Meinung

Showdown in Idlib: Damaskus ist heiß auf die "Mutter aller Schlachten"

Die Offensive der Syrischen Arabischen Armee (SAA) zur Befreiung der Provinz Idlib steht kurz bevor. Während der Vorbereitung verhandelt Russland mit der Türkei. Doch das Gezerre um Ankara wird zunehmend zum Hemmschuh für die Konfliktlösung in Nordwest-Syrien.
Showdown in Idlib: Damaskus ist heiß auf die "Mutter aller Schlachten"  Quelle: Reuters © Ammar Abdullah

von Jürgen Cain Külbel

Als ich zu Friedenszeiten mit dem Auto von Latakia nach Aleppo fuhr, die höchste Stelle der Straße, den Bdama-Pass, die Wasserscheide zwischen Mittelmeer und Orontes-Tal überquerte, gelangte ich in die Provinz Idlib. Nach der Abfahrt in scharfen Kurven lag im Tal das Städtchen Dschisr asch-Schughur zu meinen Füßen, im breiten Orontes-Tal gelegen, in der Ebene al-Ghab, dort, wo Saladin 1188 die Kreuzritter schlug. Heute sind die Stadt, das bergige, landschaftlich schöne und fruchtbare Land, die Ortschaften, Felder, Farmen fest in Terroristenhand. Damals jedoch fuhr ich durch ein friedliches Land. Am Straßenrand boten Bauern Früchte feil; ich erinnere mich, Orangen gekauft, mit den Einheimischen lachend geradebrecht zu haben.

Die Stimmung war von Erleichterung gezeichnet; die kriegsgeile US-Administration unter Präsident Bush Junior, allen voran der ewig out of controll agierende Neocon John Bolton, seinerzeit Botschafter der USA bei den Vereinten Nationen, hatten gerade eine Riesenschlappe erlitten: wollten sie doch der Regierung in Damaskus das tödliche Attentat auf den libanesischen Premier Rafik Hariri in die Schuhe schieben, so den Regime-Change in Syrien auslösen. Doch der Versuch scheiterte, als herauskam, dass der zur Untersuchung des Verbrechens eingesetzte Berliner Oberstaatsanwalt Detlev Mehlis die Syrer mittels gefälschter Beweise an den Pranger stellen wollte. Die Amerikaner geiferten, die Syrer feierten.

Und der Großmufti von Syrien, Dr. Ahmad Badr ad-Din Hassun, den ich damals in Aleppo traf, sah „ein Licht am Ende des Tunnels“ für sein von der westlichen Wertegemeinschaft zur Destruktion als "vogelfrei" erklärtes Land. Mit Dr. Hassun und dem syrisch-orthodoxen Erzbischof Mor Gregorios Johanna Ibrahim, der am 22. April 2013 zusammen mit dem griechisch-orthodoxen Erzbischof Paul (Bulos) Jasidschi von Terroristen entführt worden war - beider Schicksal ist bis heute unklar - zog ich in Aleppo „um die Häuser“. So besuchten wir auch eine Feierstunde anlässlich der 17. Jahrhundertfeier des Geburtstages von Ephräm dem Syrer - einem Heiligen, Schriftsteller, Kirchenlehrer. „Schreib das auf, wie Moslems und Christen in Syrien gemeinsam feiern“, riet mir der Großmufti.

Wie daneben er doch lag mit seinem „Licht am Ende des Tunnels“. Es war das falsche Licht; am Ende des Tunnels irrlichterten bereits die aggressiven Vertreter der westlichen Welt, eine auf Kriege spezialisierte Gesellschaftsform, die seit Jahrhunderten die Beraubung anderer Völker unter dem Deckmantel scheinheiliger, vorgeblich humaner, demokratischer Missionen bis zur Perfektion betrieben hat und weiterhin vorantreibt.

