Von Raytheon ins Pentagon: Erster Afroamerikaner als US-Verteidigungsminister
Eine historische Personalwahl – so zumindest meldeten es einige Quellen seit Beginn der Woche: Joe Biden würde General Lloyd J. Austin III als Verteidigungsminister nominieren – damit würde der im Ruhestand befindliche Vier-Sterne-General der erste afroamerikanische Pentagon-Chef werden.
Nachdem die Vereinigten Staaten im vergangenen Jahr international ungünstige Schlagzeilen damit machten, dass auch über fünfzig Jahre nach der offiziellen Abschaffung der Rassendiskriminierung Afroamerikaner im Land weiterhin als zweitklassig behandelt und teils willkürlich durch Polizisten ermordet werden, wäre die Nominierung eines Afroamerikaners als Pentagon-Chef womöglich ein Signal nach innen wie ins Ausland.
Doch das Motto "Hauptsache schwarz, schwul oder weiblich" bei der Personalwahl macht noch längst keine gute oder gar friedliche Politik, wie viele Fälle bereits gezeigt haben.
Die Kongressabgeordneten Mark Pocan aus Wisconsin und Barbara Lee aus Kalifornien, beide von der Demokratischen Partei, plädierten im vergangenen Monat in einem Schreiben an den designierten Präsidenten Joe Biden für einen besseren Standard bei Nominierungen. Sie erinnerten warnend an die Trump-Administration, in der Mark Esper Verteidigungsminister war, nachdem er zuvor sieben Jahre lang als Top-Lobbyist tätig war – für Raytheon, einem der größten Rüstungskonzernen der USA. Sie seien vielmehr für einen Kandidaten, der nicht zuvor bei einem Rüstungskonzern gearbeitet hatte.
Doch General Austin ist – mehr noch – sogar Mitglied des Vorstands von Raytheon, des einflussreichen US-Rüstungskonzerns, maßgeblich und mit Gewinn beteiligt am Blutvergießen im Jemen – der schlimmsten humanitären Katastrophe derzeit auf der Welt, in der unzählige Kriegsverbrechen durch Mord an Zivilisten begangen wurden.
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General Austin, 67, ist zudem der einzige Afroamerikaner, welche das umstrittene US-Central Command geführt hat, jenes militärische Zentralkommando mit Verantwortung für den Irak, Afghanistan, Jemen, Syrien – also alle jene Dauerkriegsschauplätze, in denen die Vereinigten Staaten seit Langem und mit teils fragwürdigem oder auch ganz ohne UN-Mandat kämpfen. Genauer gesagt die Truppen – nicht die Befehlshaber – sind jahrelang vor Ort. Denn beispielsweise im Irak war es so, dass General Lloyd Austin III den Soldaten vor dem Einmarsch im Jahr 2003 sagte, er selbst gehe von einem Einsatz mit einer Dauer von weniger als zwei Monaten aus, darauf verwette er einen seiner Sterne.
From a July 2003 @chicagotribune article: "Before the war, one of the generals sending us off told us he'd bet his one star that we'd be home 60 days after the war," Hommel said, referring to Brig. Gen. Lloyd Austin III. "That general left a month ago. These men are still here." pic.twitter.com/7353x2jmVT
— James LaPorta (@JimLaPorta) December 8, 2020
Als Kommandeur der US-Streitkräfte im Irak beaufsichtigte er unter Präsident Obama größere Truppenabzüge, bevor er zum höchsten US-Kommandeur im Nahen Osten wurde. Bei dem Abzug habe Austin auch diplomatisches Geschick gegenüber irakischen Kollegen und Partnern in der Region bewiesen, schrieb Biden in einem Beitrag in The Atlantic. Austin "diente als Staatsmann, der unser Land mit Ehre und Würde vertrat und sich immer und vor allem um sein Volk kümmerte", so schwärmte Biden.
Berichten zufolge hatte sich der General in der US-Kampagne gegen den Islamischen Staat (IS) für restriktivere Einsatzregeln ausgesprochen, um die Zahl der Opfer in der Zivilbevölkerung zu verringern. Damit habe er sich jedoch nicht durchgesetzt. Zunächst waren es die Republikaner im Kongress, die eine Intervention des Militärs in Syrien wollten, doch wird Austin nachgesagt, dass er nicht durchsetzungsstark sei, auch wenn es um bedeutende Themen wie Völkerrecht oder Kriegsverbrechen gehe.
