Meinung

Polnisches Staatsmedium: "Deutschland – der größte Feind Europas"

In Polen nichts Neues. Dass das Land stolz die Rolle des regionalen US-Rammbocks an der EU-Außengrenze erfüllt, bezweifelt lange keiner mehr. Zudem sprach Andrzej Duda von einem neuen "Eisernen Vorhang" – und da könnte das Staatsoberhaupt sogar durchaus recht haben.
Polnisches Staatsmedium: "Deutschland – der größte Feind Europas"Quelle: AFP © Jens Schlueter

Von Elem Chintsky

Das öffentlich finanzierte, polnische Staatsmedium TVP INFO hat Anfang Februar einen Artikel veröffentlicht, mit dem Titel: "Deutschland – der größte Feind Europas". Der Verfasser Dawid Wildstein ist auch kein unbekannter Journalist, sondern eine einflussreiche Stimme im innerpolnischen Polit-Diskurs. Als Medienvertreter der PiS-Elite arbeitet sich Wildstein auch nicht an einer neuen These ab. Lediglich der hetzende Ton, mit der neuerdings die These unters lesende Volk gebracht wird, obliegt einer rasanten Zuspitzung.

Wildstein stellt die Berliner Ampelregierung – aber auch alle anderen Regierungen bis zurück zu Helmut Kohl – als verschwörerische Kollektive dar, die hinter dem Rücken Warschaus und Washingtons mindestens seit 1991 eine geheime Machtallianz mit Moskau schmieden. Bis heute. Alle an Kiew geleisteten Kriegsgerät-Lieferungen, alle Hilfsgelder, sogar die in Deutschland aufgenommenen ukrainischen Flüchtlinge seien nur "ein deutscher Schein", um die eigentlichen, vermeintlich hinterhältigen Absichten Berlins zu camouflieren. Nämlich die Absicht, so rasch wie möglich alle Geschäftsbeziehungen mit Moskau pünktlich nach dem bald endenden Krieg in vollem Volumen wieder aufzunehmen.

Wildstein offenbart eine schwache Kenntnis der Verfassung heutiger deutscher Souveränität, Autonomie und Handlungsfreiheit als Nationalstaat. Der polnische Propagandist verwechselt das Preußen von Friedrich II., Bismarcks Deutsches Reich und sogar Hitlers Drittes Reich mit dem heutigen US-Subjekt namens Bundesrepublik Deutschland. Wildstein schreibt dem heutigen Berlin so großzügig viel Handlungsspielraum und galaktische Hintergedanken zu, dass die Glaubwürdigkeit des Schreibers rasant beim Lesen fällt. Die Regierungschefs Schröder und Merkel wollten einfach billiges Erdgas aus Russland haben, um die deutsche Wirtschaft gedeihen zu lassen und beim Weiterverkauf an willige Nachbarn, wie Polen, noch ein paar Pfennige mehr dazuverdienen. Sehr einfache Erklärung.

Die Polen machen diese offenen pragmatisch-wirtschaftlichen Befindlichkeiten zu einer geradezu  ideologischen Unterwanderung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und des deutschen akademischen Sektors – direkt durch Gazprom kontrolliert. Nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein. Wäre Wildstein der deutschen Sprache mächtig, könnte er in Echtzeit sehen, wie die deutschen Leitmedien – zum Beispiel Markus Lanz' Runde letztens im ZDF – um eine russophobe Linie aufrichtig bemüht sind.

Eine in der deutschen Sprache schmackhaft gemachte Kriegstreiberei gegen Russland könnte nicht authentischer sein. Wildstein würde aber sagen, das alles sei nur deutsches Gerede, Schall und Rauch, aufgesetzt und gekünstelt, dem keine Taten folgen. Und so kann man es den polnischen Revanchisten nie gerecht machen. Es kann nie "zu viel" oder "ausreichend" Russophobie geben – es gibt immer ein Defizit und die polnischen Eliten können dahingehend nie gesättigt werden.

