Russland

"Angst vor einem einzelnen Regiment?" – Militäranalyst über den angeblichen "russischen Einmarsch"

Die "russische Invasion" in der Ukraine ist in westlichen Medien das außenpolitische Thema Nummer eins. Ob diese Vorwürfe aus militärischer Sicht Sinn machen, hat der russische Oberst im Ruhestand und ehemaliger Generalstabsoffizier Michail Chodarjonok analysiert.
"Angst vor einem einzelnen Regiment?" – Militäranalyst über den angeblichen "russischen Einmarsch"Quelle: Sputnik © Sergei Piwowarow

Eine Analyse von Michail Chodarjonok

Am 11. Januar begannen etwa 3.000 Soldaten des Westlichen Militärbezirks mit Militärübungen auf den kombinierten Waffenübungsplätzen in den Gebieten Woronesch, Belgorod, Brjansk und Smolensk, nicht weit von der Grenze Russlands zur Ukraine und zu Weißrussland. Der Schritt war für den Westen eine Quelle der Besorgnis, vorneweg bei den USA, die eine Stellungnahme Russlands zu den Übungen einforderten.

Bei den Übungen werden bis zu 300 Einheiten militärischer Ausrüstung eingesetzt, darunter T-72B3-Panzer und BMP-2-Schützenpanzer. Aber ist das viel? Erinnern wir uns, dass die Stärke eines Regiments von motorisierten Schützen im Kriegsfall etwa 2.500 Mann beträgt, während 300 Panzer und Schützenpanzer weit unterhalb der Stärke einer regulären Panzerdivision liegen. Daher können wir mit Sicherheit sagen, dass die Übung in den westlichen Regionen Russlands mit nichts anderem als dem Äquivalent eines verstärkten Regiments motorisierter Schützen durchgeführt wird.

Ein einzelnes Regiment sollte – und kann – keine großen geopolitischen Spannungen verursachen. Zudem ist jede militärische Ausbildungstätigkeit mit einem erheblichen Aufwand an materiellen Ressourcen verbunden. Daher werden Übungen in der Regel gemäß dem operativen Ausbildungsplan der russischen Streitkräfte sowie den individuellen Ausbildungsplänen der fünf russischen Militärbezirke durchgeführt. Es wäre höchst ungewöhnlich, separate Militärübungen ohne vorherige Planung abzuhalten.

Nun zur traditionell im Westen für Aufregung sorgenden geografischen Nähe der Übungsgebiete an den Westgrenzen Russlands: Fakt ist, dass militärische Übungseinsätze ausschließlich auf bereits bestehenden Übungsplätzen durchgeführt werden, die im europäischen Teil Russlands dünn gesät sind. Außerdem übersteigt ihre maximale Aufnahmekapazität selten die Stärke eines Regiments. Darüber hinaus ist die Schaffung neuer Übungsplätze in absehbarer Zeit unwahrscheinlich, da in den westlichen Regionen dafür kaum Flächen zur Verfügung stehen und diese mit erheblichen Problemen bei der Ausübung der Hoheitsgewalt (Landerwerb) verbunden sind. Daher wäre die wiederholte Forderung des Westens, keine Übungen in der Nähe der russischen Westgrenzen abzuhalten, für Moskau selbst dann schwer zu erfüllen, wenn es dem zustimmen wollte, da Russland in diesem Teil des Landes einfach keine Alternativen hat.

Am Dienstag sagte der Sprecher des US-Außenministeriums Ned Price, Washington erwarte, dass Russland im Hinblick auf die Militärübungen "nahe der Grenze zur Ukraine" einige Klarstellungen liefert oder sie ganz einstellt – als Teil der Bemühungen, die Spannungen rund um die Ukraine zu abzubauen.

"Eine Deeskalation in diesem Zusammenhang würde erfordern, dass russische Truppen in ihre Kasernen zurückkehren und diese Übungen entweder erklärt oder eingestellt werden, damit diese schweren Waffen an ihre regulären Standorte zurückkehren", sagte Price. Wendy Sherman, stellvertretende US-Außenministerin, die an der Spitze der US-Delegation bei den russisch-US-amerikanischen Konsultationen über Sicherheitsgarantien in Genf gestanden hatte, sagte, dass Russland durch die Rücksendung der an der Grenze zur Ukraine stationierten Truppen in ihre Kasernen beweisen könne, dass es keinen Plan gebe, in die Ukraine einzumarschieren. Russland wies seinerseits darauf hin, dass seine Truppen auf dem Staatsgebiet des Landes stationiert seien. Laut Außenminister Sergei Lawrow treibt es der Westen mit seinen Forderungen auf die Spitze.

