Meinung

Moldawien: Polens Militär möchte "osteuropäisches Ödland" erschließen

Polens Eliten haben im Casting als "Lieblingsfrau des Sultans in Washington" wohl gewonnen – ebenso im Wettbewerb um die Stelle als osteuropäische Drehscheibe einer britisch- und US-dominierten NATO-Nachfolgestruktur. Daher sollte sich Polens Präsenz in der Republik Moldau nicht noch auf die Ukraine ausweiten dürfen.
Moldawien: Polens Militär möchte "osteuropäisches Ödland" erschließenQuelle: www.globallookpress.com © Uli Deck/dpa

Von Dmitri Jewstafjew

Polnische und moldauische Truppen begannen gemeinsame Übungen "zur Gewährleistung der Sicherheit" in der Umgebung des Dorfes Bulboaca, wo am 1. Juni ein Gipfeltreffen der europäischen politischen Gemeinschaft stattfinden soll. Derlei Nachrichten hätten selbst angesichts der Tatsache, dass sich in der Region ein wichtiger Militärstützpunkt und ein Übungsgelände der moldauischen Armee befindet, nicht viel Aufmerksamkeit erregt – würden sie nicht allzu gut in den allgemeinen Trend einer zunehmenden Dominanz Polens in Osteuropa passen.

Vor allem dann, wenn man bedenkt, was dort das polnische Militärpersonal soll: Es sind insbesondere Luftpatrouillen im Dnjestr-Delta geplant. Wir scheinen Zeuge einer neuen Etappe in der militärisch-politischen Erschließung des wichtigsten Raums der nördlichen Schwarzmeerregion durch Polen zu werden, wo bisher als externe Kräften nur die US-Amerikaner präsent waren. Man erinnere sich an die praktisch ständige Präsenz von Stoßtrupps der 101st Airborne Division der US Army in der Region.

Viele NATO-Länder täuschen eine heuchlerische Unentschlossenheit in Bezug auf den Konflikt in der Ukraine vor: Alle sind bereit, in einem hybriden Format gegen Russland zu kämpfen – doch die Aussicht auf eine unmittelbare Beteiligung an einem solchen Konflikt schreckt sie dennoch ab. Nicht so Polen: Vor einem solchen allgemeinen Hintergrund zeigt die polnische Elite vielmehr zunehmend Entschlossenheit.

Und dies geschieht – allerdings wie immer in der polnischen Geschichte – im Vorfeld großer Ereignisse im gesamteuropäischen Maßstab. Die polnische Elite war schließlich schon immer in der Lage, im Vorfeld einer Krise vorausschauend zu handeln. Man erinnere sich nur an ihre Beteiligung bei der Zerstückelung der Tschechoslowakei im Rahmen des Münchner Komplotts im Jahr 1938. 

Wagen wir ruhig einmal die Annahme, dass Polen auch jetzt den Kampf nicht nur um den Status des wichtigsten Verbündeten der USA (und Großbritanniens) in Europa, sondern auch um den als ein Zentrum in einer neuen politisch-militärischen Koalition, die langfristig die NATO ablösen könnte, so gut wie gewonnen hat:

Warschau hat sowohl die interne Krise in Frankreich geschickt ausgenutzt als auch die Tatsache, dass die deutschen Eliten des Gefühls für Souveränität verlustig gegangen sind. Es bleibt natürlich die traditionelle Frage, wie weit der Schwung des "ersten Sprints" die Polen tragen kann, aber es gibt hier auch einen ernsthaften Aspekt:

Zum ersten Mal seit 200 Jahren ist die polnische Elite in der Lage, ein "Großprojekt" zu formulieren, das sich nahezu perfekt in aktuelle Entwicklungstrends im modernen Europa und sogar im weiteren Umfeld einfügt. Das "Intermarum" ist nämlich ein Projekt, das in seiner geopolitischen und geoökonomischen Tragweite weit über den Rahmen der klassischen "polnischen Geopolitik" hinausgeht – die auf dem innenpolitischen Kampf unter Radikalen der einen Seite gegen die der anderen Seite beruht –, und muss zumindest in dieser Qualität ernst genommen werden.

Zum ersten Mal seit anderthalb Jahrhunderten hat das "polnische geopolitische Projekt" nicht nur eine geoökonomische Grundlage, sondern auch einen Raum für die Entwicklung bekommen – ein riesiges geopolitisches "Ödland", das sich wie von selbst im Streifen von Winniza bis Otschakow geöffnet hat. Dabei hat dieser Raum eigentlich schon alles: eine entwickelte Logistik, einschließlich Pipelines, Ressourcen (von Lebensmitteln bis zu Energieträgern), eine zwar technologisch veraltete, aber bereichsweise dennoch vielversprechende Industrie. Nur eines fehlt dort – eine feste, souveräne Regierungsmacht.

 Und dieses "Ödland" könnte Polen nicht nur mit eigenen Truppen füllen – in der Rolle eines "Skeletts", über dem dann die Truppen der osteuropäischen Satelliten der NATO aufgespannt werden –, sondern auch mit gesellschaftspolitischen Institutionen.

Denn dieses "osteuropäische Ödland" ist ein Raum mittlerweile weitgehend zerstörter politischer und gesellschaftlicher Souveränität.

Gestehen wir es ein: Polen beginnt jetzt mit der prinzipiellen "Neukonfiguration" der europäischen Grenzen – und dies betrifft auch Weißrussland, das nicht einfach ein Verbündeter Russlands ist, sondern de jure mit Russland einen Unionsstaat bildet.

Jedenfalls ist ein Polen "di mare ad marum" im Moment eine mehr als handfeste Möglichkeit. Und eine solche Struktur – als noch so instabil und so zerrissen von internen Streitigkeiten sie sich auch erweisen mag – wird auch nach dem Ende der militärischen Sonderoperation langfristige Risiken für Russland in sich bergen – insbesondere dann, wenn bedeutende Regionen der Ukraine unter Warschaus Kontrolle geraten sollten.

Mehr zum Thema - Finanzielle Interessen und Geopolitik – Ausbildung ukrainischer Soldaten in Polen

Übersetzt aus dem Russischen

Dmitri Jewstafjew ist Doktor der Politikwissenschaften und lehrt am Institut für Medien der Wirtschaftshochschule Moskau.

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