Russland

Baerbock nur ein Leichtgewicht? – Ein Blick in die russischen Medien

Russische Medien deuten Kritik an Baerbock und Habeck bisher nur an. Offenbar hofft man noch, dass Olaf Scholz die "grünen" Minister in Schach halten kann und will. Die Rede ist von Baerbock als Leichtgewicht, unter dem die deutsch-russischen Beziehungen aber leiden könnten.
Baerbock nur ein Leichtgewicht? – Ein Blick in die russischen MedienQuelle: www.globallookpress.com © Kay Nietfeld / dpa

eine Analyse von Ulrich Heyden, Moskau

Wenn man sich die Reaktionen russischer Politiker und Medien auf die beiden Spitzenpolitiker der Grünen anguckt, die wahrscheinlich nächste Woche als Bundesminister für die Außenpolitik und die Wirtschaft vereidigt werden, kommt man aus dem Staunen nicht heraus. Man könnte erwarten, dass es in diesen Tagen über Annalena Baerbock und Robert Habeck scharfe Kommentare und grimmige Porträts in russischen Zeitungen gibt. Aber bis auf die Komsomolskaja Prawda habe ich keine russische Zeitung gefunden, die den beiden Grünen, welche Nord Stream 2 stoppen und die Ukraine mit Waffen beliefern wollen, die Leviten las.

Fjodor Lukjanow: "Grüne Minister werde ihre Position korrigieren"

Der russische Außenpolitik-Experte Fjodor Lukjanow meint gar, die "grünen" Minister würden ihre Positionen in der Bundesregierung korrigieren müssen, da sie in der Minderheit sind und Olaf Scholz kein Radikaler sondern ein Real-Politiker sei.

"Ich denke, dass dies (die Ernennung von Baerbock zur Außenministerin) in der Praxis für das Projekt nichts bedeutet. 'Nord Stream 2' ist gebaut und betriebsbereit. 'Die Grünen' haben dagegen protestiert, aber erstens haben sie diesen Kampf verloren und zweitens sind sie in einer Regierung, in der zwei Parteien das Projekt unterstützen. Bei einer Beteiligung an einer Koalition muss man sich an die Vereinbarungen halten."

Allerdings steht im Koalitionsvertrag kein Wort zu Nord Stream 2. Es gibt nur einen Satz, der sich unter anderem auch auf "Nord Stream 2" bezieht. Auf Seite 59 unter Randziffer 1923 heißt es: "Für energiepolitische Projekte auch in Deutschland gilt das europäische Energierecht." Nach Meinung der Süddeutschen Zeitung sei die Formulierung "ein deutlicher Hinweis an die EU-Kommission, dass die neue Regierung nicht primär auf der Vollendung der Röhre bestehe."

Wenn man in Brüssel bei Nord Stream 2 das letzte Wort haben wird, könnte das bedeuten – so meint der Autor dieser Zeilen –, dass die Pipeline eben nicht in Betrieb geht. Denn die Politiker in Brüssel zeichneten sich in den letzten Jahren durch einen betont antirussischen Kurs aus. Das EU-Parlament stimmte im Januar wegen der Nawalny-Inhaftierung für einen Baustopp gegen Nord Stream 2. Im September 2019 stimmte das Europäische Parlament für eine Resolution, in der Faschismus und Kommunismus gleichgestellt werden.

Nesawissimaja Gaseta: Habeck und Lindner werden den Ton angeben

Die liberale Moskauer Tageszeitung hat in Bezug auf Habeck und Baerbock eine etwas andere Einschätzung als der Außenpolitik-Experte Lukjanow.

"Der Koalitionsvertrag ist ein Kompromiss dreier verschiedener Kräfte. Es ist kein Zufall, dass die deutsche Nachrichtenagentur n-tv von einer neuen Machtarchitektur in Deutschland schreibt, in der führende Rollen der Vorsitzende der Freien Demokraten Christian Lindner und der Co-Vorsitzende der Grünen-Partei Robert Habeck spielen." Die von ihnen geführten Ministerien seien "Schlüsselministerien jeder Regierung."

Die Antwort auf die Frage, ob diese neue Bundesregierung einen Kurs fortführt, bei dem "die Meinung des Kremls in Berlin gehört und berücksichtigt wird, ist noch offen", schreibt das liberale Blatt.

Hoffnung auf die Sozialdemokraten

Der Leiter des Auswärtigen Ausschusses der Duma Leonid Sluzki meint – wie Fjodor Lukjanow – , dass Baerbock "keine eigenständige Außenpolitik machen kann, die der Linie des Kanzlers widerspricht". Olaf Scholz habe sich "mehrmals eindeutig für die Unterstützung von Nord Stream 2 ausgesprochen".

Als deutsche Sozialdemokraten in der Bundesregierung saßen, habe es sowohl zu sowjetischen als auch zu nachsowjetischen Zeiten stets "die besten Beziehungen mit Deutschland" gegeben.

Wenn man nach dem Koalitionsvertrag geht, so Sluzki, könne man auf eine Verbesserung der Beziehungen zwischen Russland und Deutschland hoffen. Aber für Aussagen über konkrete Verbesserungen sei es "noch zu früh".

Olaf Scholz sei für Russland "ein annehmbarer Kandidat". Aber "wer auch Kanzler in Deutschland ist, die Hände des Kanzlers sind in einem bestimmten Maße abhängig von den USA und der NATO auf der einen und der Europäischen Union auf der anderen Seite".

Warum hält Moskau sich mit Kritik an den "grünen" Ministern zurück?

