Verschwiegene Wahrheit: Über 80 Prozent der Zivilisten im Donbass sterben durch ukrainische Armee
von Wladislaw Sankin
Der sogenannte "Donbass-Krieg" in der Ostukraine wird in den deutschen Leitmedien oft im Einklang mit ukrainischer Propaganda als russisch-ukrainischer Krieg bezeichnet. Politiker nennen ihn eine Destabilisierung der Ukraine oder gar einen "verdeckten Krieg" vonseiten Russlands. Wenn das Leiden der Zivilisten in diesem Krieg erwähnt wird, heißt es aber abstrakt, im Konflikt seien inzwischen über 13.000 Menschen gestorben. Welche Partei des Konflikts welche Verluste erlitten hat, bleibt im Verborgenen.
Das führt dazu, dass deutsche Top-Politiker die gesamte Zahl der Opfer als Verluste der ukrainischen Armee interpretieren. So betrauerte Bundeskanzlerin Angela Merkel bei der Pressekonferenz mit Wladimir Putin am 20. August ausschließlich den Tod der ukrainischen Soldaten und erwähnte die Opfer der Gegenseite mit keinem Wort:
"Es ist hier Stagnation (des Minsk-Prozesses) im Augenblick eingetreten. Leider sterben immer wieder auch ukrainische Soldaten an der Kontaktlinie."
Ähnlich äußerte sich die Verteidigungsministerin und damalige CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer in der Polit-Talkshow Anne Will im Dezember 2018. Sie sagte:
"Fakt ist, die Rebellen in der Ostukraine werden von Russland unterstützt. Fakt ist, 10.000 ukrainische Soldaten sind gestorben."
Die gesamte Opferzahl allein Russland anzulasten, gehört zur Tradition der ukrainischen Propaganda. So erklärte der ukrainische Präsident Wladimir Selenskij am 23. September von der UN-Tribüne, dass fast 15.000 Menschen im Krieg im Donbass durch die "Handlungen des russischen Aggressors" gestorben seien. "Diese Opfer waren der Preis, den der Staat für Freiheit und Unabhängigkeit zahlte", sagte er.
Beim Treffen mit US-Präsident Joe Biden führte Selenskij die Absurdität auf die Spitze, als er sagte, dass die Ukraine 15.000 "unserer besten Leute" durch den russischen Aggressor verloren hätte. Damit hat er die Kämpfer der Donezker und Lugansker Volksmiliz, die gegen die ukrainische Armee kämpfen, sowie Zivilisten auf der Rebellenseite zu den "besten Leuten der Ukraine" und "Opfern Russlands" gezählt. Man darf sich nicht über die Falschaussagen der CDU-Politiker wundern, wenn man "Informanten" wie Selenskij oder seinen Vorgänger Petro Poroschenko hat, der auch schon früher mit der Verbreitung von Falschmeldungen aufgefallen ist.
Wer aber genau wissen will, wie viele Menschenleben der Krieg auf beiden Seiten des Konflikts forderte und vor allem welcher Anteil davon auf Zivilisten fällt, muss sich auf aufwendige Recherchen einstellen. Daten, die mit großer Wahrscheinlichkeit nah an der Wahrheit liegen, liefert das Büro des UN-Hochkommissars für Menschenrechte. Auf die Anfrage des US-Senders Radio Liberty/Free Europe gab es am 19. Februar 2021 folgende Auskunft:
Die gesamte Anzahl der Opfer beträgt 42.000 bis 44.000 Personen, davon wurden 13.100 bis 13.300 Menschen getötet. Unter den Toten befinden sich mindestens 3.375 Zivilisten, rund 4.150 ukrainische Militärangehörige und etwa 5.700 Angehörige "bewaffneter Gruppen" (Volkswehr der Gegenseite). Die Zahl der Verwundeten beträgt 29.500 bis 33.500. Davon sind 7.000 bis 9.000 Zivilisten; 9.700 bis 10.700 gehören zum ukrainischen Militär; 12.700 bis 13.700 sind Mitglieder bewaffneter Gruppen. Damit betrug der Anteil der Todesopfer des ukrainischen Militärs im Februar lediglich 31 Prozent. Der Beginn dieses Krieges geht auf den Befehl des damaligen "Interimspräsidenten" Alexander Turtschinow vom 07. April 2014 zurück, als er die "Anti-Terror-Operation" unter Einsatz schwerer Waffen angeordnet hat.