General Austin war es auch, der bei einer Anhörung im Kongress im Jahr 2015 zugeben musste, dass der 500-Millionen-US-Dollar teure Versuch des US-Verteidigungsministeriums, eine Armee syrischer Kämpfer aufzubauen, nicht den gewünschten Erfolg gebracht hatte.
Im April 2016 schied er aus dem Militär aus und kam etwas später zum Vorstand von United Technologies, einem Rüstungsunternehmen, das später mit Raytheon fusionierte. Raytheon schloss im Jahr 2019 den kolossalen Deal zum Waffenverkauf im Wert von 8 Milliarden US-Dollar mit Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten ab, während diese den Krieg im Jemen mit vorantrieben. Insbesondere Luftangriffe führten im Jemen zu unzähligen zivilen Todesopfern, was zu diesem Zeitpunkt längst auch durch humanitäre Organisationen benannt wurde, ungeachtet dessen umfasste der Waffendeal dennoch auch Luft-Boden-Munition. Während Abgeordnete der Demokratischen Partei im Kongress den Verkauf aus diesen Gründen blockierten, setzte die Trump-Administration den Deal auf der Basis eines umstrittenen Ausnahmezustandes durch.
Neben seiner Tätigkeit bei Raytheon trat Austin auch noch dem Aufsichtsrat des Stahlproduktionsunternehmens Nucor Corporation, der Tenet Healthcare Corporation und der Guest Services, Inc. bei.
Austin soll – ebenso wie Antony Blinken: Bidens Kandidat für das Amt des Außenministers – Verbindungen zu dem Investmentunternehmen Pine Island Capital Partners haben, welche laut New York Times jüngst Hunderte von Millionen US-Dollar für Akquisitionen in Rüstungsunternehmen aufgewandt hat. Erst im letzten Monat hat Pine Island laut The Intercept 218 US-Millionen Dollar aufbracht, um Investitionen in "Unternehmen in den Bereichen Verteidigung, Regierungsdienst und Luft- und Raumfahrtindustrie" zu finanzieren. Austin wäre zwar nur einer von zahlreichen US-Generälen und militärischen Spitzenbeamten, die im Privatsektor lukrative Positionen annehmen.
Der Posten des US-Verteidigungsministers ist aber laut Gesetz ein ziviles Amt und sollte nicht von kürzlich in den Ruhestand getretenen Offizieren bekleidet werden. Demnach sei für den Übergang vom Militär zum Kabinett eine mindestens siebenjährige Übergangsphase vorgesehen, welche Austin noch nicht durchlaufen hat. Wie im Fall von Trumps Verteidigungsminister General James Mattis müsste der US-Kongress auf diese Anforderung zu verzichten, um den Kandidaten Austin zu bestätigen; damals hatten sich mehrere Vertreter der Demokratischen Partei gegen diese Sondergenehmigung ausgesprochen. Auch wird seine Nominierung vom Senat bestätigt werden müssen. Dort sind die Mehrheiten bis zu den Stichwahlen im Januar unklar.
Die Senatorin und ehemalige Präsidentschaftskandidatin der Demokraten Elizabeth Warren hatte sich besonders mit den möglichen Interessenkonflikten bezüglich Espers früherer Position als Spitzenlobbyist für Raytheon befasst und ihn bei der Bestätigungsanhörung entsprechend aufgefordert, sich in seinem Amt aus Verbindungen zu dem Rüstungskonzern zurückzuziehen, was Esper offenbar zuvor abgelehnt hatte. Gegenüber dem CNN betonte Warren am Dienstag, dass sie sich gegen die Nominierung Austins aussprechen werde, weil der Kongress kürzlich in den Ruhestand getretene Generäle nicht annehmen solle. Bleibt abzuwarten, wie andere Abgeordnete der Demokratischen Partei, die der Nominierung von Mattis noch kritisch gegenüberstanden, mit der Personalie Austin umgehen.
Zumindest hatte der Senator Jack Reed aus Rhode Island, Top-Politiker im Streitkräfteausschuss, nach der Bestätigung von James Mattis angedeutet, dass er sich gegen eine wiederholte Ausnahme von der Regelung einer siebenjährigen Übergangsphase stellen würde. Nachdem er dem umstrittenen Kandidaten Mattis zugestimmt hat, betonte er am Dienstag mit Bezug auf Austin allerdings zweideutig, dass er diese Nominierung sorgfältig prüfen werde und die Verzichtserklärung nicht von der Person zu trennen sei, welche nominiert wurde.
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