Die Gruppe Wagner wird weitermachen, wenn auch unter einem anderen Namen
Von Andrew Korybko
Kremlsprecher Dmitri Peskow bestätigte, dass Präsident Putin sich einige Tage nach dem gescheiterten Putschversuch der Gruppe Wagner mit 35 Vertretern der Truppe getroffen habe, darunter auch mit ihrem Chef Jewgeni Prigoschin selbst sowie mit Kommandeuren und Führungskräften. Laut Peskow hörte sich Putin ihre Ansichten an und bot ihnen Optionen für den weiteren Einsatz an, während die Gruppe im Gegenzug ihre Loyalität zur russischen Staatsführung bekräftigte und auch erklärte, dass man bereit sei, weiterhin für das Mutterland zu kämpfen.
Diese Entwicklung wird sicherlich von jenen Verschwörungstheoretikern aus der Community der alternativen Medien aufgegriffen, die bereits auf alberne Weise behauptet haben, Präsident Putin habe den Putschversuch zusammen mit Prigoschin geplant, was somit implizieren würde, dass der russische Präsident den Abschuss russischer Kampfflugzeuge und den Tod russischer Piloten, die an diesem schicksalhaften Tag ihr Leben verlieren mussten, gebilligt hat. Deshalb ist es wichtig, die Bedeutung dieses Treffens zwischen Putin und Prigoschin nüchtern zu interpretieren, damit gut meinende, aber naive Leute nicht in die Irre geführt werden.
Am Treffen von Putin mit dem Chef der Gruppe Wagner war nichts Verschwörerisches. In seinen Ansprachen an sein Volk bezeichnete der russische Präsident die überwiegende Mehrheit der Mitglieder der Gruppe Wagner als wahre russische Patrioten. Obwohl Prigoschin sich als "nützlicher Idiot" des Westens hingab, bedeutet das nicht, dass diejenigen, die durch seinen angeblichen Kampf gegen die "Korruption" dazu verleitet wurden, in Richtung Moskau zu marschieren, auch an den Ereignissen mitschuldig sind. Im Gegenteil, man kann durchaus argumentieren, dass sie in Wahrheit Opfer der Egomanie ihres obersten Chefs wurden.
Wenn Präsident Putin wirklich der Überzeugung gewesen wäre, dass alle in der Gruppe Wagner "nützliche Idioten" der existenziellen Feinde seines Landes sind, dann hätte er Prigoschin keine letzte Chance gegeben, sein Leben und das seiner Männer zu retten. Ebenso hätte der russische Präsident ihnen auch nicht die Möglichkeit angeboten, entweder ihrem Land auf andere Weise weiter zu dienen, zu ihren Familien zurückzukehren oder nach Weißrussland ins Exil zu gehen.
Mit dieser Perspektive im Hinterkopf, die einer Überprüfung standhält, macht es tatsächlich Sinn, dass Präsident Putin sich mit den Spitzen der Gruppe Wagner traf. Er versteht genau, wie die Gruppe den nationalen Sicherheitsinteressen seines Landes dient, insbesondere im Ukraine-Konflikt und auf dem afrikanischen Kontinent, wo Wagner eine Rolle beim Engagement Russlands in der Förderung der "demokratischen Sicherheit" einnimmt. Vereinfacht ausgedrückt handelt es sich dabei um Taktiken und Strategien, die Russland auf diesem Kontinent zum Einsatz bringt, um seinen afrikanischen Partnern dabei zu helfen, sich gegen hybride Bedrohungen zu verteidigen, die zumeist vom Westen ausgehen. Zu diesem Zweck wird durch die Gruppe Wagner vor Ort eine Kombination aus informativer, logistischer und technischer Unterstützung bereitgestellt sowie die Ausbildung lokaler Sicherheitskräfte ermöglicht.
Daraus folgt, dass Präsident Putin sehr wohl möchte, dass die Gruppe Wagner ihren Dienst an der Russischen Föderation weiterhin leistet. Jedoch sind einige Veränderungen im Management erforderlich, um sicherzustellen, dass keiner aus dieser Gruppe jemals wieder durch demagogische Rhetorik über "Korruption" in die Irre geführt werden kann, so wie es kürzlich geschehen ist und wodurch Russland beinahe in den Abgrund getrieben worden wäre.
