Lateinamerika

Millionen Kubaner beteiligen sich an Verfassungsreform – Homo-Ehe stark umstritten

Die Vorbereitungen für die Volksabstimmung über die neue Verfassung in Kuba laufen auf Hochtouren. Nach einem monatelangen Diskussionsprozess in der Bevölkerung liegt das Ergebnis nun in Händen der acht Millionen Stimmberechtigten. Sie haben das letzte Wort.
Millionen Kubaner beteiligen sich an Verfassungsreform – Homo-Ehe stark umstrittenQuelle: Reuters

von Maria Müller

Das Referendum über die neue Verfassung findet am 24. Februar statt. Acht Millionen Wähler sind aufgerufen, sich daran zu beteiligen. Zum ersten Mal werden auch kubanische Emigranten über Botschaften und Konsulate in aller Welt mitmachen. 

Falls der nun endgültige Text der "neuen Magna Carta" im Referendum angenommen wird, ersetzt er die seit 1976 geltende Grundordnung. Am 22. Dezember hat das kubanische Einkammerparlament nach einem dreimonatigen öffentlichen Konsultationsverfahren den Text gebilligt. Das Wählerverzeichnis erfasst alle kubanischen Bürger ab 16 Jahren. Ausländer können laut den Regeln der Nationalen Wahlkommission (CEN) nach zweijährigem Aufenthalt auf der Insel ebenfalls wählen. Mario Méndez, der Leiter des Zivilregisters, erklärte: 

Wählen ist eine Bürgerpflicht. Das Wahlrecht ist in Kuba verfassungsgemäß garantiert. Es wird freiwillig im Rahmen der gesellschaftlichen Gleichheit aller Bürger ausgeübt.

Die Wahllisten befinden sich gut sichtbar in der Nähe der Wahllokale, damit die Bürger überprüfen können, ob ihre persönlichen Daten korrekt eingetragen sind. Im Vorfeld der Wahlen läuft eine breite Kampagne, damit die Bürger die eigenen Daten überprüfen und wenn nötig bei der Wahlbehörde aktualisieren. Dafür sind zurzeit in ganz Kuba 189 Büros eingerichtet. Dort können die Menschen Unstimmigkeiten berichtigen und sich informieren.

Bisher zirkulieren 3,1 Millionen gedruckte Exemplare des neuen Verfassungstextes in der Öffentlichkeit. Seine digitale Version kann von den Webseiten verschiedener Ämter heruntergeladen werden. Der endgültige Entwurf besteht aus 229 Artikeln. Der ursprünglich von der Satzungskommission unter Vorsitz des früheren Präsidenten Raúl Castro vorgeschlagene Text wurde nun an 760 Stellen abgeändert. Das bedeutet, dass 60 Prozent des ursprünglichen Entwurfs umgeschrieben wurden: ein unumstößlicher Beweis für die aktive Teilnahme der Bevölkerung an diesem umfangreichen, komplexen Befragungs- und Diskussionsprozess. (Die wichtigsten Änderungen hier im Originaltext.)

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Homero Acosta, der Vorsitzende des Staatsrates, informierte am 18. Dezember das Parlament darüber, wie massenhaft sich die Kubaner an den Debatten beteiligten:

Zwischen August und November gab es 133.681 Bürgertreffen, an denen insgesamt 8.945.521 Personen teilnahmen. Dabei wurden 783.174 Vorschläge eingebracht (666.995 Korrekturen, 323.149 Zusätze, 45.548 Löschungen und 38.482 Zweifel). Die Auslandskubaner brachten 2.125 Vorschläge ein.

Die Kommunistische Partei Kubas wird als "führende Kraft der Gesellschaft" beibehalten. Der Text ratifiziert den Kommunismus als anzustrebendes gesellschaftliches Ziel. Dieser Begriff war im ersten Entwurf von der Satzungskommission durch das Wort "Sozialismus" ersetzt worden, doch nach den Diskussionen unter den Bürgern hat man ihn wieder eingesetzt.

Der wirtschaftliche Reformkurs der beiden Regierungsperioden von Raúl Castro (2008-2018) soll beibehalten und weiter gefördert werden. Verschiedene Formen des Eigentums, darunter das Privateigentum sowie das Gemeinschaftseigentum in Form von Kooperativen, sind grundsätzlich anerkannt, doch gleichzeitig sollen die unsozialen Exzesse des Kapitalismus vermieden werden.

Vor allem die Bodenschätze, die Agrar-, Forst- und Naturschutzgebiete sind unveräußerlicher Besitz des Volkes und sollen produktiv verwendet werden. Allerdings kann das Parlament solche Besitzrechte in Ausnahmefällen verändern. Der Schutz der Ernährungssicherheit ist Regierungspflicht, das Recht auf gesunde Nahrungsmittel ist ein Grundrecht.

