Meinung

Tag des Sieges, Iran-Abkommen, Gelbwesten-Appell: Ein Wochenrückblick auf den medialen Abgrund

Der Tag des Sieges, das Atomabkommen mit dem Iran und ein Soli-Appell mit den Gelbwesten: Vor allem diese Themen boten den Mainstreammedien in dieser Woche Anlass für verzerrende Berichterstattung.
Tag des Sieges, Iran-Abkommen, Gelbwesten-Appell: Ein Wochenrückblick auf den medialen AbgrundQuelle: Sputnik

von Thomas Schwarz

 Am Tag des Sieges wird dem Niederringen Nazi-Deutschlands durch die Sowjetunion gedacht. Es müsste ein Tag sein, an dem sich die Redakteure deutscher Zeitungen mit Demut an die deutschen Verbrechen in der einstigen Sowjetunion (und dabei auch gegen Russen) erinnern und sich mit einer Bitte um Vergebung vor den Millionen Opfern dieses Vielvölkerstaates verneigen. Dass diesem Tag von zahlreichen deutschen Seiten mittlerweile mit Häme, Propaganda und radikaler Geschichtsvergessenheit begegnet wird, ist ein Skandal.

Deutsche Journalisten zum Tag des Sieges: Schäbig und taktlos

Beispielhaft – leider nicht beispiellos – für diese schäbige und taktlose Haltung vieler deutscher Journalisten, die selbst an diesem Tag nicht von der Meinungsmache gegen den auserkorenen geopolitischen Konkurrenten Russland lassen können, sei hier ein Beitrag des freien Journalisten Klaus-Helge Donath in der taz betrachtet. Donath schreibt als "Korrespondent" aus Russland für diverse Zeitungen. Dass die taz diesem einschlägig bekannten Journalisten noch immer ein Forum bietet, illustriert gut die bedenkliche und mittlerweile bekannte Entwicklung der Zeitung.

Unter dem Titel "Paranoider Gedenkkult" beschreibt Donath, wie der "Tag des Sieges" angeblich seinen Charakter als ein "Innehalten im persönlichen Gedenken" verloren habe. Wegen des "Oberkommandierenden Wladimir Putin" sei es nun "ein völlig anderer Tag". So sei die Erinnerung an den Großen Vaterländischen Krieg inzwischen "zur ideologischen Hauptstütze des Kremls" geworden:

Begleitet von Ablehnung, Falsch- und Verlogenheit und der Unterstellung, Andersdenkende seien per se Feinde: Jeder wolle dem (reichen) Land ans Zeug flicken. Moskau zelebriert Isolation, provoziert Ablehnung und erntet Gegenmaßnahmen. Es führt sich auf wie ein Paranoiker, hält sich selbst frei von jeglichen Fehlern.

Donath behauptet einfach mal:

In den 27 Jahren seit Ende der Sowjetunion führte Moskau 19 Jahre lang Krieg.

Die taz instrumentalisiert die Toten

In einem Akt anmaßender Leichenfledderei unterstellt Donath schließlich auch noch den Weltkriegs-Toten – die sich dagegen nicht mehr wehren können – eine "Opposition" zu dieser Art des Gedenkens:

Die toten Frontowiki können noch so laut vor dem aufdringlichen Totenkult mahnen. Sie werden nicht gehört, genauso wenig wie die alten Sowjets, die seit der atomaren Bewaffnung im Interesse des Überlebens – wie in der Kubakrise – gar zum Nachgeben bereit waren. Heute steht es anders. Das schwache politische System gelangt an seine Grenzen. Es müsste sich öffnen, spielt aber mit der Drohung, die Welt aus den Angeln zu heben.

Die alte Leier von den "Nachtwölfen"

Die alte Hassliebe deutscher Medien zu dem russlandfreundlichen Rockerclub "Nachtwölfe" erklärt sich durch das Potenzial der Instrumentalisierung: Die Bilder der (wie Rocker sich nun mal geben) "martialisch" anmutenden Gruppe eignen sich zur Einschüchterung und sie passen perfekt in jene Diffamierungs-Spielart gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin: nämlich die als "Macho".