Die Amerikaner, Franzosen, Briten, Türken, Deutschen, Israelis, dazu die Kataris, Saudis – all die falschen Freunde Syriens mit gedungenen Terrorsöldnern im Schlepptau – lechzten nach Beute und Landnahme. Anfang 2011 begann die Bande, Syrien in Schutt und Asche zu legen; allein sie sind verantwortlich für mehr als 350.000 Tote, dafür, dass über die Hälfte der syrischen Bevölkerung entweder als Flüchtlinge ins Ausland oder innerhalb Syriens vertrieben worden sind. Absurd auch die täglichen Versuche der Lossagung von den Verbrechen der Aggressoren durch eine westliche Medienlandschaft, die ganz und gar im Eigentum der Verbrecher steht: Der Mörder, der als Ankläger, Verteidiger, Geschworener und Richter zugleich seinen Freispruch vermeldet.

Die Syrer im Siegesrausch

Auch Saria, der 22jährige Sohn des Großmufti, wurde im Sommer 2011 zusammen mit seinem Geschichtsprofessor, Dr. Mohammed Al-Omar, in Aleppo auf offener Straße von Terroristen erschossen. Heute ist Aleppo befreit, doch das ländlich geprägte Idlib an der Grenze zur Türkei gehört noch immer den Terroristen. Idlib ist die letzte regierungsfeindliche Hochburg des Landes. 2,9 Millionen Menschen, so die UNO, leben in der gebirgigen Region. Mindestens 40 Prozent sind Binnenflüchtlinge, darunter Zehntausende besiegte Assad-Gegner, die einst mit grünen Bussen aus den befreiten Rebellenenklaven evakuiert wurden. Die Zahl der Bewaffneten wird auf 100.000 geschätzt; die Hälfte davon gehört zur Terrorgruppe Haiʾat Tahrir asch-Scham (HTS), ehemals Dschabhatal-Nusra, dem syrischen Zweig von al-Kaida.

Teile der Provinz sind zudem unter Kontrolle des Islamischen Staates (IS). Kämpfer aus China, Pakistan, Afghanistan, Tschetschenien gehören den Gruppierungen an. So auch Tausende hartgesottene militante Uiguren, was der Regierung in Peking Sorgen bereitet, da die eine Gefahr für Chinas nationale Sicherheit darstellen. Peking will eine Anzahl von Soldaten und Militärberatern nach Syrien entsenden, mit den Geheimdiensten kooperieren, um die Uiguren daran zu hindern, heimzukehren und dort Terroranschläge zu verüben.

Die diversen Extremisten und Terroristen kontrollieren 60 Prozent der Provinz Idlib, lieferen sich mit konkurrierenden „Gruppen“ immer wieder blutige Scharmützel. Nachdem die Syrische Arabische Armee (SAA) die Vorstädte von Damaskus von der bewaffneten Opposition, die Kontrolle über Daraa, den Ausgangspunkt des siebenjährigen Krieges in Syriens im Jahre 2011, zurückerobert hatte, kündigte Präsident Baschar al-Assad Ende Juli an: „Idlib ist nun das nächste Ziel.“

Schon am 13. Juni hatte er im iranischen TV-Sender Al Alam erklärt, es gebe in Syrien zwei Achsen:

Eine unterstützt den Terrorismus, wird von den USA, Israel, einigen Lakaien in der Region vertreten, darunter einige arabische und nicht-arabische Staaten, und eine Anti-Terror-Achse. Die erste Achse unterstützt den Terrorismus und strebt nach Hegemonie, während die zweite Achse nach Unabhängigkeit strebt. Also kann es nur ein Ergebnis in dieser Konfrontation geben, d.h. den Sieg einer dieser Achsen… Jedenfalls hat unser Staat von Anfang an jeden Widerstand geleistet, sei es gegen Terroristen oder gegen Besatzungstruppen, ungeachtet ihrer Nationalität, d.h. Amerikaner, Franzosen, Türken oder Israelis.

