Missstimmung vor Merkel-Visite: Trump betrachtet Europäer nicht mehr als "Amerikas wahre Freunde"

Angela Merkel begibt sich am Freitag, dem 27. April, nach Washington. Ihr französischer Kollege Macron wurde wenige Tage zuvor mit großem Pomp von Donald Trump empfangen. Ein Thema entzweit die Lager auf den beiden Seiten des Atlantiks: der freie Handel.
Missstimmung vor Merkel-Visite: Trump betrachtet Europäer nicht mehr als "Amerikas wahre Freunde"Quelle: Reuters © Jonathan Ernst

von Pierre Lévy, Paris

Der US-amerikanische Präsident hatte Anfang März den ersten Warnschuss für das abgegeben, was sich zu einem ausgewachsenen Handelskrieg entwickeln könnte: Symbolträchtig von Metallarbeitern umringt gab er bekannt, dass Amerika Steuern auf den Import von Stahl und Aluminium erheben werde.

Doch Washington ließ dann ziemlich schnell verlauten, dass die "wahren Freunde" der Vereinigten Staaten von diesen Maßnahmen verschont bleiben könnten. Die Ersten, die in den Genuss dieser Sonderbehandlung kamen, waren Kanada und Mexiko.

In Brüssel hat die Ankündigung von Donald Trump prompt einen Gefechtsaufmarsch ausgelöst, zumal er getwittert hatte: "Handelskriege sind gut, und leicht zu gewinnen." Die Europäische Kommission hat schnell Gegenmaßnahmen geplant, die eingeleitet werden könnten, wenn das Weiße Haus seine Position nicht ändern sollte.

Europapolitiker für die europäischen Konzerne auf den Barrikaden

Die großen Stahlkonzerne Europas waren natürlich die Ersten, die sich über die amerikanischen Drohungen entrüsteten, wo doch gerade die Preise wieder ein wenig – und die Gewinne erheblich – gestiegen waren, nachdem sich die europäischen Produktionskapazitäten aufgrund von Fabrikschließungen reduziert hatten. Lakshmi Mittal, Chef des Stahlkonzerns ArcelorMittal, hat sich jedenfalls sofort mit dem Präsidenten der Europäischen Kommission getroffen.

Die führenden europäischen Politiker setzten sich prompt in Bewegung, um die Interessen der großen Unternehmen des alten Kontinents zu verteidigen. Aber auch aus zwei weiteren Gründen sind sie außer sich. Zunächst waren sie zutiefst betroffen, nicht sofort in die Reihen der "wahren Freunde der Vereinigten Staaten" aufgenommen zu sein. Und was es noch schlimmer machte: Der Chef des Weißen Hauses hat sich auf "zwingende Gründe der nationalen Sicherheit" berufen. Da behandelt Washington die europäischen Länder nicht mehr als "Partner", sondern wie eine Bedrohung...

Und vor allem untergräbt die amerikanische Strategie das Dogma des weltweiten Freihandels, das der Stadt und dem Erdkreis seit mehreren Jahrzehnten auferlegt wird und die eigentliche Essenz der Globalisierung darstellt. Sein führendes Aushängeschild, die bereits in ihren Grundfesten erschütterte Welthandelsorganisation (WTO), wird das vielleicht nicht überleben. Durch die amerikanischen Ankündigungen werden "die transatlantischen Beziehungen geschädigt, aber auch das globale Handelssystem, das auf Regeln beruht" äußerte Cecilia Malmström aufgebracht. Die sehr liberale Schwedin ist bei der Kommission für die Handelspolitik verantwortlich.

Trump betrachtet die EU nicht mehr als "wahren Freund Amerikas"

Sie war noch kurz vor der Sitzung des Europäischen Rates am 22. März in der Hoffnung nach Washington gereist, die amerikanische Administration umzustimmen. Mit einem durchwachsenen Ergebnis: Die EU wird von der angekündigten Besteuerung verschont … bis zum 1. Mai. Bis dahin wollte Washington, dass sich die politisch Verantwortlichen in Europa an einen Tisch setzen und Konzessionen machen. Aber die 28 haben erklärt, dass sie sich weigern, "mit der Pistole auf der Brust" zu verhandeln.

Donald Trump hat sein Ziel klar gemacht: Er will das enorme Handelsdefizit zwischen Amerika und den EU-Ländern verringern. Eigentlich wird Deutschland ins Visier genommen, und der amerikanische Präsident macht daraus kaum ein Geheimnis. Anfang März hatte er nämlich von sich gegeben: "Wenn die Europäer ihre schrecklichen Zollbarrieren nicht aufheben, werden wir ihre Autos besteuern, wir werden Mercedes besteuern, wir werden BMW besteuern"…

Angela Merkel hatte daraufhin beim europäischen Gipfeltreffen dringend an die Einheit der 28 appelliert. Sie befürchtet, dass es Washington gelingen könnte, die Mitgliedsstaaten zu entzweien, indem es ihnen Einzelabkommen anbietet. Und bei dem Spiel hätte Deutschland als Weltmeister des Exports wohl am meisten zu verlieren. Für den Moment herrscht mit Blick auf den Ablauf der Frist am 1. Mai weiterhin Ungewissheit.

Dies gilt umso mehr, als zwei weitere Faktoren berücksichtigt werden müssen - angefangen bei der Tatsache, dass es noch andere große Akteure gibt, die an den sich abzeichnenden Handelskonflikten beteiligt sind. Insbesondere China wird von Washington aufs Korn genommen, wegen seiner massiven Exporte, aber auch wegen seiner Ambitionen, bis 2025 Weltmeister in Sachen Technologie zu sein.

"Werte" als Last Resort für kaltgestellte Europäer

Der zweite Faktor hängt mit den internen Widersprüchen zusammen, die jenseits des Atlantiks vorherrschen. Der große Gewerkschaftsdachverband AFL/CIO hat die von Donald Trump formulierten Maßnahmen und Drohungen mit Beifall begrüßt. Und sogar demokratische Abgeordnete (insbesondere die in den Staaten mit traditionellen Industriestandorten gewählten) unterstützen diese Politik des Weißen Hauses.

In den Kreisen der Macht selbst hingegen gibt es viele Gruppen, die Druck ausüben, damit der ehemalige Geschäftsmann seinen Wahlkampfversprechen den Rücken kehrt.

Doch bisher ist das nicht der Fall, zum großen Verdruss des Europäischen Rates. In seiner Schlusserklärung bekräftigt dieser "sein Engagement für ein offenes und regelbasiertes multilaterales Handelssystem, in dem die WTO eine zentrale Rolle spielt" und behauptet:

Die EU wird weiterhin eine robuste Handelspolitik verfolgen, [und] weltweit für ihre Werte und Standards eintreten.

"Werte und Standards": Der Freihandel, so lässt sich diesen Worten entnehmen, ist zwar eine Sache des großen Geldes, aber im Grunde auch ein Instrument für die Vormachtstellung.

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