Warum die russischen Medien und Politiker sich bisher in Bezug auf den Heißsporn Baerbock bedeckt halten, bleibt unklar.  Vielleicht möchte man in Moskau den durchaus möglichen Vorwürfen, der Kreml mische sich in die deutsche Innenpolitik ein, keinerlei Nahrung geben. Vielleicht ist die Zurückhaltung einfach nur der Versuch, das Verhältnis zu Deutschland nicht selbst zu beschädigen, indem man womöglich zwei "grünen Radikalen" zu viel Aufmerksamkeit spendet.

Deutschland hat aus russischer Sicht eine Schlüsselrolle bei der Bewahrung des Friedens in Europa. Und wenn es auch nur eine kleine Chance gibt, dass die neue Bundesregierung gegenüber Russland nicht heftiger agiert als die Regierung unter Merkel, wäre aus russischer Sicht schon viel gewonnen.

Baerbock nur ein Leichtgewicht?

Im Kreml hat man wohl registriert, dass Baerbock völlig unerfahren ist und als Ministerin abhängig sein wird von ihrem verbeamteten Staatssekretär und weiteren professionellen Beratern. Aber für die Kräfte in den USA, welche Westeuropa und Deutschland in einen Kriegskurs gegen Russland führen wollen, ist Unerfahrenheit sogar ein Vorteil. Man sieht es an der Ukraine, wo der politisch unerfahrene Schauspieler Wladimir Selenskij schon seit über zwei Jahren Präsident ist und das Land in einen immer schärferen Konflikt mit Russland treibt. Obwohl die Bevölkerung weiter verarmt, gibt es in der Ukraine dennoch keine sozialen Unruhen.  

Der stellvertretende Leiter des Moskauer Europa-Instituts, Wladislaw Below, stellte fest, Baerbock habe nicht die nötige Erfahrung und das Wissen, um das deutsche Außenministerium zu führen. Below, der auch das "Zentrum für deutsche Forschungen" leitet, erklärte gegenüber der Nachrichtenagentur TASS:

"Sie passt überhaupt nicht, aber sie bekommt den Posten. Leider ist es so. Die Beziehungen zwischen Deutschland und Russland werden darunter natürlich leiden. Sie ist keine Diplomatin, sie kennt sich nicht aus in der Außenpolitik und sie ist negativ gegenüber Russland eingestellt."

Bisher gibt es auch keine russischen Prognosen, wie sich der Personalwechsel in Berlin auf den Donbass-Konflikt auswirken wird.

"Die russisch-deutschen Beziehungen waren bisher das Bindeglied bei den Gesprächen über den Konflikt in der Ostukraine. Aber diese Konfiguration kann sich bald ändern, weil Angela Merkel ihren Posten am 6. Dezember verlässt und ein neuer Kanzler antritt", schreibt das liberale russische Internetportal gaseta.ru.

Und wirklich fürchterliche Sätze im Koalitionsvertrag haben russische Experten bisher gar nicht kommentiert, wie etwa diesen Satz: "Vor dem Hintergrund der fortbestehenden Bedrohung für die Sicherheit Deutschlands und Europas nehmen wir die Sorgen insbesondere unserer mittel- und osteuropäischen Partnerstaaten ernst, bekennen uns zur Aufrechterhaltung eines glaubwürdigen Abschreckungspotenzials und wollen die Dialoganstrengungen der Allianz fortsetzen."

"Für Russland kein Platz im liberalen Paradies der Grünen"

Die Komsomolskaja Prawda war nach meiner Recherche die einzige russische Zeitung, die sich mit der Person Baerbock gründlicher beschäftigt hat.

In einem längeren Artikel wird erwähnt, dass die zukünftige Außenministerin für ihr Buch "Jetzt. Wie wir unser Land erneuern" "zwölf große Textteile" von anderen Autoren abgekupfert hatte. Bei Amazon habe das Buch von fünf möglichen Sternen nur dreieinhalb bekommen.

Das Blatt ermittelte, dass Annalena Baerbock vom 9. bis zum 13. April 2017 im Rahmen einer Delegation Russland besuchte. Sie sei mit einer Aeroflot-Maschine und einem Diplomatenpass von Berlin aus geflogen. Im westsibirischen Städtchen Urengoi – wo Gas gefördert wird – habe sie Gespräche mit Vertretern der deutschen Firma Wintershall und anderen Unternehmen geführt. Das Unternehmen Wintershall, das an der Pipeline Nord Stream 2 beteiligt ist, hätte damals wohl diese Reise bezahlt. Aber das habe Baerbock nicht davon abgehalten, weiter gegen Nord Stream 2 aufzutreten. So ein Verhalten sei "unethisch".

Personen wie Baerbock und Thunberg seien "abhängige Figuren ohne eigenes Gewicht und eigene Ideen", schreibt das Blatt. Sie würden nur "die Losungen älterer Genossen" wiederholen, "Atomkraftwerke schließen, sich von der Industrie verabschieden und Russland im Zaum halten. Alles das natürlich im Namen des Kampfes für die Ökologie". Für Russland gäbe es keinen Platz in diesem "liberalen Paradies".

Wenn die Grünen wirklich für Ökologie seien, dann müssten sie "mit Händen und Füßen" für Nord Stream 2 kämpfen, denn beim Verbrauch von Erdgas entstehen viel weniger Treibhausgas-Emissionen als bei der Verbrennung von Öl und Kohle.

Man könne alle möglichen Positionen vertreten, selbst "links-grüne" schreibt das Blatt. Aber wenn es nichts mehr zum Heizen in den Wohnungen gibt, dann müsse man, "ob man wolle oder nicht, mit Russland sprechen. Wer auch Außenminister von Deutschland wird, der oder die muss das machen".

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