Ökonom Dr. Thorsten Polleit im Interview mit RT: Wer Geld hält, wird ärmer
Dr. Thorsten Polleit ist Wirtschaftswissenschaftler. Er ist Chefvolkswirt bei Degussa Goldhandel und Präsident der deutschen Abteilung des libertären Ludwig von Mises Instituts (Ludwig von Mises Institut Deutschland) und Honorarprofessor an der Universität Bayreuth.
Polleit ist Anhänger der Österreichischen Schule der Nationalökonomie – insbesondere in der Ausprägung, die auf den Arbeiten von Ludwig von Mises aufbaut – und sieht den Staat als Quelle wirtschaftlicher, sozialer und politischer Störungen an. Er vertritt zusammen mit Hans-Hermann Hoppe die Position, dass der Staat "ethisch-freiheitlich inakzeptabel" sei und "alle seine Tätigkeiten" sich "privatisieren beziehungsweise im Zuge freier Marktaktivitäten bereitstellen" ließen.
Die Kernursache der internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise identifiziert er im Papier- beziehungsweise Fiat-Geldsystem. Dieses ist aus Polleits Sicht unmittelbare Folge einer Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung, in der der Staat und die von ihm begünstigten Gruppen danach streben, die Einkommens- und Vermögensumverteilung nicht dem freien Markt, sondern politischen Entscheidungen zu überlassen.
Wir hatten kürzlich die Gelegenheit, Dr. Polleit eine Reihe von Fragen zu digitalen nationalen Währungen und deren möglichen Auswirkungen auf Bankkunden und die Gesellschaft insgesamt zu stellen.
Die BaFin will künftig Bargeldeinzahlungen erschweren – bei Gelegenheitskunden ab 2.500 Euro und bei Stammkunden ab 10.000 Euro. Sehen Sie dies als Stigmatisierung für das Bargeld an? Wenn ja, warum?
Die politische Intention dieses Vorstoßes ist unmissverständlich: Die Verwendungsmöglichkeit des Bargeldes soll weiter eingeschränkt, sein Gebrauch entmutigt werden. Das hat System.
Schon heute muss derjenige, der auf Auslandsreisen 10.000 Euro oder mehr an Bargeld mit sich führt, den Betrag beim Zoll anmelden. Seit 2019 gibt die Europäische Zentralbank keine 500-Euro-Scheine mehr heraus. Das wirft ein negatives Licht auf diesen Schein. Größere Bargeldbeträge darzustellen wird ohne ihn zudem aufwendiger.
Die Politik stellt im Grunde alle, die größere Bargeldbeträge verwenden wollen, unter Generalverdacht. Das Beweisrecht wird auf den Kopf gestellt, die Beweislast umgekehrt: Nicht der Staat, der einen Verdacht ausspricht, muss Beweise vorlegen, sondern die Beweislast soll derjenige tragen, der pauschal verdächtigt wird.
Ja, das ist eine Stigmatisierung, vor allem unrechtmäßig.
Welche Gefahren birgt der digitale Zahlungsverkehr gegenüber dem mit Bargeld?
Beide Zahlungsarten haben ihre Vor- und Nachteile.
Die Menschen verwenden Bargeld, weil es bequem und vorteilhaft für bestimmte Transaktionen ist. Es ist zudem anonym, wahrt die Privatsphäre derjenigen, die nicht möchten, dass ihre Käufe und Verkäufe von anderen eingesehen werden. Und Bargeld kann sprichwörtlich nicht pleitegehen wie Guthaben bei Banken. Bargeld ist so gesehen auch eine Art Versicherung gegen Bankzusammenbrüche.
Digitale Zahlungen sind einfach und bequem für viele Geschäfte, sind aber auch mit Kosten verbunden. Und sie hinterlassen Spuren, sind nachvollziehbar für Dritte. Das eröffnet Missbrauchsmöglichkeiten. Vor allem durch den Staat. Er kann seine Bürger leicht ausspionieren, indem er die Banken beauftragt, ihm die gewünschten abgespeicherten Zahlungsinformationen zu übermitteln.
Anfügen darf ich hier, dass aus meiner Sicht die Geldwäsche-Problematik das Zurückdrängen, das Abschaffen des Bargeldes nicht rechtfertigen kann. Dazu gibt es zu wenige, wirklich belastbare Zahlen. Die Problematik wird aus meiner Sicht vielmehr instrumentalisiert, um gegen das Bargeld vorzugehen.
Welche sozialen Konsequenzen drohen mit einem eventuellen Wegfall von Bargeld als Zahlungsmittel?
Viele Zentralbanken der Welt sind drauf und dran, sogenanntes "digitales Zentralbankgeld" auszugeben. Das wird nicht nur dem Bargeld Konkurrenz machen, sondern auch dem Geschäftsbankengeld.
Wer ein Guthaben bei einer Geschäftsbank hat, der soll es künftig jederzeit eins zu eins in digitales Zentralbankgeld eintauschen können; die finanzielle Privatsphäre dürfte dadurch noch stärker unter die Räder kommen. Gleichzeitig versichern die Zentralbanken dadurch die Geschäftsbanken de facto gegen Zahlungsausfälle, und so werden auch noch die letzten verbliebenen privatwirtschaftlichen Elemente aus dem Geld- und Kreditsystem gedrängt. Der Staat übernimmt das Geld- und Kreditwesen vollends.