Damaskus will die militärische Dynamik, die es nach Wiederherstellung der Kontrolle über Ghouta, Homs, Südsyrien erlangt hat, nutzen und in den Norden transferieren, ist wild entschlossen, alle Terroristen in Idlib zu liquidieren. Erste Operationen führte die SAA gemeinsam mit dem russischen Militär dort im Februar 2018 durch, doch seit August wird es ernst. Erst warfen Hubschrauber der SAA tausende Flugblätter über Idlib ab, forderten Militante zur Aufgabe und Übergabe ihrer Waffen an die Regierungstruppen auf: „Das Ende ist nahe. Nehmt unsere Versöhnungsofferte an. Sie wird euch von der Herrschaft der Terroristen befreien und das Leben eurer Familien retten“. Dann bot die Armee allen Zivilisten an, die Gebiete über den Grenz-Checkpoint Abu Duhour zu verlassen; eine große Anzahl von Menschen folgte dem Aufruf.

Seit Tagen ziehen endlose Lastwagenkolonnen mit Truppen, Militärgerät, Panzern und Artillerie Richtung Norden in die drei Frontgebiete, die an Idlib grenzen: die Zentralprovinz Hama, die Küstenprovinz Latakia und den Süden Idlibs. Die syrische Tageszeitung Al Watan sieht darin den größten Truppenaufmarsch seit Kriegsbeginn 2011. Das Militär will in einer großangelegten Operation den Landstrich zurückerobern, dadurch auch größere Sicherheit im angrenzenden Latakia erzielen.

Die 4. Panzerdivision, Truppen der Republikanischen Elite-Garde, lokale Pro-Regierungstruppen, Rebellen, die sich mit Damaskus versöhnt haben, beziehen mittlerweile Stellung entlang der Frontlinie. Artillerie- und Raketeneinheiten der SAA beschossen am 27. August erste Stellungen von HTS im Norden Hamas und im Süden von Idlib, zerstörten dabei eine Hauptbasis der Terroristen. Die Armee eröffnete indes weitere humanitäre Korridore für die Evakuierung von Zivilisten, denn die Stunde Null für die Operation der Regierungstruppen rückt näher: Es wird kolportiert, die SAA plane, zuerst die strategisch wichtige Stadt Dschisr asch-Schughur zu befreien, hernach im ländlichen Latakia, Hama, Idlib aufzuräumen. Der Stoßangriff gegen die Stadt Idlib wurde wohl vorerst verschoben.

Türken, Terroristen und „Moderate“ in einem Boot

Bouthaina Shaaban, die Beraterin des Präsidenten Al-Assad, eine kluge, weitsichtige Akademikerin, mit der ich einst in Damaskus diskutierte, machte schon im Februar 2018 auf der Middle East Conference des Valdai Discussion Club deutlich, dass Syrien „weiter gegen ausländische Invasoren… kämpfen wird, egal ob Israeli, Amerikaner oder Türken. Als wir in der Lage waren, den größten Teil unseres Landes vom Terrorismus zu befreien, begannen Israel, die Türkei, die USA, unser Land anzugreifen.

Die Türkei erleichterte die Ankunft all dieser Söldner, und als sie das Gefühl hatte, dass die terroristischen Söldner an Boden verloren, griff sie in voller Kooperation mit Terroristen in das syrische Territorium ein. Die Türkei marschierte unter Verstoß gegen das Völkerrecht in unser Land ein und verwendete das Abkommen von Astana als Deckung für die Invasion des syrischen Territoriums“. 

Nördlich von Idlib hat die Türkei mit Unterstützung der Dschihadisten eine mehr als 100 Kilometer breite Besatzungszone erobert. Doch auch Idlib stand auf der Wunschliste des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan; er hatte gehofft, sie annektieren zu können. 2017, als sich die Türkei, der Iran und Russland im Rahmen des Astana-Prozesses auf die Einrichtung von Deeskalationszonen in Idlib, Latakia, Hama und Aleppo einigten, erhielt Erdoğan grünes Licht für die Einrichtung von 12 türkischen „Beobachtungsposten“ in Idlib.