Die UNO merkt an, dass sich das Verhältnis in der Opferzahl im Laufe der Jahre erheblich verändert habe, "von 33 bis 34 Prozent im Jahr 2014 (ein getöteter Zivilist auf zwei getötete ukrainische Soldaten oder Mitglieder bewaffneter Gruppen) auf 4 bis 5 Prozent in den Jahren 2019 bis 2020 (ein durch Artillerie, Kleinwaffen und leichte Waffen sowie durch Minen getöteter Zivilist auf 20 bis 22 unter denselben Umständen getötete ukrainische Soldaten oder Mitglieder bewaffneter Gruppen)", so die UNO.
Diese Statistik ist trotzdem nicht vollständig, und zwar auf ganz erhebliche Art und Weise. Denn sie gibt nicht an, wie die Verantwortung für den Tod von Zivilisten und Zerstörungen der zivilen Infrastruktur zwischen den Konfliktparteien verteilt wird. In den Jahren 2014 bis 2015 starben monatlich Hunderte Menschen im Rebellengebiet vor den Augen der ganzen Welt durch Geschosse und Bomben der ukrainischen Armee. Man kann also stark davon ausgehen, dass die meisten zivilen Opfer des Krieges auf das Konto des ukrainischen Militärs gehen.
Das bestätigen Statistiken aus dem jüngsten UNO-Bericht zur Situation der Menschenrechte in der Ukraine, der Ende September in Kiew vorgestellt wurde. Diese enthalten zumindest die Angaben, von welchem Territorium die zivilen Opfer des Konflikts in der Periode vom 1. Februar bis zum 31. Juli stammen. Sie stellen fest, dass es in diesem Zeitraum 62 Opfer gab – 15 Tote und 47 Verwundete, 51 Prozent mehr als in den vorangegangenen sechs Monaten.
Dabei ereigneten sich 81 Prozent der Todesfälle in nicht von der Regierung kontrollierten Gebieten. Die Zahlen für den Beschuss der Zivilbevölkerung sind genau dieselben: Mehr als 80 Prozent der Einschläge erfolgten auf dem Gebiet der nicht anerkannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk.
"Insgesamt ist es eine sehr aufschlussreiche Statistik darüber, wer wen beschießt", schlussfolgert dazu das ukrainische Nachrichtenportal Strana.
Die Statistik zeigt auch, dass die überwiegende Mehrheit der zerstörten zivilen Einrichtungen in den von der Regierung nicht kontrollierten Gebieten liegt. "Zehn Vorfälle betrafen Stromversorgungseinrichtungen, sieben betrafen Bildungseinrichtungen, sechs betrafen Wasser- und Sanitäreinrichtungen, drei betrafen die Gasversorgung und einer betraf eine medizinische Einrichtung", heißt es in dem Bericht. Diese Daten belegen eindeutig, dass die ukrainische Armee die lebensnotwendigste Infrastruktur gezielt unter Beschuss nimmt.
Auch weitere Angaben im Bericht lassen einen der engsten NATO- und EU-Partner, die Ukraine, nicht in einem günstigen Licht erscheinen. So werden dem ukrainischen Sicherheitsdienst SBU Folter und willkürliche Festnahmen vorgeworfen. Die UNO benennt die Schließung mehrerer TV-Sender auf Präsidentenbeschluss als Angriff auf Pressefreiheit, neue Rada-Gesetze zu den "okkupierten Territorien" im Donbass sowie Exzesse der Ukrainisierung werden ebenso kritisiert.
Obwohl die meisten zivilen Opfer des Konflikts vor allem in seiner besonders heißen Phase in den Jahren 2014 bis 2015 starben, findet die Aufschlüsselung der Opfer nach den Gebieten nur in den Berichten der letzten Jahre statt. Auch im Jahr 2019 (vom 16. Mai bis zum 16. August) ergab der Hinweis auf den mutmaßlichen Schuldigen ein Verhältnis von 22 zu 78 Prozent zu Lasten des ukrainischen Militärs.