Selbst vor der Tatsache, dass es Berlin nicht im Geringsten interessiert, "wer" die Nord-Stream-Pipelines gesprengt hat, zieht Wildstein nicht den Hut. Wäre Berlin wirklich dieser zynische, skrupellose, geopolitische Machtriese im Herzen Europas, den Wildstein zeichnet – der seine eigenen nationalen Interessen um jeden Preis durchsetzt und sogar einen Bruch mit den, in polnischen Augen, "heiligen" USA, wagt –, müsste die Faktenlage diametral anders liegen. Tut sie aber nicht.

Die Klagelieder aus Warschau ziehen aber auch in alle europäischen Salons. So hat in Brüssel, in der ersten Februarwoche, auch der polnische Botschafter bei der EU, Andrzej Sadoś, mit Beschwerden um sich geworfen: "Warum arbeitet die EU nicht seit einem Monat am 10. Sanktionspaket?" – sprich, seit Neujahr.

Die EU hat es letztendlich dann knapp geschafft, das 10. Paket zum ersten Jahrestag des Beginns der militärischen Spezialoperation Russlands in der Ukraine das Licht der Welt erblicken zu lassen. Die letzten Schritte dessen wurden aber begleitet von ständigen Mahnungen der Polen, dass wenn das neueste Sanktionspaket "zu lasch" ausfällt, die Polen ihr historisch bewährtes Veto einwerfen würden. Der mittlerweile anerkannte und leicht beobachtbare Bumerangeffekt interessiert Warschau natürlich nicht: umso "weniger lasch" die Sanktionen gegen Russland, umso viel schlimmer die eigentlichen Folgen für Europa selbst.

Wären demnach die Sanktionen wahrlich zu lasch ausgefallen, würden wohl wieder die Deutschen von Wildsteins obiger Deutungsschablone als die "russophilen" Unruhestifter und Saboteure erfasst werden. Dabei haben die letzten drei Sanktionspakete bereits die Schmerzgrenzen Europas spürbar angetastet – und zwar nicht nur die Deutschlands. Selbst mit der neuesten Einigung geht es der polnischen Führung alles zu langsam und die Dringlichkeit vervielfacht sich mit den mageren Aussichten für einen militärischen Sieg Kiews. Wenn das so weiter geht, platzt den Polen bald der Kragen.

So auch dem polnischen Staatsoberhaupt Andrzej Duda. Dieser hatte Anfang Februar bei einem Besuch in Lettland Folgendes zum Thema Russland erläutert:

“Wenn ich 'Russkiy mir' höre, sehe ich Armut, Elend, Versklavung, Gesindel. Und was normalerweise durch Nieten oder Bolzen verbunden sein sollte, ist durch Schnur oder Draht verbunden. [...] Was Russland in letzter Zeit getan hat, zeigte dem Rest der Welt, dass alle Geschichten über das Ende der Geschichte und alle Geschichten über einen ein für alle Mal gegebenen Frieden und Ruhe, insbesondere in Europa, ein absolutes Hirngespinst waren."

Der Präsident erklärte des Weiteren, dass zwischen Polen und der EU auf der einen Seite und Russland auf der anderen Seite ein eiserner Vorhang "bis zu den Wolken" errichtet werden soll. Fernab jeglicher Präferenzen für den Ausgang des Ukraine-Krieges hat Duda sicherlich vollkommen recht. Ein solcher "Eiserner Vorhang", wie ihn damals auch Winston Churchill 1946 – am Vorabend zum Kalten Krieg – in die Existenz sprach, wird sicher errichtet. Wo genau – gemeint ist, entlang welcher geografischen Gebiete – ist noch offen. Aber durch die geplante Lieferung von Langstreckenraketen durch den Wertewesten an das Kiew-Regime kann sich Warschau sicher sein, dass Wladimir Putins Anmerkungen dazu – nämlich, dass dann die "ukrainische Pufferzone" dementsprechend um viele Dutzend Kilometer weiter nach Westen verschoben werden muss – sehr ernst gemeint sind.