Heiß debattiert: Gleichgeschlechtliche Ehe

Die gleichgeschlechtliche Ehe und das Recht homosexueller Ehepartner auf Adoption war eines der stark umstrittenen Themen in der öffentlichen Diskussion. Die Satzungskommission hatte ursprünglich einen Artikel vorgeschlagen, der das Konzept der Ehe neu definierte. Damit sollten die Weichen für eine künftige juristische Gleichheit der homosexuellen Lebensgemeinschaft gestellt werden.

Doch eine Mehrheit der debattierenden Bevölkerung lehnte den neuen Artikel ab. Er wurde von 192.408 Personen schriftlich kommentiert, das sind 24,57 Prozent der insgesamt eingereichten Kommentare beziehungsweise Einsprüche gegen den bisherigen Konstitutionstext. Außerdem widmeten sich die Bürger in 8.866 Versammlungen diesem neuen Ehekonzept, das waren insgesamt 66 Prozent der Diskussionsbeiträge.

Die Vertreter der katholischen und evangelischen Kirchen, allen voran die Methodisten, sprachen sich für die "ursprüngliche Ehe und Familie" aus, wie sie in der Bibel angeblich zum Ausdruck komme. Es gab einen regelrechten "Krieg der Plakate", auf denen sich die unterschiedlichen Sichtweisen zu diesem Thema darstellten. Aktivisten der LGBT-Gemeinschaft und ein Teil der kubanischen Gesellschaft verteidigten die Rechte der Schwulen und Lesben und entwickelten ihrerseits Kampagnen für die juristische Gleichstellung der Homo-Ehe.

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Der kubanische Schriftsteller und Künstler Miguel Barnet sagte dazu:

Wir eröffnen eine neue Ära, das ist eine dialektische und moderne Verfassung. Und wenn wir die Traditionen einreißen müssen, werden wir das tun. Die Liebe hat kein Geschlecht. Im Sozialismus ist kein Platz für irgendeine Art von Diskriminierung unter den Menschen.

Ein Beitrag auf Twitter brachte eine dritte, in Kuba ebenfalls weitverbreitete Position zum Ausdruck: "Die Welt steht auf dem Kopf. In Kuba hat die Mehrheit der Paare ein ganzes Leben lang zusammengelebt und sich nie darum gekümmert, zu heiraten. Und jetzt wollen die Homo-Paare unbedingt heiraten ..."

Diese Tradition ist ebenfalls in der neuen Verfassung vertreten. Der Staat erkennt die faktische Lebensgemeinschaft an, die mit der Ehe juristisch gleichzusetzen ist. Die Satzungskommission zog aus den manifesten Widersprüchen die Konsequenzen und veränderte den Text. Sie erklärte:

Die Mehrheit schlug vor, die im Art. 68 gebrauchten Worte 'Verbindung zwischen zwei Personen' zu ersetzen und wieder zu der Formel 'die Verbindung zwischen einem Mann und einer Frau' zurückzukehren, wie sie in der bisherigen Konstitution verankert ist.

Im neuen Text steht nun ein Artikel über die Familie, in dem Rechte und Verantwortungen sowie "das Recht jedes Bürgers, eine Familie in verschiedenen Formen zu gründen", benannt werden. Die Debatte wird weitergehen und sich in dem neuen Familiengesetzbuch niederschlagen, das im Jahr 2020 dann mittels eines neuerlichen Referendums verabschiedet werden soll. 

Das Prinzip der Gleichberechtigung und das Diskriminierungsverbot erhalten nun Verfassungsrang, besonders in Bezug auf Alter und Geschlechtsidentität, ethnische Zugehörigkeit und territoriale Herkunft. Besonders die Frauen sollen gegen Gewalt in ihren unterschiedlichen Formen geschützt werden.

Die persönlichen Rechte werden explizit betont, wie das Recht auf eine freie Entwicklung der Persönlichkeit, auf Privatleben, auf das eigene Bild und die eigene Stimme, die persönliche Identität und die Reisefreiheit. Das Recht auf Zugang zur öffentlich-staatlichen Information, das Recht auf einen gesunden und sicheren Lebensraum und das Recht auf eine saubere Umwelt sind ebenfalls mit dabei.

Das Verbot der Folter, der grausamen oder erniedrigenden Strafen und des gewaltsamen Verschwindenlassens von Personen hat nun auch Verfassungsrang. Die Normen der von Kuba unterzeichneten internationalen Verträge sollen in das nationale Rechtssystem integriert werden, wobei jedoch die Regelungen der kubanischen Verfassung Vorrang haben.

Zahlreiche neue und aktualisierte Konzepte des Entwurfs machen diese kubanische Verfassung zu einer der modernsten und fortschrittlichsten in ganz Lateinamerika. Der kollektive Prozess ist ein Beispiel für partizipative Demokratie, auch für Europa. Er vertieft in der kubanischen Einwohnerschaft das Zugehörigkeitsgefühl zu ihrem Staat und ihrer Regierung, entgegen allen anderslautenden Behauptungen.

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