"Wir lehnen diese Entwicklungen kategorisch ab, bei denen wir aufgefordert werden, auf unserem eigenen Boden Truppen zurück in ihre Kasernen zu schicken, während sich gleichzeitig die Amerikaner, Kanadier und Briten fast dauerhaft in Osteuropa eingerichtet haben – unter dem Deckmantel einer regelmäßigen Rotation der Truppen in den baltischen Staaten und in den Ländern Nordeuropas –, und sie schaffen Militärstützpunkte rund um das Schwarze Meer. Darüber hinaus bauen die Briten eine Basis in der Ukraine auf: Sie errichten eine Basis im Asowschen Meer", sagte Lawrow bei einer Medienkonferenz am vergangenen Freitag. "Das ist ein unstatthaftes Vorgehen."

In den vergangenen Monaten hatten USA und NATO Russland wiederholt vorgeworfen, eine Invasion in der Ukraine zu planen. In den Medien wurden sogar konkrete Daten genannt, wann die russischen Truppen angeblich zuschlagen werden. Allerdings blieb man für diese Behauptungen die Beweise schuldig.

Betrachten wir nur zwei Beispiele. Beispiel Nummer eins: Wenn es eine militärische Operation gegen die Ukraine geben sollte – hypothetisch –, bezöge sie unweigerlich die russischen Luft- und Raumfahrtstreitkräfte ein, da sich die Kriegsführung im 21. Jahrhundert nicht nur auf motorisierte Infanterie und Panzer verlassen kann und über weitaus fortschrittlichere Mittel verfügt.

Wenn also die russischen Luft- und Raumfahrtstreitkräfte beteiligt werden sollten, müssten wir über ihre Beteiligung in Bezug auf militärische Missionen sprechen, die sie auszuführen hätten, sagen wir, 30 Missionen pro Regiment – und das in den frühen Stadien dieses hypothetischen Konflikts.

Um diese Missionen durchzuführen, müssten alle vorgelagerten Flugplätze der russischen Luft- und Raumfahrtstreitkräfte sowie Luftwaffenstützpunkte über eine ausreichende Versorgung mit Flugabwehr, Munition, Treibstoff, Ausrüstung, Lebensmitteln und anderen materiellen Ressourcen ausgestattet sein. Es ist schwer vorstellbar, wie viele Bomben jedes Regiment für diese 30 Missionen benötigen würde. Das wären Hunderte Tonnen Munition, ohne Übertreibung. Wir müssten auch noch unzählige Kisten mit Munition für die Flugabwehr und die Bordkanonen der Flugzeuge dazuzählen. Eine moderne Nachrichtenaufklärung, ausgestattet mit Spionagesatelliten und fortschrittlicher Abhörtechnologie, würde niemals diese Menge an Fracht übersehen, die da herumbewegt werden würde.

Beispiel Nummer zwei: Wenn eine solche Operation stattfände, müssten wir auch die Munition für alle Artillerie- und Raketensysteme mit einrechnen. Für nur eine Mission würden fünf bis sechs Standardmunitionsausstattungen pro Waffe benötigt. Allein die Standardmunitionsausstattung für eine 152-Millimeter-Haubitze besteht aus 60 Granaten.

Jede Granate kommt in einer eigenen Box. Also kommen sechs Standardmunitionsausstattungen in insgesamt 360 großen Holzkisten. Jedes selbst fahrende Artillerieregiment trägt 54 solcher Geschütze. Sie können sich jetzt die Anzahl und der Umfang aller Munitionskisten vorstellen, die erforderlich wären, um nur ein Artillerieregiment während einer Mission zu bedienen.

Bleiben wir realistisch, keine militärische Operation ist jemals so kurz. Wenn man wirklich loslegen wollte, müsste jedes Regiment über genügend Munition verfügen, um mindestens 30 Tage im Einsatz zu bleiben – vorausgesetzt, wir sprechen über eine schwere militärische Operation. Somit müsste bereits jetzt eine gewaltige logistische Operation im Gang sein, um all diese Munition über Schienenwege heranzukarren.

Allein diese beiden Beispiele geben eine Vorstellung davon, wie auch nur ein Bruchteil der materiellen Unterstützung aussehen müsste, die erforderlich wäre, um eine ernsthafte Offensive aufrechtzuerhalten. In Wirklichkeit jedoch, lägen die Mengen sehr viel höher, den eine Unterstützung durch die genannten schweren Waffen wäre für den Erfolg jeder Militäroperation unerlässlich. Darüber hinaus sind nicht nur der Einsatz und der möglichen Verluste von Ausrüstung im Kampfeinsatz zu berücksichtigen, sondern auch die Materialreserven, die bis für das Ende des Einsatzes aufgebaut werden müssen.

Und da niemand solche massiven Vorbereitungen am Boden durch Satellitenüberwachung tatsächlich beobachten kann, gibt es auch keinen Grund zu der Annahme, dass Russland sich in irgendeiner Weise darauf vorbereitet, bald einen Krieg zu beginnen.

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Übersetzt aus dem Englischen.

Michail Chodarjonok ist Militärkommentator für rt.com. Er ist ein Oberst im Ruhestand. Er diente als Offizier in der Hauptdirektion des Generalstabs der russischen Streitkräfte.

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