. Die Junge Welt vertrete einen "revolutionären Marxismus", der sich "gegen Grundprinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung" richte. Konkret formuliert die Bundesregierung:
"Beispielsweise widerspricht die Aufteilung einer Gesellschaft nach dem Merkmal der produktionsorientierten Klassenzugehörigkeit der Garantie der Menschenwürde."
Im Bundestag wird heute #Pressefreiheit diskutiert.Die Bundesregierung behauptet, die #jW sei verfassungsfeindlich. Begründung: Als marxistisch orientierte Zeitung gehe sie von der Existenz von Klassen in der Gesellschaft aus.Presseerklärung:https://t.co/WAm3hlZUSy
— junge Welt (@jungewelt) May 7, 2021
Die Bundesregierung macht deutlich, es gehe darum, der Jungen Welt "den Nährboden zu entziehen" und sie somit ökonomisch zu schwächen. Die Redaktion der Jungen Welt wehrt sich in einer Stellungnahme gegen eine von ihr als politisch motiviert empfundene "Kriminalisierung einer wissenschaftlichen Weltanschauung". Sie kündigte an, sich "gegen diesen staatlichen Angriff auf die Pressefreiheit" zur Wehr zu setzen – mit einem Appell an die Öffentlichkeit und "mit allen verfügbaren rechtlichen Mitteln".
Solidarität erhält die Junge Welt dabei von der Partei Die Linke. In der gestrigen Bundestagsdebatte formulierte die Linken-Abgeordnete Gesine Lötzsch:
"Ich sage ganz deutlich: Ich bin der Auffassung, die Beobachtung einer Tageszeitung durch den Verfassungsschutz ist nicht hinnehmbar. Wir als Linke können das nicht akzeptieren. Ich hoffe, dass das andere Fraktionen in diesem Bundestag auch nicht akzeptieren können."
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