Der Liberalismus, sein Gespenst des rechtsradikalen Terrors und der 11. September
von Damian Wilson
20 Jahre nach dem Zusammensturz der Zwillingstürme befindet sich der Westen, was den Kampf gegen islamistische Terroristen betrifft, auf dem Rückzug. Diese Leute tragen die Verantwortung für zahllose Bombenanschläge, Schießereien und Massaker, denen Tausende in Städten verschiedener Länder zum Opfer gefallen sind.
Jene von uns, die damals schon lebten, erinnern sich deutlich an die Ereignisse vor 20 Jahren. Wir verfolgten ungläubig und verdutzt vor dem Bildschirm sitzend, wie am 11. September 2001 zwei große Flugzeuge in die Zwillingstürme des World Trade Centers in New York krachten, ein drittes in das Pentagon in der Nähe von Washington und ein viertes in Shanksville, Pennsylvania, auf ein Feld stürzte. Als sich die Rauchschwaden über den Trümmern schließlich verzogen hatten, waren fast 3.000 Menschen gestorben, getötet von 19 Kämpfern im Namen der islamistischen Extremistengruppe Al-Qaida.
Die Ereignisse vom 11. September waren der Beginn des Kriegs gegen den Terror, dessen letztliches erbärmliches Scheitern nunmehr zum Rückzug der von den Vereinigten Staaten geführten Verbündeten aus Afghanistan geführt hat. Das Land wird den Taliban überlassen, einer anderen Gruppe gewalttätiger islamistischer Radikaler, die nun dort nach Belieben schalten und walten können.
Zwei Jahrzehnte nach diesem Dienstagmorgen muss man, wie ich glaube, ehrlicherweise sagen, dass der Westen nichts anderes bewirkt hat als den unnötigen Tod Tausender eigener jungen Männer und Frauen, die er in Kriege geschickt hatte, die nicht zu gewinnen waren.
Der Aufbau einer wie auch immer gearteten Arbeitsbeziehung mit radikalen Islamisten ist nicht deshalb gescheitert, weil wir diese nicht gewünscht hätten, sondern weil es nicht in deren Weltbild passt, überhaupt nur in Erwägung zu ziehen, modernen demokratischen Überzeugungen entgegenzukommen.
Wenn eine machthabende Gruppe von Banditen Musik verbietet, weil sie die für unislamisch hält, dann wird klar, dass wir weit davon entfernt sind, einer Meinung zu sein.
Von Al-Qaida mag nicht mehr die Gefahr ausgehen, die die Organisation einst darstellte. Aber das tut nichts zu Sache. Es gibt die Taliban, den IS, Boko Haram und al-Shabaab, unter ihnen viele mörderische, mittelalterliche Tölpel, allzu bereit, einige Westler zu enthaupten, Schulkinder zu entführen und Frauen durch Steinigung zu töten, weil sie das Haus ohne Begleitung verlassen hatten.
Dennoch üben sich die infantilen Liberalen dieser Welt in multikultureller Seriosität und behaupten beharrlich, es sei der rechtsradikale Extremismus, der wirklich Sorgen mache, während sie durchaus verstehen, dass der islamische Fundamentalismus ein Problem sein könnte. Schauen wir uns einfach die Zahlen an:
Nehmen wir also den Guardian, der – wie wir wissen – nachzuweisen versucht, dass seit dem 11. September in den Vereinigten Staaten mehr Menschen durch Rechtsextremisten getötet wurden als durch das Schwert der Islamisten. Das Ergebnis ist wohlgemerkt knapp: 114 Tote werden den Rechtsextremen zugerechnet und 107 islamistischen Mördern. So gesehen liegt der Unterschied bei sieben Opfern.
Diese Behauptung ist Unsinn, und zwar wesentlich deshalb, weil das Bezugsdatum für die Berechnung dieser grauenvollen Gesamtangaben mit "seit dem 11. September" angegeben wird. Hier muss ich nun etwas klarstellen: Wenn man die 3.000 Personen ignorierte, die an nur einem Tag des Jahres 2001 durch den Angriff islamistischer Extremisten gestorben sind, dann würden, was den Terrorismus betrifft, die Vereinigten Staaten seither mehr unter einer radikalen, hausgemachten rechtsradikalen Bewegung leiden als unter den Launen der Anhänger irgendeiner anderen verdrehten Ideologie.
