Meinung

Klimakonferenz in Bonn, Fridays for Future, der Klimawandel und die deutsche Scheindebatte

"Fridays for Future" wird seitens Politik und Medien große Sympathie entgegengebracht, Greta Thunberg mit Preisen überhäuft. Doch wie sieht es strukturell aus? Können wir so etwas wie die komplette Neuausrichtung der Gesellschaft überhaupt bewältigen? Die Antwort ist: Nein!
Klimakonferenz in Bonn, Fridays for Future, der Klimawandel und die deutsche ScheindebatteQuelle: Reuters © Wolfgang Rattay

von Gert Ewen Ungar

Am Montag hat sie begonnen, die Klimakonferenz in Bonn, auf der die Weltklimakonferenz vorbereitet wird, die im November in Chile stattfinden soll.

Klima und der Klimawandel sind zurzeit die ganz großen Themen. In Deutschland dominiert das Thema die Nachrichten, spätestens seitdem Schüler immer freitags ihrer Sorge um das Klima mit Schulstreiks Ausdruck verleihen. Da häufen sich unmittelbar Fragen an wie beispielsweise: Schule schwänzen fürs Klima ja oder nein? Wer der Meinung ist, Schüler sollten in der Schule eigentlich etwas lernen und nicht jeden Freitag der Schule fernbleiben, bekommt den rechten Stempel aufgedrückt. Mit diffamierender Kategorisierung war man in Deutschland noch nie zimperlich.

Die "Fridays for Future"-Proteste werden aktuell medial zu Tode umarmt, Greta Thunberg, die Ikone der Bewegung, mit Preisen, Auszeichnungen und Einladungen überschüttet. Das mutet bizarr an. Wenn die Mächtigen und Machthaber eine Bewegung und ihr Aushängeschild lobend fördern, sollte sich die Bewegung sofort fragen, was sie falsch macht. Und diese macht zwei Dinge grundlegend falsch.

Zum einen: Eine Frage wird partout nicht gestellt. Die Frage, ob wir es mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln überhaupt schaffen können, einen Wandel im Wirtschaften herbeizuführen, der den Klimawandel begrenzt.

Die schlechte Nachricht vorweg: Nein, wir werden die Klimaziele nicht erreichen, wir werden keinen Beitrag dazu leisten, den Klimawandel zu stoppen oder zu begrenzen. Im Gegenteil.

Wir werden es nicht schaffen, weil an den zentralen Schaltstellen der Gesellschaft das System, nach dem diese Gesellschaft wirtschaftet, nicht verstanden wurde.

Es soll hier im Folgenden nicht diskutiert werden, inwieweit der Weltklimarat und seine Prognosen politisch motiviert sind. Es soll hier im Folgenden lediglich analysiert werden, ob wir – gemeint ist hier vor allem Deutschland – überhaupt in unserer derzeitigen Verfassung in der Lage sind, ein umfassendes Projekt gemeinsam umzusetzen. Und umfassend ist das Projekt, den CO2-Ausstoß in einer Größenordnung zu reduzieren, dass eine nach den aktuellen Berechnungen Begrenzung des globalen Temperaturanstiegs von maximal zwei Grad erreicht wird.

Wie gesagt, es geht hier nicht um eine Diskussion zwischen Klimaskeptikern und Klimaschützern. Es geht hier lediglich um die Analyse, ob Deutschland überhaupt in seiner Struktur die Möglichkeit hat, sich angesichts von Krisen fundamental neu auszurichten.

Die Antwort darauf ist ganz klar: Nein! Wir haben diese Möglichkeit nicht.

Wir haben sie deshalb nicht, weil bisher alle Ideen darauf basieren, dass das ökonomische System, nach dem wir wirtschaften, in seinem Kern nicht verändert werden darf. Der Markt wird das schon irgendwie regeln, ist der Grundgedanke. Genau das wird er aber nicht, denn der Markt regelt entgegen einem weit verbreiteten Vorurteil ganz einfach gar nichts.

Man muss gar nicht ins Große schauen, auf die westlichen Länder in ihrer Gesamtheit, um zu erkennen, dass wir zu solchen Projekten aktuell nicht in der Lage sind. Man sollte in diesem Zusammenhang auch nicht auf die USA blicken, die aus dem Klimaabkommen ausgestiegen sind. Man kann in Deutschland bleiben und sich die Vorschläge der Parteien dazu anschauen.