Ankara sollte dort das Waffenstillstandsabkommen überwachen, humanitäre Hilfe leisten, die sichere Rückkehr von Vertriebenen gewährleisten. Die „Beobachtungsposten“ sind heute mit 1.300 Soldaten, Panzern und Boden-Luft-Raketen bestückt. Das türkische Militär hat sozusagen einen Ring um das Gebiet gelegt; leistet von dort aus Unterstützung für „Rebellen“ und Terroristen, die gegen Präsident Assad kämpfen. 

Am 16. August teilte das türkische Militär den Bewohnern der Städte im Norden von Hama und im Süden von Idlib denn auch mit, dass es sich rächen würde, wenn die SAA in diesen Gebieten ihre Offensive starte. MANPADS (Man-portable air-defense systems) seien zu den „Beobachtungsposten“ gebracht worden, um Hubschrauber oder Jets abzuschießen, die türkische Truppen und ihre terroristischen Verbündeten bedrohen. Am 18. August schickte die türkische Armee einen langen Konvoi, bestehend aus Panzern, Waffen, Militärfahrzeugen aus der türkischen Provinz Hatay nach Idlib und Nord-Hama. Militäranalysten erklärten, die Waffen und Munition könnten in Regionen verlegt werden, die unter Kontrolle des HTS stehen.

Am gleichen Tag veröffentlichten Gemeinderäte mehrerer Städte im südlichen Idlib eine offizielle Erklärung, in der sie Ankara aufforderten, ihre Gebiete unter ihr direktes Mandat zu stellen, um einen Angriff der SAA zu verhindern:

Wir fordern die türkische Regierung auf, unverzüglich und zügig für die Umsetzung des türkischen Mandats einzutreten, und wir versprechen, dass wir den türkischen Brüdern bei der Verwaltung der Region helfen werden. Wir fordern sie auf, Bildung, Dienstleistungen, Gesundheit und andere Institutionen in den befreiten Gebieten zu aktivieren und revitalisieren.

Die Gemeinderäte gehören der von der türkischen Regierung unterstützten Nationalen Befreiungsfront (NFL) und eben auch der Terrororganisation HTS an. Am 27. August, so Oppositionsquellen, erhielten auch die „Rebellen“ in der Ghab-Ebene in West-Hama und Latakia Verstärkung aus der Türkei. Nicht nur das: die türkische Armee stationierte zudem 5.000 uigurische Terroristen in der Region Dschisr asch-Schughur. Die Terroristen haben West-Idlib nun in ihr Hauptkommandozentrum verwandelt, um die Angriffsflanke der SAA, die sich von Nordost-Latakia über Süd-Idlib bis Nord-Hama erstreckt, abzudecken.

Moskau verdeutlicht Ankara seine Position

Der russische Präsident Wladimir Putin besteht darauf, Idlib einzunehmen, um den gesamten Landstrich westlich des Euphrat zu sichern. Russland hat von den türkischen Söldnern, insbesondere HTS, die Nase gestrichen voll. Erdoğan hat bisher nicht nur jegliche Konfrontation mit den Terroristen vermieden, vielmehr erleichterte er den Aufbau ihrer Gruppierungen, lieferte sogar Waffen, um sein Ziel, den Sturz von Präsident al-Assad, um jeden Preis zu erreichen. Moskau machte nun dem türkischen Präsidenten klar, dass die Militanten keinen Platz mehr in einem zukünftigen Syrien haben. Da Erdoğan sie genauso unterstützt wie die Freie Syrische Armee (FSA), so obliegt ihm die Pflicht, sie nun von der FSA zu trennen, zu neutralisieren. Anderenfalls wird das die SAA für Erdoğan erledigen. Die Türken stimmten zu, den Knoten zu lösen; Erdoğan erhielt eine Frist bis Anfang September. 

