Meinung

Sacharowa an Biden: "Terrorismus ist schlimm, es sei denn, man steht selbst dahinter"

In einem Beitrag antwortete die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, auf einen Artikel des US-Präsidenten Joe Biden, der in der "Washington Post" veröffentlicht wurde. In ihrer Replik zeigte Sacharowa schonungslos die Widersprüche der US-Außenpolitik auf.
Sacharowa an Biden: "Terrorismus ist schlimm, es sei denn, man steht selbst dahinter"Quelle: Gettyimages.ru

Von Maria Sacharowa

Der Artikel von Joseph Biden über die Konflikte in der Ukraine und im Nahen Osten, der am vergangenen Samstag in der Washington Post erschien, zeigt gleich drei Dinge auf:

Erstens handelt es sich offensichtlich um einen der ersten Schritte im Vorfeld des Beginns des US-Wahlkampfs (die US-Präsidentschaftswahlen werden für den kommenden November erwartet). Auf diese Weise hat die Führung der Demokratischen Partei der amerikanischen Spitzenbürokratie und dem Volk gezeigt, wie Bidens außenpolitische Strategie in den kommenden Monaten aussehen wird: schlecht, absurd, wüst – mit einem Wort: hässlich.

Zweitens beginnt Biden diesen Schritt vor den Wahlen mit einem spektakulären Misserfolg. Meinungsumfragen zufolge sind die Zustimmungswerte des amtierenden Präsidenten der Vereinigten Staaten auf ein Rekordtief gefallen – mehr als die Hälfte der Amerikaner vertrauen ihrem Präsidenten nicht und missbilligen seine Politik. Ein mehr als bescheidenes Geschenk für das neunte Lebensjahrzehnt.

Drittens wurde anstelle der für die amerikanische Kultur traditionellen Ansprache zur Lage der Nation das Format eines schriftlichen Artikels gewählt. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Das politische Team des amtierenden Präsidenten hielt es anscheinend nicht für möglich, dass dieser sich live oder zumindest in einer vorher aufgezeichneten Sendung zu schwierigen Fragen der außenpolitischen Führung äußert. Vermutlich, weil man befürchtete, das könnte noch dürftiger ausfallen als seine außenpolitische Strategie.

Setzen wir uns nun mit den Thesen des Artikels auseinander, der unter dem Namen des amerikanischen Präsidenten veröffentlicht wurde.

"Joe Biden" (wir setzen den Namen des Autors in Anführungszeichen, da er diesen Artikel nicht selbst verfasst hat) zieht Parallelen zwischen dem Konflikt in der Ukraine und im Nahen Osten. Der Grund ist einfach: Die Unterstützung Israels in all seinen Aktionen ist das einzige Thema, bei dem in den höchsten Machtetagen in den USA ein überparteilicher Konsens herrscht. In allen anderen Fragen sind die Widersprüche zwischen Republikanern und Demokraten unüberwindbar; selbst darüber, ob das Regime in Kiew weiterhin unterstützt werden soll, haben die beiden Fraktionen des Kongresses bisher keine Einigung erzielt. Es sei hier noch einmal daran erinnert, dass der Senat vor Kurzem ein Gesetz zur Verlängerung der Finanzierung der Bundesregierung verabschiedet hat, das vorerst weitere Hilfen für die Ukraine nicht zulässt.

Die Haltung Washingtons zu dem Konflikt wird vom Primat der amerikanischen Auserwählten bestimmt: Die Vereinigten Staaten seien gemäß "Joe Biden" "die essenzielle Nation". Im Zusammenhang mit dem Nahen Osten ist diese Selbstwahrnehmung nicht neu. Erst wenige Tage vor dem Beginn einer weiteren Eskalationsrunde veröffentlichte Jake Sullivan, der Nationale Sicherheitsberater und engste Verbündete des US-Präsidenten, in der Zeitschrift Foreign Affairs einen Artikel mit dem Titel "The Origins of American Power" (Die Ursprünge der amerikanischen Macht), in dem sich die gleiche Behauptung wiederfindet.

Sullivan behauptete unter anderem, dass dank Washington "die Region jetzt so ruhig ist wie seit Jahrzehnten nicht mehr". Kurz nachdem dieser Artikel veröffentlicht wurde, spitzte sich die Lage im Nahen Osten dramatisch zu, was das völlige Scheitern der Bemühungen des US-Establishments in dieser Region deutlich machte. Es ist zu befürchten, dass die These von der "essenziellen Bedeutung der amerikanischen Nation" das gleiche Schicksal ereilen wird.

