Meinung

Warum Deutschlands neue Regierungskoalition eine große Bedrohung für die EU ist

Der designierte deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz hat seine Absicht deutlich gemacht, einen föderalen europäischen Staat anzustreben. Das ist weit davon entfernt, die Mitgliedsländer der Europäischen Union näher zusammenzubringen. Sein Plan könnte eher die EU zerstören.
Warum Deutschlands neue Regierungskoalition eine große Bedrohung für die EU istQuelle: AFP © Michael Kappeler

Ein Kommentar von Paul A. Nuttall

Olaf Scholz, der in Kürze sein Amt als Bundeskanzler antritt, wird eine "Ampelkoalition" anführen, bestehend aus seiner eigenen Partei SPD, den Grünen und den Freien Demokraten. Die Spitzenpositionen werden dabei auf die jeweiligen Parteichefs verteilt. Die drei mächtigsten Posten gehen: an den SPD-Chef Scholz als Kanzler;  an Christian Lindner als Finanzminister; und an die Co-Vorsitzende der Grünen, Annalena Baerbock, die Außenministerin wird.

Die Grundlage der Koalitionsvereinbarung wurde in einem 178-seitigen Dokument mit 52.000 Wörtern konkretisiert. Darin befassten sich die Koalitionsmitglieder mit einer Reihe von Themen wie Wirtschaft, Migration, Cannabis und Klimawandel. Einer der interessantesten Aspekte ist jedoch der unverhohlene Ehrgeiz der neuen Regierung, auf die "Entwicklung eines europäischen Bundesstaates" hinzuarbeiten. Udo Bullmann, der europapolitische Verhandlungsführer der SPD, sagte gar: "Die Zeit schreit danach" und die "Menschen warten darauf." Hmmm. Wir werden sehen.

Die föderalistischen Ambitionen der neuen deutschen Regierung werden in einer Reihe von Ländern wohl eher Besorgnis auslösen. Darunter auch in Polen, dessen Regierung deutlich gemacht hat, dass sie gegen einen EU-Superstaat ist. Ich habe bereits im Juni 2021 vorausgesagt, dass die föderalistischen Ambitionen der EU irgendwann zu einem Bruch mit den Polen führen werden. Und dieser Koalitionsvertrag dient nur dazu, diesem unvermeidlichen Konflikt einen Schritt näher zu kommen. 

Darüber hinaus sagte ein Sprecher des ungarischen Ministerpräsidenten, das deutsche Koalitionsdokument sei "kein europäisches, sondern ein eindeutig westeuropäisches Programm", das "extrem weit von dem entfernt ist, was wir im zentralen Teil Europas über die Welt und die Gesellschaften denken." Er fügte hinzu, dass die neue deutsche Regierung "eindeutig die Vereinigten Staaten von Europa anstrebt, aber zumindest tut sie dies offen, anstatt die Befugnisse der europäischen Institutionen heimlich auszudehnen und die Befugnisse der Mitgliedsstaaten einzugrenzen." 

Das ist eine wirklich interessante Bemerkung, weil die EU im Allgemeinen ihren Willen dann durchsetzt, wenn sie heimlich handelt. Wenn ihre Integrationspläne hingegen öffentlich gemacht werden, werden sie in der Regel abgelehnt. Als die EU das letzte Mal ihre Ambitionen für ein föderales Europa in Form einer europäischen Verfassung offenlegte, wurde die Idee von den Franzosen und den Niederländern in Referenden entschieden zurückgewiesen.

Das deutsche Koalitionsdokument will auch Schritte hin zu einer kohärenten EU-Außenpolitik sehen. Es zielt darauf ab, das Prinzip der Einstimmigkeit abzuschaffen und stattdessen durch die Abstimmung mit qualifizierter Mehrheit zu ersetzen. Was bedeutet, dass die Mitgliedsstaaten kein Vetorecht mehr in der Außenpolitik hätten. Dies könnte dazu führen, dass Länder in ausländische Engagements hineingezogen würden, denen sie nicht unbedingt zustimmen.

Um ihre föderalistischen Ziele zu erreichen, wird die neue Bundesregierung dem Europäischen Parlament mehr Befugnisse übertragen. Sie will dies tun, indem sie dem Parlament erlaubt, Gesetze zu initiieren, was derzeit allein das Recht der Europäischen Kommission ist. Dieser Mangel an Gesetzgebungsbefugnis hat viele dazu veranlasst, das Europäische Parlament als wenig mehr als eine "verherrlichte Schwatzbude" abzutun. Der Plan der Bundesregierung, den gewählten Abgeordneten mehr Macht zu übertragen, mag zwar ein Schritt hin zu mehr demokratischer Rechenschaftspflicht sein, könnte sich aber letztlich auch als kontraproduktiv erweisen.

Das Europäische Parlament ist das föderalistischste aller EU-Institutionen, und es ist auch bei weitem das extremste. Tatsächlich bremst die Europäische Kommission oft einige der Exzesse des Parlaments aus, weshalb interinstitutionelle Konflikte nicht selten vorkommen. Nehmen wir zum Beispiel den jüngsten Fall, bei dem das Parlament die Kommission verklagt, weil sie Polen und Ungarn nicht schnell genug sanktioniert hat, nachdem diese sich dem EU-Diktat verweigert hatten.

Wenn es nach den Abgeordneten ginge, wären die Klimaziele noch extremer, die EU hätte bereits eine stehende Armee, würde sich in Konflikte auf der ganzen Welt einmischen, und die vollständige Integration würde beschleunigt. Darüber hinaus würden Länder, die von den Zielen des Projekts abweichen, mit noch härteren Sanktionen belegt. Kein Wunder, dass überföderalistische Europaabgeordnete, wie der frühere belgische Premierminister Guy Verhofstadt, die neue deutsche Regierung bis zum Äußersten bejubeln.

Und was ist mit den Franzosen? Scholz hat bereits signalisiert, dass sein erster Auslandsbesuch als Kanzler nach Paris führen werde. Aber ich bin nicht überzeugt, dass er dort einen Amtskollegen vorfindet, der sein Streben nach einem "europäischen Bundesstaat" unterstützen wird. Umfragen zeigen, dass die französische Öffentlichkeit Brüssel gegenüber immer skeptischer wird, weshalb sich die Präsidentschaftskandidaten des Landes europaskeptisch geben. Macron zum Beispiel hat ein Veto gegen die EU-Erweiterung eingelegt, und selbst Michel Barnier, der ehemalige Brexit-Verhandlungsführer der EU, spricht von einer Machtrücknahme aus Brüssel.

Ich glaube wirklich, dass der föderalistische Zug abgefahren ist. Diese Ideen waren im ersten Jahrzehnt des Jahrhunderts en vogue, aber jetzt nicht mehr so sehr. Als Beweis dafür, dass die Bürger der Einmischung Brüssels müde werden, muss man sich nur ansehen, wie europaskeptische Parteien in den letzten 20 Jahren auf dem ganzen Kontinent zugelegt haben. 

Wenn die Bundesregierung Wort hält und offensiv das Ziel eines Super-EU-Bundesstaates verfolgt, wird es zu massiven Spannungen zwischen den Mitgliedern kommen. Längerfristig könnte dies sogar dazu führen, dass sich einige Länder ganz aus der Union zurückziehen und eigene Wege gehen.

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Übersetzt aus dem Englischen.

Paul A. Nuttall ist ein britischer Historiker, Autor und ehemaliger Politiker. Er war von 2009 bis 2019 Mitglied des Europäischen Parlaments und war ein prominenter Aktivist für den Brexit.

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