Am Freitag, den 24. August warnte der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu auf einer Pressekonferenz mit seinem russischen Gegenpart Sergei Lawrow vor einer Militäroperation in Idlib:

Unser Ziel ist es, die Sorgen unserer russischen Kollegen zu beseitigen und Terroristen, die in der Region aktiv sind, auszurotten. Wir können zusammenarbeiten, aber durch die Beseitigung dieser radikalen Gruppen können wir das Leben von Zivilpersonen in Gefahr bringen. Dies kann einen Strom von Flüchtlingen, ein Drama, eine menschliche Katastrophe auslösen, und natürlich wird dies das Vertrauen zwischen Russland und der Türkei in der syrischen Frage verletzen und die Autorität unserer Länder untergraben. Deshalb müssen wir daran arbeiten, das Erreichte zu erhalten und darüber nachzudenken, welche Anstrengungen wir in dieser Hinsicht unternehmen können. Es ist wichtig für jeden, radikale Elemente, radikale Gruppen und Militante zu eliminieren, weil sie eine Gefahr für die nationale Sicherheit darstellen. Dies ist auch für Russland und den Westen wichtig, aber wir sollten daran arbeiten, Terroristen und Zivilisten sorgfältig und genau zu entkoppeln.

Lawrow forderte, Terroristen von der „gemäßigten“ Opposition zu trennen: „Wir müssen alles für die Gewährleistung dieser Abgrenzung sowie die Reduktion jeglicher Risiken für die Zivilbevölkerung unternehmen“; die Lage in Syrien sei sehr „komplex und kompliziert“. „Als die Deeskalationszone in Idlib geschaffen wurde, dachte niemand, dass die Kämpfer der Terrormiliz HTS vor allem die Zivilbevölkerung als ‚menschliches Schutzschild‘ einsetzen. Sie sitzen nicht nur da, sie führen Überfälle durch, greifen die Stellungen der syrischen Armee an, sie haben ungefähr 50 Drohnen aus dieser Zone geschickt, um die russische Basis in Hmeymim anzugreifen.“ 

Generalmajor Alexei Tsygankow, Leiter des Russischen Zentrums für Versöhnung in Syrien, erklärte bereits Mitte August, die Militanten, die in der Deeskalationszone Idlib operieren, geben keine Ruhe und beschießen Siedlungen. Allein am 17. August wurden mindestens 134 Menschen getötet, als sie sich heftige Kämpfe mit der SAA lieferten. Am 21. August, so Tsygankow, „entdeckten die Soldaten der SAA drei unbemannte Luftfahrzeuge (UAV), die aus den von Militanten kontrollierten Gebieten in Richtung der Regierungstruppen in der Nähe der westlichen Randgebiete der Siedlung Abu Dali im Süden von Idlib abgefeuert wurden.“ 

Der Kreml würde die Schlacht um Idlib wohl lieber vermeiden, könnte die doch eine neue Flüchtlingswelle auslösen. Gerade in jener Zeit, in der russische Diplomaten 5,6 Millionen Menschen - in alle Ecken der Welt verstreute Flüchtlinge - nach Syrien zurückholen möchten. Doch ist die „Erhaltung des Status quo unannehmbar“, appellierte Russlands UN-Botschafter Wassili Nebensja am Dienstag auf einer Sitzung des Weltsicherheitsrates an die Extremisten-Anführer in Idlib und rief „die Kommandeure illegaler bewaffneter Formationen auf, von Provokationen Abstand zu nehmen und zum friedlichen Leben zurückzukehren. Vorläufig gibt es eine solche Möglichkeit“. Russland hat allerdings auch auch großes Interesse daran, dass tschetschenische Dschihadisten, die in Idlib agieren, von dort nicht (lebend) nach Russland zurückkehren. 