Es wird schnell klar, diejenigen Parteien der Republik, die den Klimawandel nicht grundsätzlich infrage stellen, setzen im Kern auf eine Änderung des Verbraucherverhaltens, um die vorgegebenen Klimaziele zu erreichen. Das ist in unglaublicher Weise naiv und bezeugt, dass im politischen Nukleus unserer Gesellschaft, in den Parteien selbst, das System, nach dem unsere Gesellschaft funktioniert, nicht verstanden wurde.

Auch die CO2-Steuer wird den CO2-Ausstoß nicht mindern, wohl aber die Spaltung von Gesellschaft vorantreiben. Sie wird die Gesellschaft in einen reichen mobilen Teil und einen armen nicht mobilen Teil spalten, wenn man nicht unglaublich viel Geld in die Hand nimmt, mit dem Infrastrukturprojekte angeschoben werden, die ökologisch verträgliche Mobilität für alle ermöglichen. Der Schienenverkehr wäre da das Naheliegendste. Allerdings passiert seit Jahren genau das Gegenteil, denn in Deutschland werden Schienenkilometer und Serviceleistungen der Bahn zurückgebaut. Ein umfassender Ausbau wird zugunsten von einzelnen Prestigeprojekten wie Stuttgart 21 hintangestellt. Die Bahn in Deutschland ist teuer und schlecht. Sie wurde auf einen Stand zurückgespart, der einem nicht entwickelten Land entspricht. Nun hat aber außer der Partei "Die Linke" keine Partei die Forderung im Programm, gerade hier im großen Stil anzusetzen und Schienenverkehr günstig und attraktiv sowie die marktradikalen Sünden der Vergangenheit rückgängig zu machen.

Für viele, insbesondere die "Fridays for Future"-Generation, sind die Grünen die politischen Hoffnungsträger. Aber gerade die Grünen opfern immer dann, wenn sie an Regierungen beteiligt sind, bereitwillig ökologische Ziele. Das gilt für Baden-Württemberg ebenso wie für Hessen, wo die Grünen den Flughafenausbau mittragen.

Auch in Berlin schiebt die Senatorin für Wirtschaft, Energie und Betriebe, Ramona Pop (Grüne), die Verantwortung den Verbrauchern zu, wie sie in einem taz-Interview hervorhebt. Auf die Frage nach den steigenden Passagierzahlen der Berliner Flughäfen und einer politischen Antwort darauf, sagt sie, das müsse sich jeder fragen, der fliegt. Pop, so erfährt der Leser, hofft auf die Entwicklung von Solarflugzeugen. Das mutet für eine Realpolitikerin doch erstaunlich weltfremd an.

Das heißt im Klartext: Mit den Grünen wird es einen klaren Wandel nicht geben. Auch der als Kanzlerkandidat gehandelte Habeck stellt ökologische Bedenken gern hintan. Er ist Fan von US-amerikanischem Fracking-Gas und ließ in seiner Zeit als Minister für Energiewende und Umwelt in Schleswig-Holstein ein LPG-Gas-Terminal für Fracking-Gas bauen, worauf Telepolis in einem Beitrag hinweist.

Die Grünen werden sich bei einer Regierungsbeteiligung im Bund daher schnell selbst entzaubern. Es werden FDP und Neoliberalismus zurückbleiben, wo ökologisch und grün draufstand. Das ist schon heute deutlich erkennbar. Der grüne Chefideologe Fücks, einst Leiter der parteinahen Heinrich-Böll-Stiftung und jetzt oberster Think-Tanker beim stramm transatlantisch ausgerichteten Zentrum Liberale Moderne, gibt heute schon jeden ökologischen Gedanken preis. Er setzt auf grünes Wachstum, das irgendwie aus den Kräften des Marktes kommen soll. Ob er es selbst glaubt oder ob all das der Lobby geschuldet ist, die hinter ihm steht und für die er arbeitet, bleibt sein Geheimnis. Eine ernstzunehmende Position ist das natürlich nicht.

Bei den anderen Parteien sieht es ähnlich aus. Konsens ist, der Klimawandel ist ein wichtiges Thema, über das man sprechen muss, aber es darf sich im Wesentlichen nichts ändern.

