Diskussionsklub Waldai über Wahlergebnisse in Deutschland
Beim Treffen des Diskussionsklubs Waldai am Montag waren die Ergebnisse der deutschen Bundestagswahl Gegenstand der Gespräche. Die Experten diskutierten unter anderem über die Zukunft Deutschlands ohne Angela Merkel, die Beziehungen zu anderen Ländern und insbesondere zu Russland sowie das Schicksal von Nord Stream 2.
Fjodor Lukjanow, Forschungsdirektor der Valdai Club Foundation und Moderator der Diskussion, meinte, dass die Wahlen in Deutschland ausnahmsweise einmal relativ spannend seien. Erstens handele es sich um ein Ergebnis, das vor einigen Monaten so nicht erwartet worden wäre, und zweitens sei es unmöglich, die weitere Entwicklung vorherzusagen. Er wies auch darauf hin, dass noch nicht ganz klar sei, welche Koalition nach dem Ausscheiden von Angela Merkel gebildet werden soll. Ihm zufolge wird der Abgang der derzeitigen deutschen Bundeskanzlerin von Experten in Europa und in Russland als das Ende einer Ära und als der Beginn von etwas Neuem und Wichtigem wahrgenommen.
Artjom Sokolow, Forscher am Zentrum für Europastudien des MGIMO, erklärte, dass er und seine Kollegen am MGIMO derzeit einen Leitfaden zur deutschen Politik und zu den aktuellen Parlamentswahlen erstellen würden. Die einzige Überraschung für ihn sei, dass Die Linke so wenig Stimmen erhalten hat. Gleichzeitig erinnerte Sokolow daran, dass es vor den Wahlen eine Reihe von Skandalen im Zusammenhang mit der Führung der Grünen und der Christdemokraten gegeben habe, während das Ansehen der Sozialdemokraten zugenommen habe. Der Experte erinnerte auch daran, dass die Tatsache, dass die Sozialdemokraten mehr Stimmen als die Christdemokraten erhalten haben, nicht bedeute, dass Scholz Kanzler wird, da es noch lange und harte Verhandlungen zur Regierungsbildung geben werde. Für Sokolow sind die endgültigen Wahlergebnisse eine Blackbox, die man erst noch öffnen muss. Er sagte:
"Was allen Beteiligten in der künftigen Regierung zugutekommen wird, ist die Fähigkeit zu verhandeln."
Gleichzeitig stellte Sokolow fest, dass die Außenpolitik und die Beziehungen zu Russland nicht das Hauptthema dieser deutschen Wahl gewesen seien. Die Beziehungen zu Russland würden davon abhängen, welche Koalition gebildet wird und wer den Außenminister stellt. Die Grünen stünden Russland kritisch gegenüber, aber es gebe auch andere Parteien, sodass es nicht allein an ihnen liegen werde, die Außenpolitik zu bestimmen. Sokolow schloss jedoch nicht aus, dass sich der Trend zur wirtschaftlichen, digitalen und ökologischen Zusammenarbeit fortsetze.
Reinhard Krumm, Leiter des Wiener Regionalbüros der Friedrich-Ebert-Stiftung für Zusammenarbeit und Frieden in Europa, sagte, die Grünen seien der Meinung, Deutschland sei reif für Veränderungen, während die Christdemokraten die Stabilität betonten. Seiner Meinung nach hatte Scholz eine entscheidende Rolle gespielt, als er sagte, dass die Sozialdemokraten eine Mehrheit bräuchten. Er schloss nicht aus, dass die Sozialdemokraten nicht in der Lage sein würden, eine Koalition zu bilden, aber für sie sei diese Wahl ein echter Sieg. Krumm erklärte:
"Die deutschen Wahlen werden kritisiert werden. Aber vielleicht kümmern sich die Grünen um ihre eigenen Angelegenheiten, die Sozialdemokraten kümmern sich um ihre eigenen Angelegenheiten, und das ist es, was wir anstreben sollten."
Hans-Joachim Spanger, Leiter des Forschungsteams und Mitglied des Vorstands des Frankfurter Instituts für Friedensforschung, wies auf das Paradoxon der deutschen Wahlergebnisse hin, da sich die Proportionen der Parteien verändert hätten. Er verwies auf den Persönlichkeitsfaktor: Alle würden Merkel bewundern, und mit ihrem Abgang komme Traurigkeit über die Veränderungen. Laut Spanger hatten die Sozialdemokraten dies ausgenutzt – sie wählten eine kluge Führungsperson, Scholz pflegte eine enge Beziehung zu den Wählern. Er sagte:
"Diese Wahl hat gezeigt, dass das Parteiensystem in Deutschland in eine Sackgasse geraten ist. Es ist der Charakter des Einzelnen, der zählt. Man muss über die 'Stammwählerschaft' hinausgehen. Es war die SPD, die über diese Wählerschaft hinausging."
Spanger wies auch auf die Bedeutung von zwei Themen hin, nämlich soziale Gerechtigkeit und Klima. Seiner Ansicht nach sind dies die Themen, die bei der Bildung der Koalition eine entscheidende Rolle spielen werden. Das Klima sei die Visitenkarte der Grünen, die auch die Regierungsbildung beeinflussen kann.
Auch Alexander Rahr, wissenschaftlicher Leiter des Deutsch-Russischen Forums, hatte eine Meinung zu den Grünen. Er wies darauf hin, dass die Grünen in Deutschland alles an die Klimalinie anpassen wollen: Politik, Wirtschaft und Industrie. Deutschland wolle mit gutem Beispiel vorangehen und den Planeten vor Verschmutzung bewahren. Rahr erklärte, dass die Hauptwählerschaft der Grünen junge Menschen unter 35 Jahren seien.
Der wissenschaftliche Leiter des Deutsch-Russischen Forums wies zudem darauf hin, dass es in Deutschland keine Protestwählerschaft mehr gebe. Die SPD habe diese Wahlen gewonnen, aber sie sei nicht mehr die Volkspartei. Rahr ist zuversichtlich, dass die Zusammensetzung der Regierung davon abhängt, dass die kleinen Parteien entscheiden, wer der Koalition beitreten wird. Die Grünen hingegen wollen eine Koalition mit Scholz.
In der Außenpolitik werden die Themen Klima und Menschenrechte im Vordergrund stehen, so Rahr. Er stellte fest, dass es die Grünen sein werden, die eine solche Agenda vorantreiben.
Der Waldai-Klub ist die Bezeichnung für ein seit 2004 alljährlich im Herbst in Russland stattfindendes Treffen von Journalisten, Politikern, Experten/Wissenschaftlern und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens aus Russland und anderen Ländern. Die Plenartagungen beschäftigen sich mit der Außen- und Innenpolitik Russlands, wobei jedes Jahr ein anderes Thema in den Mittelpunkt gestellt wird.
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