Dementsprechend inflationär wurde über das Berliner Gedenken der Gruppe zum Tag des Sieges berichtet, vor allem in Form von Videos, etwa hier bei der Bild-Zeitung. N-tv erklärt seinen Nutzern die Bilder von den Rockern so: "Die Motorradfahrer gelten als Unterstützer Putins und der völkerrechtswidrigen Annexion der ukrainischen Schwarzmeerhalbinsel Krim durch Russland." Und auch die Zeit hat ihr "Nachtwölfe"-Video. Die interessanteren – wenn auch eigentlich vorauszuschickenden – Infos findet man, aber erst in den Kommentaren. Auf die provozierende Frage im dortigen Forum, warum die Rocker das Gedenken denn nicht in Moskau zelebrieren, antwortet ein Nutzer: "Weil der Krieg in Berlin beendet wurde und viele gefallene Soldaten der Roten Armee dort ruhen."

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 "Russland investiert verstärkt in die Streitkräfte"

Eine weitere Medien-Strategie zum Tag des Sieges ist die Betonung des Militärischen. So erklärt die Tagesschau: "Bei der Militärparade zum Jahrestag des Sieges über Nazi-Deutschland hat Präsident Putin die militärische Stärke Russlands betont." Und die FAZ schreibt: "Viele Russen leben in Armut, doch immer mehr Geld fließt ins Militär." Der Artikel von Kerstin Holm fabuliert von "blankgeputzten Panzern, Raketenwerfern, Luftabwehr- und Interkontinentalraketen".

Holm behauptet in der FAZ: "Russland trägt schwer an seinem Militarismus. Während die Realeinkommen der Bürger das fünfte Jahr in Folge sinken, investiert der Staat verstärkt in die Streitkräfte und Sicherheitsstrukturen." In diesem Zusammenhang sind die aktuellen Zahlen zu Rüstungsausgaben interessant, nach denen Russlands Militärausgaben mitnichten "verstärkt" werden, sondern zum dritten Mal in Folge sinken würden und es bei diesem Ausgabenposten weltweit nun mittlerweile noch hinter Frankreich auf Platz sechs liege. Man könnte auch, wie die Deutsche Welle, darauf hinweisen, dass allein die USA "2018 mehr als zehn Mal so viel Geld für Verteidigung ausgegeben haben wie Russland". Aber das wäre dann ja bestimmt "Whataboutism".

Die Gelbwesten, die Medien und ein totgeschwiegener Appell

Propaganda äußert sich nicht nur in direkter Verzerrung von Sachverhalten. Oft wird die gewünschte Wirkung bereits durch das Weglassen von Informationen erreicht. Ein Beispiel für diese Propaganda durch Verschweigen konnte auch in dieser Woche wieder beobachtet werden: Man stelle sich vor, in Russland hätten sich über 1.400 teils prominente Künstler und Kulturarbeiter in einem leidenschaftlichen Appell hinter regierungskritische Demonstranten und gegen die Politik des Präsidenten Wladimir Putin gestellt. Die großen deutschen Medien würden diesen Vorgang tagelang ausschlachten, sie würden die Meinung der Künstler als die Sichtweise des "russischen Volkes" verkaufen und würden emotionale Homestorys mit ausgewählten Unterzeichnern des Appells produzieren.

Gerade gab es einen solchen Appell - allerdings nicht in Russland, sondern in Frankreich: Mehr als 1.400 Künstler, teils aus der ersten Reihe der Kulturszene, haben sich in einem leidenschaftlichen Appell in der Zeitung Libération mit der Bewegung der Gelbwesten solidarisiert und sich gegen die mediale Diffamierung dieser Bürger als "anti-ökologisch" oder "rechts" gewandt - RT hat den Appell hier übersetzt. Doch weil sich der Vorgang im Westen zugetragen hat, weigern sich viele westliche Medien, über das vor ihrer eigenen Haustür angemessen zu berichten. So zeigten in Deutschlands Zeitungen bisher nur der Tagesspiegel und die FAZ Interesse, letztere versteckt den Beitrag gleich noch hinter der Bezahlschranke. 