China deutet an, wohin die Reise geht. Beispielsweise lässt sich mit einem "Social Credit System" sicherstellen, dass nur regierungstreue Menschen ein Konto erhalten; oder nur Unternehmen bekommen Kredit, die CO2-freundlich produzieren, keine ungeimpften Personen einstellen und so weiter.
An diesen Befürchtungen erkennt man vielleicht bereits: Das staatliche Geldmonopol ist unvereinbar mit der Freiheit der Einzelnen. Vielen Menschen ist das vermutlich noch nicht klar, und wenn sie es nicht bald erkennen, wird es wohl ein böses Erwachen geben, fürchte ich.
Was würde mit den Einlegern passieren, wenn wir zu einem vollständigen digitalen Währungssystem wechseln? Verlieren wir dann die Kontrolle und müssen alle Maßnahmen der Zentralbanken und Geschäftsbanken akzeptieren, die sie in Bezug auf die Geldpolitik ergreifen?
Das Problem ist nicht ein vollständiges digitales Währungssystem. Das Problem ist vielmehr ein vollständig digitalisiertes Währungssystem, das der Staat monopolisiert. Leider zeichnet sich genau das ab.
Die Staaten streben die vollständige Hoheit über das Geld an. Bargeld ist ihnen ein Dorn im Auge, weil es den Geldverwendern eine gewisse Autonomie gewährt, die der Allmacht des Staates Grenzen setzt. Solange Bargeld noch verfügbar ist, haben die Menschen die Möglichkeit, staatlichen Repressionen zumindest teilweise auszuweichen – indem sie ihre Transaktionen bar und anonym abwickeln. Der Staat kann sich also nicht zu schlecht gegenüber seinen Untertanen gebärden.
Ohne Bargeld gibt wird aber die letzte Zurückhaltung des Staates fallen. Denn dann gibt es kein Entkommen mehr für die Bürger und Unternehmer. Vielleicht ist es gar nicht mal übertrieben, wenn man sagt: Ohne Bargeld steht der Weg in die Tyrannei offen.
Werden wir NIRP (Negativzinsen) ohne Regressmöglichkeit akzeptieren müssen?
Es gibt unter Ökonomen eine angeregte Diskussion, ob Null- oder Negativzinsen gut oder schlecht sind. Ich gehöre zu denen, die die Auffassung vertreten, dass Null- und Negativzinsen im wahrsten Sinne des Wortes unnatürlich sind und dass sie schwere volkswirtschaftliche Schäden verursachen.
Die derzeitigen Null- und Negativzinsen sind aus der Stunde der Not geboren: Das staatliche ungedeckte Geldsystem hat weltweit für den Aufbau einer gewaltigen Schuldenpyramide gesorgt. Regierende und Regierte meinen, man könne der Überschuldungssituation Herr werden, indem man die Zinsen in realer Rechnung unter die Nulllinie treibt. Das aber führt absehbar zu immer ungehemmterer Geldmengenausweitung, zu Preisinflation und damit Geldentwertung.
In Deutschland ist die reale Rendite für zehnjährige Staatsanleihen seit mehr als zehn Jahren negativ. Ich befürchte, es wird noch viel schlimmer für die Sparer kommen, wenn kein weitreichendes Umdenken einsetzt.
Sollten Einleger diese Konsequenz als Gegenleistung für das Versprechen der "Bequemlichkeit" akzeptieren?
Jeder, der Geld hält, ob nun Bargeld oder Bankguthaben, sollte wissen: Die Zentralbanken sind dabei, die Kaufkraft von US-Dollar, Euro und Co. herabzusetzen. Wer Geld hält, wird ärmer, das ist so sicher wie das Amen in der Kirche.
Für Anleger ist dringend geboten, nach Alternativen Ausschau zu halten. In diesem Zusammenhang würde ich nicht von Verlockungen der "Bequemlichkeit" sprechen, sondern vielmehr von der Folge mangelnden Wissens.
Zum einen ist vielen Menschen vermutlich nicht klar, wie das Geldsystem funktioniert und wie es ihre Vermögensposition untergräbt. Zum anderen wird nicht erkannt, dass die Gesellschaften eines der drängendsten Probleme der Zeit erkennen und in den Griff bekommen müssen: Eine freie Wirtschaft und freie Gesellschaft sind unverzichtbar für Frieden und Wohlstand, national wie international. Das staatliche Geldmonopol ist damit jedoch nicht vereinbar, es zerstört sie über kurz oder lang.
Ich sehe nur einen überzeugenden Lösungsweg: die Privatisierung, die Entstaatlichung des Geldes, das Beenden des staatlichen Geldmonopols.
Vielen Dank für das Gespräch.
Mehr zum Thema - EU gibt Rekordsummen für Wiederaufbau aus – Spanien weiß nicht, wohin mit dem Geld
Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.