Europa

Russland erwartet internationale Anerkennung des Genozids am Sowjetvolk im Zweiten Weltkrieg

Die demographischen Folgen des Vernichtungskrieges hat die Bevölkerung der ehemaligen Sowjetunion bis heute nicht überwunden. Aber nicht nur das treibt jetzt Russland an, den Russlandfeldzug im Zweiten Weltkrieg juristisch als Akt des Genozids anerkennen zu lassen.
Russland erwartet internationale Anerkennung des Genozids am Sowjetvolk im Zweiten Weltkrieg© Russisches Ermittlungskommitee

Während ihres Großen Vaterländischen Krieges gegen den Überfall Nazi-Deutschlands verlor die Sowjetunion verschiedenen Quellen zufolge zwischen 13,5 und 18 Millionen Zivilisten, während sich die Gesamtzahl der Kriegsopfer auf ca. 27 Millionen Menschen der früheren Sowjetunion beläuft. Experten von der Russischen Historischen Gesellschaft tendieren aufgrund detaillierter Analysen zu einer Zahl von 18 Millionen ziviler Bürger, die Opfer "feindlicher Kampfeinwirkung" und vorsätzlicher Vernichtung durch die Hitler-Invasoren und deren Verbündete wurden. Der Politiker der Regierungspartei "Einiges Russland" Dmitri Puschkow, ein langjähriges Mitglied des Obersten Rates, sieht es an der Zeit, die Frage der Anerkennung dieses vier Jahre andauernden Massakers als Genozid auf internationaler Bühne anerkennen zu lassen:

"Wir können auf internationaler Ebene die Frage der Anerkennung stellen, denn es ist unmöglich, diese Tatsache zu widerlegen (…) Es gibt zahlreiche Belege für die gezielte Vernichtung der friedlichen Bevölkerung. Und das ist Völkermord", sagte er in einer Sendung bei Radio Westi FM.

Er betonte, dass die Opferzahlen des sowjetischen Volkes zahlenmäßig die Opferzahlen anderer Völker um ein Vielfaches übertreffen. "Sie wurden aufgrund ihrer Zugehörigkeit zum sowjetischen Volk getötet, als Bürger der Sowjetunion". Er sagte, dass das russische Ermittlungskomitee und die Generalstaatsanwaltschaft derzeit ernsthaft an der Klärung der Umstände der Massenerschießungen arbeiten.

Die ersten Resultate dieser Arbeit lieferte ein Gerichtsbeschluss im Oktober 2020 im Nowgoroder Gebiet im Nord-Westen Russlands. Die Massenhinrichtungen von fast viertausend Zivilisten am Ort  Shestjanaja Gorka durch Nazi-Einsatzkommandos und Hilfspolizei sind nun als Genozid an der Sowjetbevölkerung anerkannt worden. 

Die Ermittlungsarbeit ist darauf gerichtet, die Täter deren Opfern namentlich zuzuordnen. "Wir müssen uns jeden Fakt vornehmen, jeden Namen. Und klären, wer für Akte des Genozids verantwortlich war. Denn heute erklären sich einige Länder zu Opfern des Naziregimes, obwohl sie in Wirklichkeit Verbündete Deutschlands waren", schrieb der Berater des Präsidenten und Ex-Kulturminister Wladimir Medinski in einem ausführlichen Aufsatz, der auch von RT DE übersetzt und veröffentlicht wurde.  

Es habe im Zweiten Weltkrieg drei von der UNO international anerkannte Völkermorde gegeben – an den Juden (6 Millionen Opfer), den Sinti und Roma (mindestens 200.000 bis womöglich 1,5 Millionen) sowie an den Serben (zwischen 200.000 bis 800.000 Menschen), aber nicht für die systematische Vernichtung der nichtjüdischen Sowjetbevölkerung. Er weist auch auf gewaltiges "demografisches Echo des Krieges" und indirekte Verluste der Bevölkerung in Höhe von weiteren  geschätzten 23 Millionen hin. Zu dieser Gruppe gehören vor allem zu früh verstorbene Kriegsversehrte sowie infolge der Kriegsleiden Ungeborene. 

Aber es geht nicht nur um diese erdrückenden Zahlen. Schließlich haben die Sowjetunion selbst und später auch Russland über Jahrzehnte keine Schritte für Anerkennung dieses Genozids unternommen. Das hatte vor allem damit zu tun, dass Tausende der Täter als Angehörige der Hilfspolizei und sonstigen mit den deutschen Nazis kollaborierenden Formationen aus der unmittelbaren Nachbarschaft stammten. Schließlich wollte man den sozialen Frieden und die Völkerfreundschaft nicht durch eine vollständige Aufarbeitung dieser Verbrechen gefährden. Jetzt haben sich diese Zeiten geändert:

"Jetzt findet ein totaler Kampf um alles statt – um Politik, Geschichte, Ideologie. Niemals wurde die Rolle unseres Landes in der Geschichte des Zweiten Weltkrieges so angezweifelt wie jetzt. Jetzt gibt es juristische Dokumente, die unsere Rolle im Zweiten Weltkrieg anzweifeln! Wenn wir beweisen, dass es den Genozid am sowjetischen Volk gab, dann ist es unmöglich, länger diese Rolle zu widerlegen", argumentiert Senator Puschkow.

Auch im Hinblick auf die radikale Wende in der ukrainischen Geschichtspolitik sei das wichtig. Er weist auf die Tendenz hin, durch einen ethnisch gefassten Opferdiskurs gewisse Opferhierarchien im Geschichtsbewusstsein etablieren zu wollen. Die Forderung der Ukraine an Deutschland, ein Denkmal nur für die ukrainischen Opfer des Zweiten Weltkriegs zu errichten, gehört beispielsweise dazu.

"Dieser Versuch, unsere Völker zu spalten, wird in der Ukraine besonders deutlich. Wir haben gemeinsame Opfer. Wenn wir über den Völkermord am sowjetischen Volk sprechen, sprechen wir über die Tatsache, dass wir gemeinsam gekämpft haben, dass wir gemeinsam die Welt vor dem Faschismus gerettet haben und dass wir gemeinsam Opfer gebracht haben", sagt Puschkow.

Der Politiker nannte keine weiteren juristischen Schritte Russlands oder geplanten Parlamentsbeschlüsse, die auf internationale Anerkennung des Genozids abzielen würden. Aber die gesellschaftliche Arbeit an diesem Vorhaben ist spürbar. Es wurde eine offizielle Petition auf der Webseite chande.org gestartet – mit bislang 33.000 Unterschriften. Juristische Vereinigungen leisten dabei Vorarbeit. Die Durchsicht dieser Dokumente zeigt: Russische Historiker, Politiker und Juristen sprechen in dieser Frage mit einer Stimme. 

Die Anerkennung sei keine juristische Formalität, sondern eine moralische Verpflichtung gegenüber den unschuldig Getöteten, schreibt Denis Sadownikow, der Vorsitzende der Kommission für das juristische Erbe des Zweiten Weltkriegs in einem Aufsatz. "Lieber spät als niemals", betont der Jurist. Auch er sieht in der Anerkennung des Genozids eine Rettungsaktion für "das fortwährende juristische Erbe des Zweiten Weltkriegs", das angesichts der "vielfältigen Verfälschungsversuche und Manipulation der öffentlichen Meinung" gefährdet sei.

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