"Die bedrohlichste Gewalt ist die wirtschaftliche und soziale"

Dabei hat es der Appell in sich und hätte durchaus das Potenzial für spektakuläre Berichte. So wird in dem Aufruf zum einen die Polizeigewalt scharf kritisiert. Es wird aber betont, dass es noch eine andere, erheblich mächtigere und destruktivere Gewalt gibt – nämlich jene, die das wirtschaftsliberale System selbst entfaltet, wie die Unterzeichner betonen:

Die bedrohlichste Gewalt ist die wirtschaftliche und soziale. Es ist die Gewalt einer Regierung, die die Interessen einiger weniger auf Kosten aller verteidigt. Es ist die Gewalt, die die Körper und Köpfe derjenigen zeichnet, die sich bei der Arbeit ruinieren, um zu überleben.

Gelbwesten in den Medien: "Anti-ökologisch" und "rassistisch"

Eindeutig wenden sich die  Kulturschaffenden gegen die infamen Medienkampagnen, die die Gelbwesten und ihre Unterstützer in eine "Nazi"-Ecke stellen wollten:

Wir lassen uns nicht täuschen! Wir können die übermäßig abgenutzten Strategien sehen, mit denen die Gelbwesten diskreditiert werden sollen, die als Antiökologen, Extremisten, Rassisten beschrieben werden.

Die NachDenkSeitenschreiben zu dem Vorgang, Propaganda sei nur dann effektiv, wenn sie auf keinen (akzeptierten und hörbaren) Gegenpol treffe.

Einen solchen Gegenpol hätten die französischen Künstler nun geschaffen:

Wer die Gelbwesten als anti-ökologische Nazis verunglimpft, schließt ab jetzt die Schauspiel-Ikone Juliette Binoche in dieses Urteil ein. Das macht es den Medienkonzernen erheblich schwieriger, mit dieser Diffamierung fortzufahren.

Der französische Appell zeigt Wirkung - Die deutsche Kulturszene zaudert

Dieser Gegenpol zeigt auch schon Wirkung. So stellt der Spiegel aktuell fest, "wo die Gelbwesten Recht haben" und fordert: "Eigentlich müssten sie in ganz Europa demonstrieren - auch in Deutschland". Und auch der Tagesspiegel gesteht nun ein, dass "die Medienversion von den Gelbwesten als einer gewaltbereiten Horde antisemitischer, homophober Rechtsradikaler nicht zu halten ist".

Dass die Unterzeichnung eines solch deutlichen Appels dennoch nicht ohne Risiko ist, zeige etwa der Fall des Schriftstellers  Peter Handke, der von vielen Medien fertiggemacht worden sei, als er es wagte, sich gegen die dominante offizielle Propaganda vor dem Jugoslawienkrieg zu stellen, so die NachDenkSeiten. Das Medium fragt auch, warum eine solch eindeutige und riskante Meinungsäußerung vom deutschen Kulturbetrieb nicht zu erwarten ist. Zu dieser Frage zitiert auch der Dramaturg Bernd Stegemann – eine der positiven Ausnahmen in der deutschen Kulturszene – einen Erklärungsversuch:

Einer interessanten Theorie zufolge haben sich die linken Kräfte in den Neunzigern mit dem Erstarken von Globalisierung und Neoliberalismus ein neues Betätigungsfeld gesucht. Weil sie merkten, dass ihnen die Mittel aus der Hand genommen wurden, die soziale Frage noch machtpolitisch zu stellen, haben sie sich auf das neue Feld der symbolischen Anerkennung verlegt. Damit haben sie unwillentlich ein Bündnis geschlossen, das Nancy Fraser 'progressiven Neoliberalismus' nennt.