Dieses Verhältnis könnte noch krasser ausfallen, wenn man bedenkt, wie die Opferstatistik in dem von Kiew kontrollierten Territorium zustande kommt. So handelt es sich in einer OSZE-Zusammenfassung aus dem Jahr 2020 um fast die Hälfte der Fälle um Tote oder Verletzte, die durch Minen und nicht explodierte Sprengkörper und nicht durch das Feuer der Volksmiliz verursacht wurden.
Die Beobachtungsmission der OSZE ist diejenige internationale Organisation, die mit der Dokumentierung der Waffenruheverletzungen beauftragt ist. Doch sie unterscheidet systematisch nicht zwischen den Gebieten und führt Statistiken gemischt zusammen, ohne die Standorte der Opfer oder die Urheber der Angriffe anzugeben. Quellen in der Trilateralen Kontaktgruppe zur Donbass-Regulierung zufolge erfolgt das auf Drängen der ukrainischen Seite. In den Rebellengebieten gilt die OSZE deshalb als nicht vertrauenswürdig.
Ortskenner berichten, dass die Krankenhäuser in Donezk und Lugansk deshalb nicht alle Opfer der Mission melden. Das deutet auf eine Dunkelziffer hin. So weist eine Analyse darauf hin, dass die OSZE in ihren Berichten darum bemüht ist, dass die ukrainische Seite besser davonkommt. Das sollte nicht verwundern, wenn man die Zusammensetzung der über 1.300 OSZE-Mitarbeiter in der Ukraine anschaut – ca. 90 Prozent von ihnen stammen aus der Ukraine, NATO-Staaten oder deren Verbündeten. Angesichts der Tatsache, dass viele, vor allem ältere Leute entlang der Trennlinie unter dem drohenden Beschuss der ukrainischen Einheiten wohnen und wegen zerstörter Infrastruktur, bitterer Armut und fehlender medizinischer Versorgung früher sterben müssen, gibt es vor allem im Rebellengebiet mehr indirekte Opfer des Krieges, die als solche nicht erfasst sind.
Es stellt sich die Frage, warum die offiziellen Statistiken zum Konflikt bis heute nicht auf solch wichtige Faktoren wie die Verantwortung für den Tod von Zivilisten aufgeschlüsselt sind. Die erste Annahme ist, dass wenn diese Verluste bewusst so undifferenziert auf einen Haufen geworfen werden, dann könnte das zumindest ein Zeichen dafür sein, dass es sich um einen Bürgerkrieg handelt, bei dem beide Seiten die gleiche moralische Verantwortung für die Opferlast tragen.
Doch das ist nicht der Fall. Denn selbst diejenigen Top-Politiker im Westen, die als Vermittler im seit vielen Jahren schleppenden Minsker Friedensprozess auftreten, weigern sich, den Donbass-Krieg als Bürgerkonflikt zu benennen. Das machte Kanzlerin Merkel bei ihren Visiten in Moskau und Kiew im August noch einmal deutlich und beschuldigte erneut Russland der Fortsetzung des Krieges – obwohl die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages zu dem Schluss kommen (Stand Dezember 2019), dass der Konflikt in der Ukraine klassische Züge eines nicht-internationalen (internen) bewaffneten Konflikts aufweist.
Einzelne Juristen machen den Anfang des Bürgerkrieges bereits an den Ausschreitungen und den Kämpfen mit der Polizei auf dem Kiewer Maidan Anfang 2014 fest. "Auf dem Maidan wurde eine bürgerkriegsähnliche Konfliktsituation unter ausländischer Beteiligung (westlicher Mächte) ausgelöst", schreibt etwa der Berliner Völkerrechtler Herwig Roggemann in seinem Buch zum Ukraine-Konflikt.
Solche Stimmen werden vom medialen Mainstream aber ignoriert und von der Politik kaum wahrgenommen. Das spricht erneut für die Tatsache, dass Deutschland und der Westen insgesamt das ukrainische Militär als eigene militärische Hilfstruppe im Konflikt mit Russland betrachten. Besuche deutscher Top-Politiker wie Robert Habeck von den Grünen mit Fototerminen in Helm und Schutzweste bestätigen das. Interesse an einer friedlichen Beilegung des Konflikts sieht anders aus. Und so fällt auch die dringendste Frage bei allen Kriegen – die Opferfrage – den Gesetzen der Kriegspropaganda zum "Opfer", was Verdrehung und Manipulation Tür und Tor öffnet.
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