Die CDU will an den privaten Verkehr nicht tasten, hält Verbote in diesem Zusammenhang für nicht förderlich, erzählt im gleichen Atemzug etwas von Flugtaxis für jedermann und möchte, dass die Leute persönlich Spaß daran haben, etwas gegen den Klimawandel zu tun. Nein, das sollte keine Satire sein, die CDU meint das ernst.

Die Position der SPD lässt sich ganz kurz zusammenfassen. Sie macht auch im Zusammenhang mit dem Klimawandel das, was sie am besten kann: schöne Worte ohne Inhalt.

Dieser kurze Einblick in die Parteienlandschaft zum Thema sagt deutlich: Wir werden es nicht schaffen. Mit deren Marktradikalismus haben sich die Parteien im Hinblick auf einen zentralen Punkt gesellschaftlichen Gestaltens selbst entmachtet.

Will man große Projekte gestalten, will man Gesellschaft neu ausrichten, ist es unmöglich, eine zentrale Steuerungskomponente aus der Hand zu geben und diese sich selbst und anonymen Akteuren zu überlassen. Der Markt muss geregelt werden. Er braucht die Impulse der Politik und gesetzliche Vorgaben, die für einen langen Zeitraum Planungssicherheit geben. Nur dann kann der Markt seine Innovativkraft zielgerichtet entfalten. Will man ernsthaft gestalten, muss man sich vom marktradikalen Dogma der letzten Dekaden verabschieden. Nicht ein bisschen oder in Teilen, sondern vollständig und umfassend. Das hat die Bewegung Fridays for Future derzeit noch nicht erkannt, weswegen ihr medial und politisch eine derart große Bühne geboten wird. Sie ist für das Establishment gänzlich ungefährlich. Die Aufregung wird sich legen, im Grundsatz ändern wird sich nichts, denn es werden die wichtigen Fragen gar nicht gestellt.

So ist auch abzusehen, was von all dem Hype um den CO2-Ausstoß bleiben wird. Es wird sich eine weitere Spaltung der Gesellschaft ganz im neoliberalen Sinne auftun. Die CO2-Steuer wird vermutlich kommen, in allen maßgeblichen Institutionen bis hin zur UNO wird aktuell dafür getrommelt. Sie wird den CO2-Ausstoß nicht mindern, denn es wird für diejenigen Ausnahmen geben, die in großem Maße ausstoßen. Man kennt das aus anderen Zusammenhängen. Sie wird die finanziell Schwachen treffen.

Die "Fridays for Future"-Proteste sind das ideale Vehikel dafür, alles unverändert zu lassen. Als Bewegung lassen sie sich erschreckend leicht instrumentalisieren, sodass sie ihren Beitrag zur Vertiefung der gesellschaftlichen Spaltung leisten. Das ist das Zweite, was sie grundlegend falsch machen. Sie durchschauen nicht, wozu sie benutzt werden. Große Projekte, gesellschaftliches Umsteuern schafft man nur solidarisch. Dazu müssen Brücken gebaut und Gräben überwunden und nicht ab- und aufgerissen werden. Wo Einschnitte notwendig sind, muss es solidarischen Interessenausgleich geben. Es müssen alle mitgenommen werden, sonst lassen sich grundlegende gesellschaftliche Änderungen nicht umsetzen.

Niemand hat das so gut verstanden wie der Neoliberalismus, der genau aus diesem Grund jede Form der Solidarität untergräbt, indem er gesellschaftliche Gruppen identifiziert und kreiert, sie schließlich gegeneinander in Position bringt. Die Generationen gegeneinander wie in der Klima- und Rentendiskussion, schwul gegen hetero, arm gegen … nun eben nicht gegen reich, sondern gegen noch ärmer. Nur so kann er sicher sein, dass sich im Kern nichts ändert und die Form der ökonomischen Umverteilung nicht angetastet wird. Wir haben uns derart in einem ökonomischen Modell verrannt, dass wir selbst dann, wenn wir etwas als existentiell bedrohlich wahrnehmen, nicht wirksam umsteuern können. Wir werden es nicht schaffen. Das wissen die, die gerade in Bonn zusammengekommen sind, wohl am besten.  

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