Anstatt aber eine bunt zusammengewürfelte Truppe aus Medien-, Militär- und Sicherheitsbürokraten damit zu beauftragen, diese Veränderungen im Management umzusetzen und damit das Risiko einzugehen, dass sie alles vermasseln, ist Präsident Putin klugerweise einen anderen Weg gegangen. Er hat sich erst die Ansichten des Kaders der Gruppe angehört und sie anschließend gefragt, wie sie angesichts der Umstände in Zukunft vorgehen wollen. Auf diese Weise verhinderte Präsident Putin das Worst-Case-Szenario, bei dem die Gruppe Wagner in Bezug auf ihre Effizienz zu einem Schatten ihrer selbst wird. Das bedeutet nicht, dass keine Medien-, Militär- und Sicherheitsbürokraten bei den Veränderungen einbezogen werden, sondern lediglich, dass die Ansichten des Kaders der Gruppe bei wichtigen Entscheidungen berücksichtigt werden.
Um es zusammenzufassen: Prigoschins gescheiterter Putschversuch war real, in der Folge erhielt er aber von Präsident Putin eine zweite und letzte Chance, sein Leben und das seiner Männer zu retten, wodurch ein Bürgerkrieg abgewendet wurde. Anschließend streckte der Präsident pragmatisch die Hand der Versöhnung aus in Richtung der bedauerlicherweise in die Irre geführten Patrioten und gab ihnen damit die Möglichkeit, der Russischen Föderation weiterhin zu dienen, sofern sie das wünschen. Daraufhin traf er sich mit dem Kader der Gruppe, um sich deren Ansichten bei den Veränderungen im Management anzuhören.
Die Gruppe Wagner spielt im Ukraine-Konflikt und auf dem afrikanischen Kontinent eine viel zu wichtige Rolle, als dass sie von einer bunt zusammengewürfelten Truppe von Bürokraten schlecht verwaltet wird oder um zu riskieren, dass die Effizienz der Gruppe neutralisiert wird, im Versuch, sie vollständig unter staatliche Kontrolle zu bringen. Ebendarum beschritt Präsident Putin den Weg des Dialogs, um sicherzustellen, dass die Gruppe weiterhin ein effizientes und beeindruckendes Instrument im Werkzeugkasten des Kremls bleibt, was somit die Teilnahme von Prigoschin an diesem Zusammentreffen erforderlich machte.
In großen Organisationen, so wie Wagner eine ist, gibt es selten jemanden außer dem obersten Chef, der alles über sie weiß und die Zusammenhänge kennt. Prigoschin muss also mitwirken, damit der eingeschlagene Prozess reibungslos abläuft. Prigoschin sieht sich immer noch als einen russischen Patrioten und die Zukunft seiner Gruppe und jener, die er beschäftigt, liegt ihm offensichtlich persönlich sehr am Herzen, weshalb Präsident Putin auch erwartet hat, dass er sich bereit erklärt, am Treffen zum Thema Umstrukturierung der Gruppe Wagner teilzunehmen.
Auf diese Weise konnte Prigoschin auch teilweise seinen Ruf rehabilitieren, indem er signalisierte, dass er es mit seiner Tat "gut meinte", sich dann aber "zu sehr hinreißen ließ" und weiter auf Moskau marschierte, obwohl er von Präsident Putin bereits am frühen Morgen dazu aufgefordert wurde, umzukehren. Wenn Prigoschin ein Verräter und möglicherweise sogar ein westlicher Agent wäre – und nicht nur deren "nützlicher Idiot" –, dann würde er Präsident Putin niemals dabei unterstützen, Wagner so umzustrukturieren, dass die Gruppe weiterhin effektiv den russischen Interessen dienen kann.
Das Fazit aus all dem ist, dass am Treffen zwischen Putin und Prigoschin nichts Verschwörerisches war, wie einige Influencer in der Community der alternativen Medien behaupten werden, sei es aus ideologischen Gründen und/oder um Spenden zu erbitten. Es war einzig und allein die patriotische Motivation aller Teilnehmer, sicherzustellen, dass der unvermeidliche Führungswechsel in der Gruppe Wagner reibungslos umgesetzt werden kann. Einige werden entlassen und bestimmte Vorhaben abgesagt, aber der Kern der Gruppe wird auf jeden Fall weitermachen, wenn auch unter einem anderen Namen.
Übersetzt aus dem Englischen
Andrew Korybko ist ein in Moskau ansässiger amerikanischer Politologe, der sich auf die US-Strategie in Afrika und Eurasien sowie auf Chinas Belt & Road-Initiative, Russlands geopolitischen Balanceakt und hybride Kriegsführung spezialisiert hat.
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