Meinung

Von Sylt nach Mannheim – Politik und Medien reagieren mit zweierlei Maß

In Sylt grölten junge Erwachsene populistische Parolen. Die Präsidentin des Deutschen Bundestages forderte dafür fünf Jahre Haft. In Mannheim wird ein Islamkritiker schwer verletzt und ein Polizist hinterrücks erstochen. Politiker und Medien warnen vor voreiligen Schlüssen. Deutschland ist aus der Balance.
Von Sylt nach Mannheim – Politik und Medien reagieren mit zweierlei MaßQuelle: www.globallookpress.com © MAGO/Peter Henrich / HEN-FOTO

Von Gert Ewen Ungar

Ein abgelehnter Asylbewerber hat in Mannheim einen Polizisten ermordet. Die Reaktion in Deutschland lautet im Kern: Jetzt bloß keine Schnellschüsse abfeuern. Der Stern publizierte einen Beitrag, in dem der Nachweis versucht wird, dass dennoch Polizist zu sein eigentlich gar kein gefährlicher Beruf ist. 

"Dass Polizisten im Dienst ums Leben kommen, ist bedauerlich. Jeder tote Polizist ist einer zu viel. Aber es passiert zum Glück selten", heißt es im Stern.

Na, dann sind wir ja alle wieder beruhigt. Auch der Bundespräsident Steinmeier kondoliert und warnt sicherheitshalber vor Verrohung: 

"Mein Dank gilt allen Polizisten im Einsatz. Ich habe große Sorge angesichts der Verrohung der politischen Auseinandersetzung und der wachsenden Gewaltbereitschaft in unserem Land. So darf es nicht weitergehen. Gewalt gefährdet, was unsere Demokratie stark gemacht hat."

Das suggeriert, dass der Islamkritiker Stürzenberger, der bei dem Attentat selbst schwer verletzt wurde, eine gewisse Mitschuld an den Ereignissen trage. Für diese Bemerkung ist Steinmeier daher zu verachten. Allerdings passt er sich damit nahtlos in das aktuelle Zustandsbild der deutschen Gesellschaft ein. 

Worin die Verrohung ihre Ursache hat, dazu sagt Steinmeier aus gutem Grund kein Wort, denn er müsste sich selbst an seine Nase fassen. Politiker haben über die Jahre maßgeblich zu ihrer Entstehung beigetragen. Über die Jahrzehnte wurde ein System der wachsenden Ungleichheit und Ungleichbehandlung in Deutschland geduldet und weiter etabliert, das einfach nur als ungerecht empfunden werden kann. Das aber müsste dringend korrigiert und wieder in die Balance gebracht werden, denn andernfalls wird es die Gesellschaft zerreißen.

Als vor zwei Wochen eine Gruppe betrunkener Yuppies auf Sylt populistische Parolen grölte, war von der nach der Messerattacke geforderten Zurückhaltung und der geforderten Differenzierung wenig zu hören. Die Präsidentin des Deutschen Bundestages Bärbel Bas (SPD) forderte die Höchststrafe – fünf Jahre Haft wegen einer Grenzüberschreitung. Das, was auf Sylt passierte, hatte eine Ventilfunktion. Am Wochenende über die Stränge schlagen, in abgegrenztem und kontrolliertem Rahmen Grenzen überschreiten und sich ernüchtert am kommenden Montag mit Arbeitsbeginn wieder in den Alltag einreihen.

Das, was in Mannheim passierte, hatte diese Funktion nicht. Es war nach allem, was bisher ermittelt wurde, ein Messerattacke gegenüber jemandem mit einer anderen Meinung, mit einer anderen weltanschaulichen Auffassung. Der Attacke fiel schließlich ein Polizist zum Opfer, der das Opfer schützen wollte. 

Weil das aber so ist, sind die Reaktionen auf die beiden Ereignisse in ihrer klaren Bewertung zu verurteilen. Sie zeigen: Das Wertesystem ist in Deutschland aus der Balance. Die Verhältnismäßigkeit stimmt nicht mehr. Das aber ist das eigentliche Problem.

Mit der Preisgabe einer als Gerechtigkeit empfundenen Balance sorgt die Bundesregierung selbst für die Radikalisierung in diesem Land, die sie inzwischen täglich beklagt. Sie trägt eine gravierende Mitschuld daran, wenn sich gutwillige Menschen von diesem Staat nicht mehr vertreten und vor allem nicht mehr geschützt fühlen. Diese Menschen haben schlicht und ergreifend recht. 

Die mediale Bewertung von Handlungen bis hin zu Mord und Totschlag erfolgt in Deutschland aktuell ausschließlich nach ideologischen Kriterien. Alles wird politisiert, geframt und für eine politische Agenda benutzt. Die damit zwingend einhergehende Unausgewogenheit muss jedes Rechtsempfinden verletzen und hat auf Dauer für eine Gesellschaft gravierende Folgen. Das breite Empfinden von staatlich verübter Ungerechtigkeit muss eine Gesellschaft zwangsläufig spalten.