Eine Bombe – unmöglich zu entschärfen

Das Ego polnischer Machteliten wird von den USA regelmäßig mit Lob weiter aufgepustet. Im Hinblick auf die geleistete Hilfe an die Ukraine hatte kürzlich der US-Botschafter in Polen, Mark Francis Brzezinski, noch einmal unterstrichen, dass die polnische Regierung und die polnische Bevölkerung die allererste war, die reagiert hat. Brzezinski ist der Sohn des 2017 verstorbenen US-Sicherheitsberaters und einer der geopolitischen US-Architekten für den heutigen Ukraine-Krieg, Zbigniew Kazimierz Brzeziński. Für den Flüchtlingsstrom westwärts hat der Mann mit seiner Beobachtung jedenfalls vollkommen recht. Die polnische Gesellschaft war tatsächlich den geflüchteten Ukrainern unglaublich zuvorkommend, hilfsbereit, selbstaufopfernd und solidarisch gegenüber.

Umso härter werden die Folgen sein für die bisher nicht aufgearbeitete, gemeinsame polnisch-ukrainische Geschichte.

Mittlerweile wird die polnische Zivilgesellschaft nämlich immer öfter aufmerksam auf die kulturell-historischen Änderungen, die durch die Anwesenheit ukrainischer Geflüchteter innerhalb Polens auftreten. So hatte kürzlich die unabhängige, konservative, NATO- und EU-skeptische Myśl Polska in einem Kommentar analysiert, wie viele der zugereisten Ukrainer ihr Nazi-Vermächtnis mit ins Gastland hineingetragen haben. Das jüngste Beispiel ist das eines viral gegangenen Fotos, das ein Schulkind in der polnischen Stadt Poznań zeigt. Auf der Jacke des Jungen ist klar eine Flagge zu erkennen, die die "Ukrainische Aufständische Armee" (UPA) und die "Organisation Ukrainischer Nationalisten" (OUN) darstellt. Die Taten beider Organisation, die während des Zweiten Weltkrieges an polnischen Zivilisten begangen worden sind, gehören zu den schlimmsten dieser Zeit.

Selbst deutsche Nazis sollen damals von der blutrünstigen Vorgehensweise der faschistischen UPA und OUN gegen die polnische Bevölkerung schockiert gewesen sein. Diese Geschichte haben die Polen und die Ukrainer vollkommen verpasst aufzuarbeiten. Ganz im Gegenteil, die Symbole und das Gedankengut wird mit steigender Tendenz in Polen sichtbar und trägt zu einer Neuevaluierung der Situation bei. Der Autor vermutet, dass die überaus großzügige und verschwenderische polnische Hilfe, die den Ukrainern zuteilgeworden ist, in vielen Zugereisten eine dreiste, undankbare Attitüde hervorbrachte. Von den Millionen, die gekommen sind, seien viele Tausende "aggressive Nationalisten", die "Polen, polnische Menschen und alles Polnische hassen".

Die derzeitige PiS-Regierung in Polen hat aber einiges an Mühe auf sich genommen, einen Diskurs in diese Richtung zu meiden. Denn ein solcher wird nicht nur proaktiv nicht unterstützt – nein, es ist den Polen verboten, dieser Art Geschichtsaufarbeitung in der heutigen Zeit, wo der Feind ganz woanders sein soll, nachzugehen.

Schmerzhafte und traumatische, historische Wahrheit dieser Größenordnung durch staatliche Verordnung tief zu vergraben und ihre Enthüllung künstlich hinauszuzögern, führt später nur zu einer umso stärkeren Detonation innerhalb der Zivilgesellschaft. Die Warschauer Führung hat allem Anschein nach diese Detonation vorsätzlich in Planung, auf die man im Innern tüchtig hinarbeitet. Gleichzeitig wird selbstgefällig eine Zweifronten-Konfrontation – mit "dem größten Feind Europas" in Berlin und dem "ewigen Russen" in Moskau – verfolgt, erzwungen und begierig heraufbeschwört. Was könnte da noch schiefgehen?

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Elem Chintsky ist ein deutsch-polnischer Journalist, der zu geopolitischen, historischen, finanziellen und kulturellen Themen schreibt. Die fruchtbare Zusammenarbeit mit RT DE besteht seit 2017. Seit Anfang 2020 lebt und arbeitet der freischaffende Autor im russischen Sankt Petersburg. Der ursprünglich als Filmregisseur und Drehbuchautor ausgebildete Chintsky betreibt außerdem einen eigenen Kanal auf Telegram, wo man noch mehr von ihm lesen kann.

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