Krisen erfordern pflichtbewusste Lichtgestalten: Ethische Lehren aus der Hochwasserkrise (Teil II)

Neben der destruktiven gesellschaftlichen Ideologisierung, auf deren Basis monokausal der "Klimawandel" für verschiedenartige Krisen verantwortlich gemacht wird, offenbart die tragische Flutkatastrophe in Westdeutschland paradigmatisch weitere unangenehme Wahrheiten über die Lage der Nation. Diese Erkenntnisse sollten in die Entwicklung einer neuartigen, effektiven Pflichtenethik münden. Ein mehrteiliger analytischer Kommentar des Krisenmanagement-Experten Prof. Dr. Kai-Alexander Schlevogt.
Krisen erfordern pflichtbewusste Lichtgestalten: Ethische Lehren aus der Hochwasserkrise (Teil II)Quelle: www.globallookpress.com

von Prof. Dr. Kai-Alexander Schlevogt

(Der erste Teil ist Klimakeule gegen Flutopfer: Hochwasserkrise offenbart apokalyptische Wahrheiten über Deutschland)

II. Wahrheit Nr. 2: Mangelnde Liebe narzisstischer Politiker zum eigenen Volke

Eine Führungspersönlichkeit ist wie eine Lichtquelle – was sie anstrahlt, erhält Aufmerksamkeit, was sie im Dunkeln lässt, bleibt unbeachtet. Im positiven Falle ist diese Lichtquelle ein Leuchtturm, der anderen Menschen dabei hilft, Gefahren zu umschiffen und letztendlich das richtige Ziel zu finden.

In meinen Führungsseminaren lernen Leiter unterschiedlicher Organisationen anhand dieser Metapher, dass alles, was sie tun und – das ist ganz wichtig und wird häufig übersehen – auch was sie unterlassen, Signale sendet. Diese werden von der Gefolgschaft in der Regel genau beobachtet und für eigene Verhaltensweisen ausgewertet, was häufig zur Nachahmung führt und so einen Kaskadeneffekt auslöst.

Zu diesen Signalen zählt beispielsweise, wie ein Führer sein Umfeld gestaltet, wie er Dinge – unter anderem durch Rahmungseffekte (auf Englisch: framing) – darstellt, welche Geschichten er erzählt, welche Werte er hervorhebt, welche Fragen er stellt, welche Symbole und Rituale er verwendet, wie er sich kleidet, mit wem er Beziehungen unterhält und wen er meidet und wie er ansonsten mit der Umwelt interagiert. Besonders wichtig bei der Signalgebung ist dabei auch, welche Standards und Prioritäten die Führungsgestalt explizit oder implizit setzt und was sie misst, belohnt und bestraft.

Gemessen an einer auf diesem Modell basierenden führungsbezogenen Bewertungskarte schnitten viele deutsche Politiker in der Flutkatastrophe in Westdeutschland äußerst schlecht ab. Beispielsweise enthüllte Bundeskanzlerin Angela Merkel während der Katastrophe ihre wirklichen, gemessen an ihrem Amte falsch gewählten Prioritäten.

Obwohl zahlreiche Menschen im Zuge des Hochwassers auf furchtbare Weise umgekommen und ganze Straßenzüge untergegangen waren, hielt es die deutsche Bundeskanzlerin nicht für nötig, ihren Besuch in den USA sofort abzubrechen und ihren Landsleuten zu Hilfe zu eilen. Einige polemische Beobachter kommentierten die dieser Entscheidung zugrundeliegende Prioritätensetzung und das Machtkalkül der Pfarrerstochter wie folgt: Es sei für die Bundeskanzlerin wichtiger, bei ihrem "Kolonialherrn" zu verweilen als dem eigenen Volk beizustehen.

Als die Bundeskanzlerin und andere Politiker dann – mit deutlicher Verspätung – das Krisengebiet aufsuchten, wurden die meisten Betroffenen von der Polizei aufgrund von "Sicherheitsbedenken" in tragisch-ironischer Weise von den Versammlungen ausgesperrt, obwohl sich doch die politischen Botschaften gerade an sie hätten richten sollen. Stattdessen feierten die "Qualitätsmedien" leere Gestenpolitik, wie zum Beispiel das gegenseitige Einhaken der Politiker. 

Als ausgleichende Gerechtigkeit brachten viele von der Hochwasserkatastrophe betroffene Menschen ihr Unverständnis über den politischen Autismus und Zynismus der führenden Klasse mittels der sozialen Medien zum Ausdruck. Besonders einprägsam waren die Bürgerreportagen im Vorfeld eines Auftrittes des deutschen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier und des Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen Armin Laschet im vom Hochwasser besonders schwer betroffenen Erftstadt. Die eindringlichen Botschaften der Stadtbewohner wurden dabei verstärkt durch emotional aufrührende Bilder von Mitarbeitern des Ordnungsamtes, die die Bürger wegzudrängen versuchten und ultimativ dazu aufforderten, den Ort des Prominentenbesuches unverzüglich zu verlassen!

Obwohl die Gestenpolitik der Regierungschefin und anderer Politiker im deutschen Staatsfernsehen überschwänglich gelobt wurde, war als Ergebnis des Kanzlerbesuchs in der Hauptsache lediglich eine Störung der Rettungsmaßnahmen zu verzeichnen. Dies passiert übrigens häufig bei Krisengebietsbesuchen narzisstischer und egozentrischer Prominenter, die mediale Aufmerksamkeit auf sich ziehen wollen und Ressourcen, die eigentlich anderswo gebraucht worden wären, beispielsweise für Sicherheitsaufgaben absorbieren. Der ganze Medienrummel stört dann häufig die für die Bewältigung einer Krise wirklich erforderlichen Arbeiten.