In seinem Artikel verweist "Joe Biden" wiederholt auf die "Terrorstrategie" der Hamas und vergisst dabei, dass die Hamas 2006 auf demokratischem Wege an die Macht kam, wobei die USA maßgeblich dazu beigetragen haben, die Organisation an die Spitze zu bringen. Washington bestand damals auf freien Wahlen in der Enklave von Gaza, doch unmittelbar danach erklärte man den rechtmäßig gewählten politischen Machthabern de facto einen Boykott. Die Äußerung der damaligen US-Außenministerin Condoleezza Rice zu dem Ergebnis der Volksabstimmung hat man inzwischen auch bereits vergessen:

"Ich kenne niemanden, der vom Ausgang dieser Wahlen nicht überrascht wäre."

Demzufolge war der Letzte, der von der damaligen amerikanischen Demokratie-Inszenierung überrascht wurde, Jake Sullivan, wie dies aus seinem siebzehn Jahre später und wenige Tage vor dem 7. Oktober 2023 geschriebenen Artikel hervorgeht.

"Joe Biden" beruft sich immer wieder auf die internationalen Bemühungen, den Konflikt einzudämmen, vergisst dabei jedoch zu erwähnen, dass es ausgerechnet die westlichen Länder, vor allem die Vereinigten Staaten, waren, die den letzten wirksamen und funktionierenden Mechanismus zur Beilegung des Nahostkonflikts – das sogenannte "Nahost-Quartett" blockiert hatten, dem neben den Vereinigten Staaten auch die EU, die UNO und die Russische Föderation angehörten. Somit fehlte, als es im Oktober 2023 zu einer gewaltvollen Eskalation zwischen den Konfliktparteien kam, jene Instanz, die kraft ihrer Autorität dem Blutvergießen hätte Einhalt gebieten können. Es erübrigt sich zu sagen, dass weder Joe Biden höchstpersönlich noch der kollektive "Joe Biden" auch nur theoretisch als eine solche Instanz auftreten könnten.

Die Meinung des Autors in Bezug auf die Notwendigkeit einer Zwei-Staaten-Lösung für die palästinensische Frage und dass es keine gewaltsame Vertreibung von Palästinensern aus der Enklave geben darf, kann man nur uneingeschränkt teilen. Warum nur richtet "Joe Biden" diese Worte nicht öffentlich an die Regierung Israels, die mit diesen amerikanischen Thesen zu leben hat? Schließlich hätten die israelischen Behörden die Pläne für die Umsiedlung der Palästinenser nicht ohne Washington entwickeln können.

Ferner stellt sich die Frage, warum der Autor, während er die eine Seite in dem Nahostkonflikt beschuldigt, zu terroristischen Methoden zu greifen, gleichzeitig in der Politik des Neonazi-Regimes in Kiew keine terroristischen Aktivitäten sieht.

In dem Artikel von "Joe Biden" ist die Rede vom Beschuss der Krankenhäuser, doch genau das tut auch die ukrainische Armee, indem sie Krankenhäuser in den beiden Volksrepubliken Donezk und Lugansk mit westlichen Waffen beschießt.

"Joe Biden" berichtet von Gräueltaten gegen Zivilisten, doch genau diese begehen die Neonazi-Kämpfer von Kiew ja auch.

"Joe Biden" spricht von einem Angriff auf ein Jugendmusikfestival, während Selenskijs im Zerfall begriffene Armee Angriffe auf Schulen während der Schulfeste veranstaltet.

Gerade deshalb sprechen wir von der Kiewer Regierung als von einem kriminellen Regime, das zu terroristischen Methoden greift. Warum nur sieht und spürt "Joe Biden" das nicht? Womöglich, weil die USA selbst dahinterstehen?

Der Artikel ist voll von Seltsamkeiten und Widersprüchen. Doch die wahre Kirsche auf der nicht mehr so frischen Torte bildet ein brillanter historischer Fauxpas. Aus irgendeinem Grund erzählt der Autor des mit dem Namen vom US-Präsidenten unterzeichneten Artikels von dem Befehl, zwei Flugzeugträger-Gruppen in das Konfliktgebiet zu entsenden. Die Frage, die sich an dieser Stelle nahezu aufdrängt, lautet: Wann in der Geschichte hat der Einsatz von US-Flugzeugträger-Gruppen Stabilität gebracht und zu einem Waffenstillstand beigetragen? Schon die Namen der Flugzeugträger sind ein einziges Eigentor. "Dwight Eisenhower" – während seiner Amtszeit nahmen die Amerikaner am Koreakrieg teil, und "Gerald Ford" – zu Ehren des Präsidenten, der das Land während des Krieges in Vietnam regierte. Wenn die "amerikanische Macht" das Schicksal der Vereinigten Staaten während der Kriege in Korea und Vietnam wiederholt, kann man Israel nur bemitleiden.

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