Erdoğans Dilemma – seine Terroristenfreunde bündeln die Kräfte

Präsident Erdoğan bat seinen russischen Amtskollegen Wladimir Putin am 14. Juli, er solle doch bitte mit Präsident Assad sprechen, ihn doch von einem Angriff auf Idlib abhalten. Am 27. August zitierte der arabischsprachige Sputnik eine russische Militärquelle, Ankara habe Damaskus über russische Kanäle aufgefordert, die militärische Operation in Idlib nunmehr bis zum 4. September zu verzögern. Man bemühe sich weiterhin, die Terrorgruppe HTS und andere militante Gruppen aufzulösen. Russland habe die syrische Regierung über das „Engagement“ der türkischen Behörden informiert. Ankara versucht verzweifelt, die Geister, die es mit den westlichen Kriegsdemokratien - den Golfstaaten - nach Syrien rief, um Assad und seinen Staat zu schleifen, wieder in die Flasche zu bekommen.

Am 1. August beauftragten die Türken eine Reihe terroristischer Gruppen in Idlib mit der Bildung der Nationalen Befreiungsfront (NFL), in der aber ausländische Militante, allen voran HTS und IS, keinen Platz haben dürften. Bislang tummeln sich in dem von Ankara unterstützten Dachverband um die 100.000 Militante – „Moderate“ der FSA, Moslembrüder, nationalistische Salafisten, Gruppen wie Suqoor Al Sham, Jaysh Al Ahrar etc. Angeführt wird der Haufen von Fadlallah Al Hajji, einem Militärkommandanten aus Idlib, zugleich prominenter Schützling Ankaras.

Die Türken versorgen die NFL mit Waffen, denn - so das vorläufige türkisch-russische Agreement - die militanten Terroristen des IS und HTS sollen durch die Hände der NFL in Idlib sterben, syrische Kämpfer ausgesondert werden. Am 24. August erklärte die NFL jedoch öffentlich, sie habe ihre Truppen in Idlib in höchste Alarmbereitschaft versetzt, um jeden Angriff der SAA und ihrer Verbündeten abzuwehren und forderte die verbleibenden bewaffneten Gruppen auf, sich ihnen anzuschließen, zwecks umfassender Mobilisierung in Nordsyrien:

Wir nehmen die Drohungen und Andeutungen des kriminellen Regimes (in Damaskus) für die kommende Schlacht in Idlib ernst... Wir rufen alle Fraktionen und Formationen in der Region auf, dies ebenfalls zu tun!

Doch die von den Türken fallen gelassenen terroristischen Gruppierungen, gehen inzwischen ganz andere Wege. Der Emir Abu Mohammad al-Julani, Führer des HTS, bildete inzwischen ein ganz anderes Bündnis, mit dem gegen die SAA angetreten werden soll: Die arabische Webseite von Sputnik berichtete, Kommandeure der Terroristengruppen, darunter HTS, die Turkistanische Islamische Partei in Syrien (TIP), deren Mitglieder eben jene uigurischen salafistischen Dschihadisten sind, die Ankara jüngst in Idlib stationierte, sowie die Al-Kaida-Mitglieder Ajnad al-Qafqaz und Horas al-Deen einigten sich am 24. August auf einem Treffen in Idlib, ihre Verteidigungskapazitäten neu zu beleben, um der bevorstehenden Operation der SAA entgegenzuwirken.

Al-Julani teilte die von Terroristen kontrollierten Gebiete in Idlib in drei verschiedene Regionen auf, die von den Turkestanis, dem HTS und IS verwaltet werden. Mitte August verlegte der HTS bereits eine große Anzahl von IS-Terroristen in eine Region nahe der Grenze zur Türkei. Weiter hieß es, die Terrorgruppen hätten die Zwangsrekrutierung junger Männer verstärkt, um sie auf die Schlachtfelder in den Provinzen Idlib, Hama, Latakia und Aleppo zu schicken. Auch halten sie im Südosten von Idlib und im Nordwesten von Hama laut dem russischen UN-Botschafter Wassili Nebensja über 2.000 Menschen fest, die sich dem Waffenstillstand anschließen und ein Friedensabkommen mit der Armee wollen.