Wäre es der Kanzlerin um die Menschen und nicht um mediale Aufmerksamkeit und ihr Bild in der Öffentlichkeit gegangen, hätte sie die Opfer ohne Medienvertreter aufsuchen und zumindest ein paar Stunden tatkräftig bei den Aufräumarbeiten mithelfen können – vorausgesetzt, die Flutopfer hätten dies gewollt! Die Kunde von der so demonstrierten uneigennützigen und aufopferungsvollen Liebe einer Regierungschefin zum eigenen Volke hätte sich dann bestimmt – trotz Abwesenheit der Pressevertreter – wie ein Lauffeuer in Deutschland und vermutlich sogar im Ausland verbreitet. Stattdessen bleibt in der kollektiven Erinnerung nur der Eindruck zurück, dass der Regierungschefin das Schicksal des deutschen Volkes offensichtlich nicht wirklich am Herzen liegt und es ihr an konstruktiver und somit positiver Vaterlandsliebe mangelt.

Symbolisch zeigte Angela Merkel dies einst in ostentativer Weise bei einer CDU-Veranstaltung anlässlich ihres Sieges bei der Bundestagswahl 2013, in deren Verlauf sie mit einer geradezu Abscheu zum Ausdruck bringenden Miene dem mit ihr gemeinsam auf der Bühne feiernden damaligen Generalsekretär Hermann Gröhe eine deutsche Fahne entriss und dann am Bühnenrand entsorgte. Den offensichtlichen Grund – d. h. mangelnden Patriotismus – gab die Bundeskanzlerin damals jedoch nicht an.

Bemerkenswert ist auch, dass die politische Elite in Deutschland nach einer kurzen Flut von Regierungsmitgliedern kaum noch in den Krisengebieten zu sehen war. Die Karrierepolitiker verkümmerten so zu Schattenwesen anstatt als positive Energie ausstrahlende Lichtgestalten zu agieren. Aber besonders wenn die mediale Aufmerksamkeit verebbt, benötigen die von einem Unglück betroffenen Menschen vor Ort viel psychologische und materielle Unterstützung für den häufig lange Zeit in Anspruch nehmenden Wiederaufbau, und zwar gerade von der jeweiligen Führungselite.

Allgemeiner gesprochen ist die fehlende Liebe der führenden, von Egozentrismus beherrschten Politiker in Deutschland zu ihrem Vaterland und eigenen Volk, die ihren Ausdruck unter anderem in einer falschen Priorisierung findet, ein Zeichen mangelnder pietas. Diese Tugend war im antiken Rom ein entscheidendes staatsmännisches Qualitätsmerkmal und sollte auch in unserer postmodernen Gesellschaft erneut in unterschiedlichen Kontexten gefördert werden.

Es ist schwer, das lateinische Wort pietas ins Deutsche zu übersetzen. Die Hilfsübersetzung lautet "Frömmigkeit". Dieses deutsche Substantiv spiegelt allerdings nicht die Vielschichtigkeit des lateinischen Konzeptes wider. Mit pietas sind strenges, verantwortungsvolles Pflichtbewusstsein und gleichzeitig fromme, loyale und tatkräftige Liebe gegenüber all denjenigen, denen man Liebe schuldet, gemeint. Dazu gehören beispielsweise Gott, das Vaterland und die Familie.

Der aus Troja stammende Held Aeneas war, wie wir im Nationalepos des römischen Dichters Vergil nachlesen können, ein Muster dieser Tugend, weil er sie in gebundener, geordneter und ordnender Weise mit seiner ganzen menschlichen Existenz zum Wohle anderer lebte – daher wurde er "pius Aeneas" (auf Deutsch: pflichtbewusster bzw. verantwortungsvoll lebender Aeneas) genannt!

Wie fragmentarisch überliefert ist, vertrat der römische Staatsmann und Denker Cicero übrigens die Ansicht, dass dem Vaterland sogar noch mehr Dank geschuldet werde als dem eigenen Vater, weil jenes mehr Wohltaten umfasse und längere Zeit bestehe (und somit ehrwürdiger sei).

Es ist bezeichnend, dass trotz eklatanter Pflichtvergessenheit und schwererer Versäumnisse kein deutscher Spitzenpolitiker seinen Rücktritt angeboten hat und dass auch keine dringlichen Rücktrittsforderungen in den "Qualitätsmedien" laut geworden sind.

Zweifellos ist es höchste Zeit, eine neuartige, wirkmächtige deontologische Ethik (Pflichtenethik) für deutsche Führungspersönlichkeiten zu entwickeln. In diesem Zusammenhang bleibt zu hoffen, dass nicht allzu viel Wasser den Rhein herunterfließen wird, bis ein pius cancellarius (auf Deutsch: ein pflichtbewusster Kanzler), der sich als wahre Lichtgestalt anstatt als kümmerliches Schattenwesen auch bei einer Hochwasserkatastrophe bewähren kann, in Deutschland die Regierungsgeschäfte übernehmen wird!

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Zum Autor: Prof. Dr. Kai-Alexander Schlevogt (Ph.D. Oxford; Univ.-Prof. SPbU a. D.) ist Experte für strategische Führung und Krisenmanagement. Er war u.a. Professor an der Sankt Petersburg State University, National University of Singapore und Peking University. Er arbeitete auch als Unternehmensberater für McKinsey & Co. in Großchina und fungierte als Berater des malaysischen Premierministers hinsichtlich des Aufbaus einer "elektronischen Regierung" (electronic government). Prof. Schlevogt ist Autor von sechs Büchern, darunter "The Art of Chinese Management" (Oxford University Press), "The Innovation Honeymoon" (Pearson Prentice Hall) und "Brave New Saw Wave World" (Pearson/FT Press). Webseite: www.schlevogt.com

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