Nordamerika

Biden spielt Fragen zu abgestürzten Afghanen herunter: "Das war vor fünf Tagen"

Im Interview mit dem US-amerikanischen Nachrichtensender ABC sprach US-Präsident Joe Biden über den katastrophalen Verlauf des Abzugs der US-Streitkräfte aus Afghanistan. Biden unterschätzte erheblich die Geschwindigkeit, mit der die Taliban das Land zurückerobern würden.
Biden spielt Fragen zu abgestürzten Afghanen herunter: "Das war vor fünf Tagen"Quelle: Gettyimages.ru © Anna Moneymaker / Staff

US-Präsident Joe Biden verteidigte seinen Umgang mit dem Abzug aus Afghanistan. Er sagte dem US-Nachrichtensender ABC News, dass es nicht anders hätte laufen können und gelobte, die Truppen solange in Kabul zu halten, bis alle US-Amerikaner, die gehen wollen, dies tun konnten.

Biden befand sich über das Wochenende, als die von den USA unterstützte afghanische Regierung zusammenbrach und die Taliban die Macht übernahmen, in dem als Camp David bekannten Rückzugsort für US-Präsidenten. Am Montag kehrte er nach Washington, D.C. zurück, um dort eine Rede zu halten. Es waren inzwischen erschütternde Videos aufgetaucht, die zeigten, wie viele Afghanen mit allen Mitteln versuchten, an Bord von US-Transportflugzeugen zu gelangen, und dabei angeblich einige schließlich in den Tod stürzten. Biden nahm jedoch keine Fragen von der Presse entgegen.

"Das war vor vier Tagen oder fünf Tagen!" sagte Biden gegenüber George Stephanopoulos – einem ehemaligen Berater von Präsident Bill Clinton, der jetzt Moderator bei ABC ist – in einem Interview, das am Mittwoch aufgezeichnet wurde und am Donnerstagmorgen ausgestrahlt werden soll.

Auf die Frage, was er dachte, als er diese Bilder sah, antwortete Biden:

"Wir müssen die Kontrolle über die Sache gewinnen. Wir müssen es schneller machen. Wir müssen uns bewegen, damit wir die Kontrolle über diesen Flughafen übernehmen können. Und das haben wir getan."

Seitdem gibt es keine Bilder mehr von verzweifelten Afghanen, die Evakuierungsflugzeuge belagern, und zwar vor allem, weil mehrere Tausend Soldaten der US-Truppen hingeschickt wurden, um zu verhindern, dass noch irgendjemand den "Hamid Karzai International Airport" (HKIA) ohne ordnungsgemäße Dokumente betreten kann. Auch die Taliban haben mittlerweile Kontrollpunkte außerhalb des Flughafens eingerichtet.

In dem ABC-Interview wiederholte Biden einige Punkte seiner Rede vom Montag und beharrte darauf, dass der US-Geheimdienst nicht vorausgesehen hätte, dass die reguläre afghanische Armee innerhalb weniger Tage mehr oder weniger kampflos zusammenbrechen würde:

"Sehen Sie, es war eine einfache Entscheidung, George: Als sie die Regierung Afghanistans, den Führer dieser Regierung, in ein Flugzeug steigen und abheben und in ein anderes Land gehen ließen; als Sie den bedeutenden Zusammenbruch der afghanischen Truppen sahen, die wir ausgebildet hatten, bis zu 300.000 von ihnen, die einfach ihre Ausrüstung zurückließen und abflogen – das war, wissen Sie … ich bin nicht … das ist passiert. Das ist einfach das, was passiert ist."

Auf die Frage, ob der ganze Prozess hätte besser gehandhabt werden können, sagte Biden: Nein. Vielmehr meinte Biden:

"Ich glaube nicht, dass es so hätte gehandhabt werden können, dass … wir werden zurückgehen und es uns im Nachhinein ansehen … Aber die Idee, dass es irgendwie einen Weg gegeben hätte, ohne ein anschließendes Chaos zu vermeiden, ich weiß nicht, wie das hätte passieren sollen."

Nachdem er zunächst Stephanopoulos zugestimmt hatte, das Chaos bei der Entscheidung, sich zurückzuziehen, wäre immer "eingepreist" gewesen, ruderte Biden dann plötzlich doch zurück.

"Sehen Sie, eines der Dinge, die wir nicht wussten, war, was die Taliban tun würden, um die Leute daran zu hindern, das Land zu verlassen. Was würden sie tun? Was tun sie jetzt? Sie kooperieren, lassen amerikanische Bürger ausreisen, amerikanisches Personal ausreisen, Botschaften ausreisen und so weiter", sagte er, bevor er dann zugab, dass die USA "etwas mehr Schwierigkeiten mit denen haben, die uns geholfen haben, als wir dort waren", womit er die "Ortskräfte" der afghanischen Übersetzer, Auftragnehmer und deren Familien meinte.

Einige haben deren Zahl auf bis zu 80.000 geschätzt, aber Biden sagte dem Sender ABC, dass die tatsächliche Zahl, die die USA bereit wären aufzunehmen, etwa 60.000 betrage. Die USA konnten bisher davon etwa 3.200 Menschen evakuieren, mit dem ehrgeizigen Ziel, diese Zahl auf 9.000 oder mehr pro Tag zu erhöhen.

Schätzungsweise könnten sich auch noch 10.000 US-Amerikaner in Afghanistan aufhalten, und Biden versicherte, eine Militärpräsenz auf dem Flughafen von Kabul solange aufrechtzuerhalten, bis jeder, der das Land verlassen möchte, dies tun konnte – selbst wenn das bedeutet, dass die von ihm gesetzte Frist zum Verlassen des Landes am 31. August überschritten werde.

Laut dem ABC-Transkript des Interviews schrieb Biden an einer Stelle gar seinem Amtsvorgänger Donald Trump die Aushandlung eines Deals mit den Taliban zu, dass es keine Angriffe auf US-Truppen in Afghanistan geben werde.

"Ich höre die Leute sagen: 'Na ja, ihr hattet 2.500 Leute dort, und es ist nichts passiert.' Aber raten Sie mal, warum nichts passiert ist. Weil der letzte Präsident ein Jahr zuvor ausgehandelt hatte, dass er bis zum 1. Mai raus aus dem Land sein würde und es im Gegenzug keine Angriffe auf amerikanische Truppen geben würde. So wurde das ausgehandelt. Das ist der Grund, warum nichts passiert ist", sagte Biden.

Bidens Rede am Montag ging nicht auf den Verlauf des Abzugs ein, sondern er versuchte, auf die Frage zu lenken, ob die USA überhaupt abziehen sollten. Trump selbst widersprach nochmals und sagte in einer Stellungnahme, dass das Problem nicht im Verlassen Afghanistans lag, sondern in der "grob inkompetenten Art und Weise, wie wir abgezogen sind!"

Der derzeitige Präsident "hätte zuerst die Zivilisten herausholen sollen", sagte Trump am Dienstag zu Sean Hannity von Fox News. "Dann hätte er die militärische Ausrüstung mitnehmen sollen, denn wir haben Milliarden von US-Dollar an nagelneuer, schöner Ausrüstung dort. Die Ausrüstung rausholen, und dann erst die Soldaten rausholen."

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