In den vergangenen Tagen tauchten zudem Berichte von Militanten auf, die Terrororganisation HTS und jene Nationale Befreiungsfront, die kürzlich von Ankara gebildet worden war, hätten mehrere Treffen zwecks Bildung eines gemeinsamen „Operationsraumes“ abgehalten, um den Angriff der syrischen Armee in Idlib kontern zu können. Der „Operationsraum“ ziele darauf ab, alle militanten Gruppen in Nordsyrien zu sammeln, die Verteidigungsfähigkeiten der Terroristen in Latakia, Hama, Idlib, Aleppo zu reaktivieren.

Das wäre ein Dilemma für die Türken. Der Plan, ihre Stellvertreter fortan in gute und schlechte zu separieren, die sich bald gegenseitig die Schädel einhauen sollen, wäre zum Scheitern verurteilt. Möglicherweise haben die ehemaligen und Noch-Verbündeten der Türken erkannt, dass sie doch nur Kanonenfutter sind, das Ankara nach Lage der Dinge zum Abschuss frei gibt; ein unzuverlässiger Partner eben, der bei Bedarf verrät, dem man nicht trauen kann. Lokale Beobachter bezweifeln generell, dass die Türkei in der Lage sein wird, das Idlib-Problem lösen zu können, da die meisten radikalen Gruppen wie HTS sowieso niemals freiwillig die Waffen fallen lassen würden. Das Scheitern der türkischen Bemühungen wird wahrscheinlich die Tür für eine militärische Lösung öffnen, die dann von der SAA und ihren Verbündeten exekutiert wird. Bislang hat Moskau akzeptiert, pro-türkische bewaffnete Gruppen in Idlib nicht anzugreifen. Doch auch das könnte sich bald ändern. 

Damaskus will sie sowieso alle tot sehen; auch die Kämpfer der NFL. Die Türkei hingegen plant für ihre Söldner schon ein Leben nach der Schlacht: Sie sollen die Waffen abgeben, begnadigt werden, würdevoll ins zivile Leben zurückkehren oder sich der SAA anschließen. 

Der pensionierte Generalmajor der syrischen Armee, Mohammad Abbas, erklärte am Montag der iranischen Fars News Ageny, welche Optionen und Szenarien der SAA für den Showdown in Idlib zur Verfügung stehen. „Einige Terroristen, die sich verschiedenen Gruppen angeschlossen haben, lehnen jegliche Gespräche mit der Regierung ab, aber es gibt Militante, die Kontakte mit der Regierung haben, sie mit Geheimdienstinformationen versorgen und die Terroristengruppen verurteilen. Sie haben auch die Bereitschaft zum Kampf neben der syrischen Armee geäußert. Wir sehen uns auch mit Terroristen konfrontiert, die von außerhalb Syriens gekommen sind, und deshalb haben wir verschiedene Optionen und Szenarien“:

- Das erste Szenario sind verstärkte militärische Angriffe und die Wiedererlangung der Kontrolle über alle von den Terroristen besetzten Gebiete,

- Das zweite Szenario ist, dass die Türkei ihre Grenzen für die Terroristen schließt,

- Das dritte Szenario, dass die Türkei die ihr loyalen militanten Gruppen nach Nordost-Syrien verlagert, wo sie sich im Rahmen der Operation Euphrat-Schild gegen die kurdischen Kämpfer stellen,

- Das vierte Szenario ist, dass die USA die Terroristenkommandeure einsammeln und in andere Regionen transferieren, ähnlich wie es mit den Weißhelmen gemacht wurde,

- Das fünfte Szenario beinhaltet den Tod aller Terroristen, die eine Amnestie der Regierung ablehnen.

„Das letzte Szenario“, so Abbas, „kommt meiner Ansicht nach näher an die Realität heran, denn es beinhaltet militärische Aktionen, die begleitet werden von Plänen zur nationalen Versöhnung“.