Was aber ist mit diesen 3.000 Opfern? Wieso kann man sie nicht mitzählen? Deren Stellenwert, aber auch die Folgen dieser Morde für alles Weitere zu ignorieren würde bedeuten, die Geschichte falsch zu verstehen – und zwar nicht allein die Geschichte der Vereinigten Staaten, sondern auch die aller anderen Völker.
Denn es besteht ein Zusammenhang dieser 3.000 Toten und dem Beginn eines anhaltenden, grausamen und weltweiten Terrorfeldzugs: Im Jahre 2002 wurden 202 Menschen beim Bombenattentat auf Bali getötet und 170 im Dubrowka-Theater in Moskau. 2004 kamen 192 Menschen bei den Madrider Zuganschlägen zu Tode, weitere 68 bei einem Selbstmordanschlag auf einem Markt in Bagdad, und 304 Unschuldige wurden bei der Geiselnahme in einer Schule in Beslan niedergemetzelt.
Dann kam der Terror zu uns, als im Juli 2005 London zum Ziel dreier separater Bombenattentate auf den öffentlichen Nahverkehr wurde. 53 Menschen starben. Nur wenige Tage später gab es in Mumbai bei einem Anschlag auf die Eisenbahn ein Blutbad, als durch eine Reihe von Explosionen 209 Personen ihr Leben verloren.
Ohne Unterlass gingen die islamistischen Terrorangriffe weiter: Es gab den Angriff auf eine Schule in Jerusalem, der Soldat Lee Rigby wurde in London getötet, auf die Westgate Mall in Nairobi wurde ein Anschlag verübt, Schulmädchen in Chibok in Nigeria wurden entführt, es gab das Schulmassaker im pakistanischen Peschawar, den Anschlag auf Charlie Hebdo in Paris, den in Port El-Kantaoui in Tunesien, den Bombenanschlag auf eine Moschee in Bangkok, den Flug 8268, bei dem das Flugzeug auf dem Weg nach Russland explodierte, wieder in Paris erfolgte der Anschlag auf das Bataclan, Nagelbomben explodierten auf einer Metrostation in Brüssel, auf den Nachtklub in Orlando, Florida, wurde ein Anschlag verübt, in Nizza erfolgte am französischen Nationalfeiertag ein Angriff auf eine Menschenmenge mit einem 19-Tonnen-Lkw, ein weiterer wurde auf einen Weihnachtsmarkt in Berlin verübt, es gab den Anschlag eines Einzeltäters auf einen Nachtklub in Istanbul, das Auto, das auf der Westminster Bridge in eine Gruppe Fußgänger gefahren wurde, den Terroranschlag in Manchester, den Angriff auf der London Bridge.
Da es ermüdend ist fortzufahren, nennen wir hier vielleicht nur die Ziele weiterer barbarischer Akte: Barcelona, Parsons Green (London), Marseille, Mogadischu, New York, Bir al-Abd, Carcassonne, Surabaya, Paris, Lüttich, Mastung, as-Suweida, Danghara, Colombo und wiederum London. Alles im Namen des islamistischen Extremismus.
Im Gegenzug gab es natürlich rechts motivierte Massaker: so die der Irren Anders Breivik in Norwegen und Brenton Tarrant in Neuseeland. Beide hatten mit erschreckender Präzision schlimme Anschläge verübt. Gewiss haben auch die Vereinigten Staaten mit ihren Dämonen zu kämpfen.
Ohne aber jemanden kränken zu wollen, lässt sich doch keines dieser Attentate wirklich mit der Angst und Zerstörung gleichsetzen, die radikale Islamisten der verschiedenen Terrorgruppen in Fortsetzung ihres gnadenlosen weltweiten Feldzugs mit dem Zweck bewirken, die Ungläubigen zu vernichten. Falls ihr euch das fragen solltet: Gemeint sind damit wir, ihr und ich.
Wenn man sich also zufällig an einer Diskussion über den zunehmenden Rechtsterrorismus beteiligt, sollte man für eine Minute innehalten und der buchstäblich Tausenden einfacher Leute gedenken, die ihr Leben durch den islamistischen Terror verloren haben. Man sollte das tun, um den eigenen Diskussionsbeitrag in Relation zu setzen.
Sollte man ein Datum benötigen, um mit seiner Berechnung der Todesopfer beider politischer Extremismen zu beginnen, so schlage ich das folgende vor: den 11. September.
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Übersetzt aus dem Englischen. Damian Wilson ist ein britischer Journalist, ehemaliger Presseredakteur der Fleet Street, Berater für die Finanzindustrie und Sonderberater für politische Kommunikation im Vereinigten Königreich und in der EU.
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