Die medialen Reaktionen auf Sylt machen deutlich, dass sich Politik und Medien ein weiteres Objekt gesucht haben, das es zu disziplinieren und zu gängeln gilt: die deutsche Mittelschicht. Ihr gegenüber gilt null Toleranz. Kein Mitgefühl, kein Erbarmen. Jeder Fehltritt ist sofort mit der Vernichtung der Existenz zu ahnden. So wie man das vor wenigen Wochen gesehen hat und wie das bereits während der Zeit der Corona-Maßnahmen vorgeführt wurde. 

Dem gegenüber steht in derselben Gesellschaft ein System von maximaler Laxheit, das den Eindruck vermittelt, in Deutschland sei der Rechtsstaat längst abgeschafft und durch ein System des endlosen Gewährens von zweiten, dritten, x-ten Chancen ersetzt worden. Dass jetzt reflexartig über Abschiebungen und Islamisten diskutiert wird, verdeckt das zugrundeliegende Problem, das umfassender ist. 

Es gibt in Deutschland ein System, das Gerechtigkeit durch Milde ersetzt hat. Eine ganze Erbarmungs-Industrie bemüht sich um die Abfederung sogenannter Härten und schafft dadurch einen gesellschaftlichen Graubereich der Duldung von Gesetzesverstößen und Straftaten. Das trifft im Bereich der Zuwanderung zu, aber eben nicht nur dort.

So können beispielsweise die strafrechtlichen Konsequenzen für Delikte, die im Zusammenhang mit einer Drogensucht begangen wurden, jahrelang aufgeschoben werden. Der Paragraph 35 macht es möglich, Strafe durch die Bereitschaftserklärung für eine Therapie zu ersetzen. Man kann seine "35er" auch sammeln, sich nach jeder Straftat immer wieder neu bekennen, jetzt aber wirklich eine Therapie machen zu wollen.

Der Hinweis auf einen fehlenden passenden Therapieplatz schiebt das Verfahren endlos auf und auch eine abgebrochene Therapie führt nicht automatisch dazu, dass dann die ursprüngliche Strafe abzusitzen ist. Heerscharen von Sozialarbeitern sorgen sowohl im Bereich von Sucht als auch in den Bereichen Asyl und Zuwanderung für maximale Unterstützung und damit zugleich für maximalen Schutz vor den Konsequenzen des eigenen Handelns. Zum Schutz der Klienten wird gelogen, dass sich die Balken biegen. Man meint es doch gut, aber dient damit dem Gegenteil und verdient damit obendrein ganz ordentlich. 

Nun gibt es sicherlich gute Gründe, dass der Rechtsstaat nicht jedes Mal mit der vollen Härte des Gesetzes zuschlagen muss. Aber es gibt keine guten Gründe dafür, das dauerhaft nicht zu tun. Das aber ist in Deutschland inzwischen in vielen Bereichen die Regel geworden. Jüngst erkennbare Ausnahme von dieser Regel ist die Mittelschicht. Die genießt diesen Schutz der Wohlwollens-Industrie eben nicht und wird inzwischen regelmäßig Opfer des geballten und zugleich ungerechten Zorns von Politikern und Medien.

Die Gewährung von Therapie statt Strafe sollte eine Ausnahme sein, ebenso wie die Duldung eines Aufenthalts. Beides aber wurde zur Regel. Es ließen sich noch weitere Beispiele dafür finden, wo in Deutschland der Rechtsstaat durch ein System des Milde-walten-Lassens ersetzt wurde. Klar ist: das ist nicht nur ungerecht, sondern es ist eben auch gefährlich. Der Aufschub der Konsequenzen von Verstößen gegen das Gesetz verbessert die Lebensqualität weder für den Einzelnen noch für die Gesellschaft als Ganzes.

Das ist das eigentliche Thema, über das in Deutschland zu diskutieren wäre. Man hat in Deutschland in einigen Bereichen ein System des dauernden Aufschubs installiert, das als Hilfesystem zwar gut gemeint ist, aber negative Effekte produziert. Einer der Effekte ist, dass Leute frei herumlaufen, die eigentlich nicht frei herumlaufen sollten, weil sie eine Gefahr für die Mitmenschen darstellen. Oder dass Menschen, die sich nicht in Deutschland aufhalten dürfen, sich trotzdem dauerhaft dort aufhalten können – selbst dann, wenn sie straffällig geworden sind.

Das macht jeden Rechtsstaat völlig unglaubwürdig. Gleichzeitig schwingen sich Vertreter bösartiger Medien und ebenso bösartige Politiker dazu auf, zur Jagd auf Menschen zu blasen, die gesellschaftlich vollkommen konform leben. Es wurde ein System der umfassenden Kontrolle und des Zwangs zur Konformität etabliert. Aber eben nicht für alle, sondern nur für einige. Das führt in die Unfreiheit und macht durch die Ungerechtigkeit zornig. 

Es ist notwendig, das System wieder in eine Balance zu bringen, es so auszutarieren, dass in der Breite der Gesellschaft wieder das Gefühl entsteht, in einem Rechtsstaat zu leben. Dieses Gefühl ist der Mittelschicht aus gutem Grund abhandengekommen, wie an den medialen und politischen Reaktionen auf Mannheim und Sylt in diesen Tagen überdeutlich wird.

Mehr zum Thema – Innenministerin Faeser löste 2022 den "Expertenkreis Politischer Islamismus" auf 

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