Wollen die Türken etwa den Chemiewaffen-Stunt abwarten?

Für die Türkei geht es in Nordsyrien um alles, hat sie doch dort in militärischer Kooperation mit den Terroristen eine Besatzungszone erobert und unter dem Einfluss der neo-osmanischen Visionen Präsident Erdoğans und seiner Gefolgschaft eine langfristige Präsenz oder gar Annexion des türkisch besetzten Teils sowie der Provinz Idlib ins Auge gefasst. Längst weht in Afrin der türkische Halbmond vor den Ämtern, Straßen werden repariert, die türkische Post hat Filialen in Nordsyrien eröffnet, ab Herbst sollen Schulkinder auch Türkisch lernen. Auch Prozesse wegen Beleidigung des türkischen Präsidenten fanden auf annektiertem syrischen Boden bereits statt. 

Am Wochenende erklärte der Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums, Igor Konaschenkow, die Terroristen von Haiʾat Tahrir asch-Scham würden gemeinsam mit den Weißhelmen eine Provokation vorbereiten, um Damaskus des Einsatzes von Chemiewaffen gegen Zivilisten in der syrischen Provinz Idlib zu bezichtigen. Das würde dann als Vorwand für einen Angriff der USA und ihrer Verbündeten auf Regierungsobjekte in Syrien dienen. Al Watan zitierte lokale Quellen mit der Meldung, dass mehr als 40 Kinder in verschiedenen Regionen in den Provinzen Idlib und Aleppo von HTS entführt worden seien und warnte, dass die entführten Kinder am ehesten eine Rolle in der False-Flag-Operation spielen könnten.

Zur Erinnerung: Im April 2018 begrüßte Präsident Erdoğan den völkerrechtswidrigen Militärschlag der USA, Frankreichs und Großbritanniens gegen Militär- und Forschungseinrichtungen in Syrien, den sie als Vergeltung gegen den „Einsatz chemischer Waffen“ durch Präsident Assad geflogen hatten. Wie man damals bereits wusste: es war eine False-Flag-Operation. Vielleicht spekuliert Erdoğan darauf, dass sich nach einem erneuten Militärschlag infolge einer weiteren False-Flag-Operation die Dynamik auf dem Schlachtfeld doch wieder zu seinen Gunsten wendet. Trotz der Krise in den bilateralen Beziehungen zwischen der Türkei und den USA führen beide NATO-Verbündeten im Norden Syriens in der Region Manbij seit Mitte August erstmals gemeinsame Militärpatrouillen durch. „Obwohl es einige Tage Verzögerung im Zeitplan gibt, läuft der Prozess ohne Probleme weiter. Wir gehen jetzt in eine gemeinsame Patrouillenzeit“, sagte Ankaras Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu am 19. August vor Reportern.

Präsident Trumps Sicherheitsberater John Bolton hatte bereits vergangene Woche versichert, dass die USA diesmal mit größerem militärischen Einsatz als bislang reagieren würden, sollte Assad erneut Chemiewaffen einsetzen; Bolton sprach von einer „sehr starken“ Reaktion. Und in einer gemeinsamen Erklärung haben die USA, Frankreich und Großbritannien am 21. August gedroht, diese Militärschläge gegen Syrien durchzuführen.

Bleibt zu hoffen, dass die Syrer auch diesmal dem neokonservativen Kriegslüstling John Bolton und all dem kriminellen politischen und militärischen Grobzeug in Europa, in den Golfstaaten und in Übersee, die das stolze Land Syrien in die Knie zwingen wollte, ordentlich Paroli bieten können. Wie sich die Entwicklung in Idlib weiter gestaltet, wird wohl am 7. September im iranischen Täbris entschieden. Dort trifft der türkische Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan auf seinen iranischen Gegenpart, Hasan Rohani sowie den russischen Präsidenten Wladimir Putin. Gemäß russischen Quellen steht die Schlacht für die Befreiung Idlibs für Anfang September 2018 auf der Agenda. 

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