Der Iran, das Atom-Abkommen und die Meinungsmache

Beim Thema Iran begnügen sich viele große Medien nicht damit, wie beim hier besprochenen Künstler-Appell, wichtige Tatsachen unter den Tisch fallen zu lassen. Die Debatte um das Atomabkommen lieferte etwa dem Deutschlandfunk die Vorlage für grobe Verzerrungen. In diesem Zusammenhang erscheint der erste Satz des Artikels von Bettina Klein fast wie Satire: "Politik beginnt mit der Anerkennung von Tatsachen." Eine dieser "Tatsachen" ist dann laut Klein, dass im Zusammenhang mit Iran nun "ausgerechnet die Trump-Regierung die Europäer an ihre Werte erinnern müsse". Doch an welche "Werte" erinnert denn der US-Präsident durch seinen gefährlichen Wankelmut gegenüber Iran: an den der Vertrags-Untreue?

Dann nutzt Klein die Medien-Taktik der gestapelten Vorwürfe: Diese in Aufzählungen vorgebrachten Anschuldigungen werden nicht einzeln unterfüttert, sondern sollen durch die schiere Masse der Aneinanderreihung gleich vielfacher Verfehlungen den Leser überrumpeln. Die Vorwürfe etwa gegen den Iran erscheinen durch eine solche Kombination dann als besonders umfassend: "Die Entwicklung eines ballistischen Raketenprogramms, die Unterstützung terroristischer Organisationen, eine aggressive Außenpolitik".

"Die Gewalt in der Region und die Beteiligung des Iran daran"

Es sei zudem – "angesichts der Gewalt in der Region und der Beteiligung des Iran daran" – zynisch zu behaupten, bis zum Ausstieg der USA aus dem Iran-Abkommen sei alles bestens gewesen. Klein fordert nichts weniger als einen "Umbau in der Außenpolitik". Dieser sollte vor allem ein Ziel haben: "einen schlagkräftigen Auswärtigen Dienst".

Einen Gegenpol zu dieser Sicht bot etwa das Handelsblatt, das fordert, Europa müsse den Iran stärken, da sonst ein neuer Golfkrieg drohe: "Die EU muss sich der Iranpolitik der USA jetzt entschlossen entgegenstellen." Und German Foreign Policy beschreibt, dass die Berliner Bemühungen, mit einem Finanzvehikel nach Art einer Tauschbörse den Iranhandel zu retten, nicht fruchten und Washington neue Drohungen gegen das Vehikel ("INSTEX”) ins Spiel bringe. Dieses Medium thematisiert dann auch in diesem Zusammenhang die schwache Haltung des deutschen Außenministers: "Heiko Maas fordert trotz der atomvertragswidrigen De-facto-Handelsblockade gegen Iran, Teheran müsse das Abkommen 'vollumfänglich' einhalten."

Willkürliche US-Sanktionen, mangelhafte EU-Unterstützung

Im Gegensatz zu vielen großen Medien bringt die Bundestagsfraktion der Linkspartei die Problematik und Dramatik des Themas einmal mehr auf den Punkt und fordert: "Iran-Atomabkommen retten und US-Feldzug verhindern." Die Bundesregierung müsse alles daran setzen, zusammen mit der EU, Russland und China das Atomabkommen mit Iran zu retten und einen neuen US-Feldzug im Mittleren Osten zu verhindern. Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Sevim Dağdelen betont zudem, die Bundeskanzlerin und ihr Außenminister müssten klarstellen, "dass die US-Militärstützpunkte in Deutschland nicht für mögliche Angriffe genutzt werden dürfen", und benennt die ihrer Meinung nach Verantwortlichen der aktuellen Eskalation:

Der angekündigte Teilausstieg des Iran aus dem internationalen Atomabkommen ist eine Konsequenz der mangelhaften Unterstützung durch die europäischen Vertragspartner gegen die USA und deren willkürliche Sanktionen. Bundesregierung und EU dürfen Teheran mit der weiteren Umsetzung der Vereinbarung nicht alleinlassen.

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